Kolumne : Lösungen für den Fachkräftemangel

Der VDMA Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann hat kürzlich die 42-Stunden Woche gefordert. Dies soll eine Maßnahme gegen den Fachkräftemangel sein und vielleicht kann sie ein Symptom bekämpfen. Aber nachhaltige Lösungen sehen anders aus.

Demografische Effekte

Ein Teil des Fachkräftemangels lässt sich durchaus mit dem einfachen Effekt erklären, dass Nachwuchs fehlt. Im vergangenen Jahr hat Detlef Scheele, der damalige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland, eine gezielte Zuwanderung von 400.000 Menschen pro Jahr gefordert. Da die Anzahl möglicher Arbeitskräfte, und das in allen Berufsgruppen, jedes Jahr signifikant abnimmt, ist qualifizierte Zuwanderung ein wichtiger Hebel, ohne den es vermutlich nicht gehen wird. Aber es braucht noch mehr.

Die innere Haltung zum Menschen

Ein ganz wesentliches Problem des Fachkräftemangels ist die innere Haltung zum Menschen seitens der Entscheider:innen in weiten Teilen der Wirtschaft und teilweise auch der Politik. Sie betrachten Menschen als reine Arbeitskraft, also eine Ressource, die man so gering wie möglich bezahlt, damit diese eine gewisse Arbeit verrichtet. Sobald man die Ressource nicht mehr benötigt, möchte man die besagten Menschen gerne wieder loswerden. Nicht wenige Unternehmen decken weite Teile der Belegschaft mit Leasingkräften ab.

Der Begriff „Human Resources“ zeigt ebenfalls diese problematische Haltung auf. Der Mensch ist keine Ressource, er hat Ressourcen, vornehmlich Zeit und Kompetenz. Und Mitarbeitende sind zu weit mehr in der Lage als nur eine Arbeit zu verrichten, für die sie angestellt sind. Sie können Organisationen weiterentwickeln und dafür sorgen, dass ein Unternehmen zukunftsfähig bleibt. Mitarbeitende suchen sich ihren Arbeitsplatz, wenn sie können, auch danach aus, wo sie als Mensch und in ihrer Arbeit wertgeschätzt werden. Und genau hier mündet das Problem der inneren Haltung von Entscheider:innen.

(Lesen Sie auch: Immer effizientere Roboter führen zum Umbruch in der Produktion)

Ein Schlüssel zur Bekämpfung des Fachkräftemangels ist die Gestaltung menschenfreundlicher Arbeitsplätze, und damit ist nicht ausschließlich das Gehalt gemeint.

Arbeitnehmer:innen haben die Wahl

Aufgrund der demografischen Struktur haben Arbeitnehmer:innen im Gegensatz zu früheren Zeiten die Wahl, wo sie arbeiten wollen. Die Branchen, die Menschen immer besonders schlecht behandelt haben, befinden sich aktuell in besonders großen Schwierigkeiten. Das Chaos an den Flughäfen ist hier ein Beispiel. Zu Beginn der Pandemie wurden viele der dort arbeitenden Menschen gekündigt. Diese haben mittlerweile attraktivere Jobs gefunden, die teilweise besser bezahlt sind, aber die insbesondere keine so schlechten Arbeitsbedingungen mit sich bringen. Es gibt für diese Mitarbeitenden keinen Grund, in ihren alten Beruf am stressigen und meist körperlich schweren Umfeld am Flughafen mit abstrusen Arbeitszeiten zurückzukehren. Oder denken Sie an die Gastronomie und das Hotelgewerbe, wo Teildienste mit Früh- und Spätschicht am selben Tag gang und gebe sind.

Es geht nicht nur um monetäre Aspekte

Ein Schlüssel zur Bekämpfung des Fachkräftemangels ist die Gestaltung menschenfreundlicher Arbeitsplätze, und damit ist nicht ausschließlich das Gehalt gemeint. Zum Beispiel aus der Pflege weiß man, dass das Gehalt nicht der einzige Grund ist, weshalb Menschen diesen Beruf verlassen. Es sind häufig auch die Arbeitsbedingungen, die im Fall der Pflege am Betreuungsschlüssel sichtbar werden.

Aber auch in Produktionsbetrieben ist ein angenehmes Arbeitsumfeld machbar. Das fängt schon mit der Frage an, ob Mitarbeitende stressfrei arbeiten können, weil die Prozesse klar strukturiert sind und nicht ständig Anforderungen zum Feuerlöschen reinplatzen, die den Arbeitsfluss behindern. Ein großer Stressfaktor ist hier die so genannte „versteckte Fabrik“ in der Mitarbeitende reaktiv Dinge tun müssen, die nicht vorgesehen sind. Als „verstecke Fabrik“ bezeichnet man informelle Informationsflüsse sowie unvorhergesehene und nicht planbare Handlungen, die Mitarbeitende aufgrund instabiler und undefinierter Prozesse ausführen müssen. Auch wenn es verstecke „Fabrik“ heißt, gibt es solche Probleme auch in Unternehmen, die keine produzierende Wertschöpfung haben.

Zudem sind ergonomische Arbeitsplätze, ansprechende sowie adäquat ausgestatte Sozial- und Sanitärräume ein wichtiger Faktor bei der Arbeitsumgebung in Produktionsbetrieben. Auch Arbeitszeiten und sonstige Rahmenbedingungen, wie Flexibilität oder Weiterbildungsmöglichkeiten, sind für Menschen entscheidend, sich für oder gegen einen Arbeitsplatz zu entscheiden.

Würde die irrationale Ablehnung von Halbtagsstellen fallen und gäbe es adäquate Betreuungsangebote für Kinder, stünden auf einen Schlag viel mehr potentielle Arbeitskräfte in allen Berufsfeldern zur Verfügung.

Mangelnde Gleichberechtigung

Und schließlich gibt es auch im 21. Jahrhundert das Problem, dass Frauen nicht die gleichen Chancen haben wie Männer. Noch immer lastet die Betreuung der Kinder meist bei den Frauen und noch immer fehlt es an umfänglichen Kinderbetreuungsangeboten. Gleichzeitig scheuen viele Unternehmen Halbtagsstellen, weil sie dies als zu wenig produktiv erachten. Besonders Führungspositionen im Halbtagsmodell, bei dem sich zwei Personen eine Führungsaufgabe teilen, sind noch immer eine Seltenheit.

Würde diese irrationale Ablehnung von Halbtagsstellen fallen und gäbe es adäquate Betreuungsangebote für Kinder, stünden auf einen Schlag viel mehr potentielle Arbeitskräfte in allen Berufsfeldern zur Verfügung. Dass dies sehr gut funktioniert, ist insbesondere in skandinavischen Ländern sichtbar, in denen die volle Erwerbstätigkeit der Frau schon kurz nach der Geburt als normal angesehen wird, weil dort kein veraltetes Familienbild die Sicht versperrt und der Staat für entsprechende Betreuungsmöglichkeiten gesorgt hat. Innovative Unternehmen kümmern sich heute schon um Kinderbetreuungsmöglichkeiten und werden damit als Arbeitgeber interessanter.

Fazit

Der Fachkräftemangel wird sich nicht mit der Erhöhung der Wochenarbeitszeit lösen lassen. Das Gegenteil trifft zu, weil Jobs durch weniger Freizeitwert an Attraktivität verlieren. Qualifizierte Zuwanderung ist notwendig, kann aber nicht alle Probleme lösen und wird bei unattraktiven Arbeitsbedingungen seine Wirkung ebenso verfehlen.

Was sich grundlegend ändern muss, ist die weit verbreitete Haltung von Entscheider:innen zum Wert Mensch und dem Verständnis, dass Mitarbeitende zu wesentlich mehr als der reinen Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe in der Lage sind. Damit werden Rahmenbedingungen, wie angemessene Bezahlung und ein attraktives, gesundes und wertschätzendes Arbeitsumfeld zu den wichtigsten Unterscheidungskriterien von Unternehmen, um zukünftig überhaupt noch genügend Arbeitskräfte rekrutieren und halten zu können.

(Lesen Sie auch: Mensch und Maschine – Hassliebe oder Partnerschaft?)