Interview Markus Gruber : Selmo-CEO: „Man muss den bestehenden Maschinenpark neu denken“

Ihr Unternehmen gibt es seit 2019. Sie machen Maschinen-Software, die nicht nur steuert, sondern auch überwacht. Können Sie erklären, was das Besondere daran ist?

Der Clou ist, dass wir das manuelle Programmieren ersetzen können. Was wir noch ermöglichen, ist, dass wir über das funktionsorientierte Engineering hinaus auch Verhaltensmodelle erstellen. Diese Verhaltensdaten sind eine essenzielle Basis für zukünftige KI-Anwendungen. Zudem ist unsere Software nicht Hardware-definiert, sondern basiert auf einem Software-definierten Standard, wodurch sie nicht mit der Hardware altert. Somit ist sie werthaltend.

Wie kann man sich damit die Maschinen-Programmierung vorstellen?


Traditionell beschreibt man zuerst, was die Maschine tun soll, überlegt sich dann, welche Fehler auftreten können, und programmiert diese. Dabei bleibt aber Vieles undefiniert. Das heißt: alle Fehler, die man sich nicht vorher überlegt hat, sind nicht sichtbar. In unserer Welt gibt es dagegen nur mehr richtig oder falsch. Sie definieren, wie sich die Maschine verhalten soll und alles andere wird von der Software als Fehlverhalten eingestuft. So können wir in jedem Moment sagen, ob sich die Maschine richtig verhält.

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Wir haben in Kärnten eine Maschine modernisiert, die jetzt seit zwei Jahren läuft und es musste nie wieder ein Programmierer oder eine Programmiererin eingreifen, um Fehler zu beheben.

Sie vernetzen auch Gebrauchtmaschinen mit Ihrer Software. Wie gehen Sie hier vor?

Beim digitalen Retrofitting beschreiben wir nur den Prozess. Wir beobachten die Maschine, die gut läuft, beschreiben das Verhalten und das Prozessmodell, nehmen dann die Signale, die in diesen Maschinen vorhanden sind, und modellieren das. Wir haben in Kärnten eine Maschine modernisiert, die läuft jetzt seit zwei Jahren und es musste nie wieder ein Programmierer oder eine Programmiererin eingreifen, um Fehler zu beheben.

Haben Sie mit Ihrem Fokus auf das Maschinenverhalten auch die Themen von Instandhalter:innen mitgedacht?


Den Instandhaltungsmitarbeiter:innen ist damit automatisch geholfen. Ein Beispiel: Bei einem Antrieb, der durch unser Modell alle Informationen liefert, sehen Sie etwa, wenn der Strom eines Motors immer mehr ansteigt und können so rechtzeitig reagieren. Sie können außerdem die Daten chronologisch zurückverfolgen und sehen, was vorher passiert ist.

Welche Anforderungen müssen denn Altmaschinen erfüllen, damit sie für ein digitales Retrofit geeignet sind?


Es hängt immer vom jeweiligen Fallbeispiel der Maschinenbewertung ab, die wir für viele Kund:innen durchführen. Aus technischer Sicht ist es wichtig, dass die mechanischen und elektrotechnischen Komponenten einer Maschine noch zeitgemäß sind. Wir haben aber auch schon Retrofits umgesetzt, wo die Steuerung und Antriebstechnik komplett ausgetauscht wurden. In Ungarn steht zum Beispiel eine Maschine mit einer doppelt so langsamen Taktzeit wie geplant. Da sind wir gerade dabei, das zu analysieren, weil es viele Systeme gibt, die nicht zusammenspielen, was Kosten von rund 180.000 Euro im Jahr verursacht. Da gehen wir jetzt ran und optimieren das.

Selmo Markus Gruber
Markus Gruber ist Geschäftsführer und Gründer von Selmo Technology GmbH, einer in der Steiermark gelegenen Softwareentwicklungs-Firma. Daneben leitet er auch das Automatisiereungsunternehmen Selmo Automation GmbH. Gruber war auch Inhaber von "DI Markus Gruber, movingbits", einem Kleinunternehmen, das sich auf Spezialautomatisierung für Forschung und Entwicklung spezialisiert hat. Über 6 Jahre hat er sich hier auf die Modellierung, Implementierung und Entwicklung von Speziallösungen rund um die PLC konzentriert und Kenntnisse in der Automobilindustrie erworben. Seine akademische Laufbahn umfasst ein Diplom-Ingenieurstudium in Automationstechnik/Wirtschaft und eines in Mechatronik, Robotik und Automatisierungstechnik an der CAMPUS02 Fachhochschule der Wirtschaft in Graz. - © Selmo

Hören Sie auch unseren Podcast zum Thema Retrofit!

Man muss den bestehenden Maschinenpark neu denken, um die Verfügbarkeiten von heute erhalten zu können.

Vor dem Hintergrund aktueller Krisen – hohe Kostensteigerungen, notwendige Klimaschutzmaßnahmen, Lieferproblematik – ist da eigentlich die Nachfrage nach digitalem Retrofit gestiegen?

Der Markt ist da. Wir sprechen von 500 Billionen Euro weltweit, die Bestandsmaschinen einbringen können, wenn sie modernisiert werden. Jetzt setzen vor allem große Unternehmen auf die Wiederverwertung von Maschinen. Die langen Lieferzeiten sind ein Grund, weshalb manche Unternehmen nicht mehr Siemens-Komponenten einsetzen, da diese lange vergriffen sind oder man sich damit in eine Abhängigkeit begibt. Hinzu kommt, dass sich die Wartungskosten in 11 bis 12 Jahren verdoppeln werden. Und wenn aufgrund des Fachkräftemangels kaum Personal vorhanden ist, oder man sich diese Expertise nicht mehr leisten kann, dann wird die Verfügbarkeit von Maschinen schlechter. Das treibt auch den Trend zum Retrofitting an. Man muss den bestehenden Maschinenpark neu denken, um die Verfügbarkeiten von heute erhalten zu können.

Und wie?


Produktionsprozesse müssen digitaler werden. Wenn Sie ein Produkt liefern möchten, müssen Sie auch immer mehr Produktdaten aus der Produktion mitliefern. Diesem Anspruch müssen jetzt auch alte Maschinen gerecht werden. Sogar Kleinunternehmen im Maschinenbau werden diesem Wandel nicht entkommen.

Sie bieten Ihre Produkte mit einem Pay-Per-Use-Modell an, was in den letzten Jahren immer mehr aufgekommen ist. Wie funktioniert das?


Die Kosten für Software in Maschinen- und Anlagenprojekten sind bis heute noch schwer vorhersehbar und werden durch Stundenschätzungen angegeben, deren Genauigkeit stark variiert. Bei uns formulieren Sie das Prozessmodell, das Sie sowieso programmieren wollten, und die Zahl, die da herauskommt, nennen wir Selmo Tags. Dadurch wissen Sie im Vorhinein, was die Software kostet, und Sie können sie so leicht in Ihre Kalkulation einbeziehen. Sie bezahlen also nur dann für die Software, wenn sie funktioniert. Deshalb Pay-Per-Use.

Warum machen Sie das so?


Weil Software dadurch einen Wert bekommt.

Mit dem Aufkommen von ChatGPT und dem Mangel an geeignetem Personal gibt es immer mehr Bemühungen, den Maschinen-Programmierer:innen das Leben zu erleichtern. Macht Ihnen ChatGPT auch ein bisschen Konkurrenz?


Nein, überhaupt nicht. Wenn Sie heute dem Herrn Karl eine Programmierung übergeben, dann programmiert der Herr Karl das. Wenn Sie dem Herrn Karl das Gleiche in zwei Jahren geben, dann wir es erneut von ihm programmiert und Sie erhalten ein anderes Ergebnis. Dasselbe gilt für ChatGPT: Wenn Sie dort Ihr Problem schildern, generiert es für Sie eine Lösung. Wenn Sie dasselbe Problem noch einmal eingeben, erhalten Sie eine andere Lösung. Das ist der Fluch der KI in diesem Bereich: Sie erhalten keine reproduzierbaren Ergebnisse. Aber wenn wir die Programmierung unserem Algorithmus übergeben, können wir ein und dieselbe Aufgabe hundertmal eingeben und erhalten immer das gleiche Ergebnis. Und diese Stabilität braucht ein System, das programmiert wird.