Digital Twin : Steffen Rattke: "Wir stellen maximale Transparenz in der Produktion her"

FACTORY: Herr Rattke, German Edge Cloud setzt thematisch stark auf den digital Twin auf Fabrikebene. Können Sie kurz erklären, was damit gemeint ist?

Steffen Rattke: Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen dem Produktzwilling, dem Anlagenzwilling und dem Produktionszwilling. Der Zwilling, den wir als German Edge Cloud anbieten, ist der Produktions- oder Fertigungszwilling. Basierend auf unserem Oncite Digital Production System (DPS) und einem hochintegrierten Datenmanagement bilden wir in einer virtuellen 3D-Animation die reale Produktion mit all Ihren Sensordaten der Anlagen, IoT-Devices und IT-Systemen virtuell und in nahe Echtzeit ab.

Welchen Vorteil bringt die virtuelle Produktion den Anwender:innen?


Wir stellen damit maximale Transparenz in der Produktion her. Wir sehen also zu jeder Zeit, wie die Produktion läuft. Im Fall von Anomalien sehen wir, wie sich diese verhalten. Durch die echtzeitnahe Sicht auf die Produktion gibt man den Anwender:innen eine sehr wertvolle Entscheidungshilfe an die Hand.

Was kann beispielsweise ein Instandhalter mithilfe eines digitalen Zwillings erkennen?


Mit einer Grenzwertbetrachtung relevanter Prozessdaten der Anlage in Verbindung mit dem digitalen Zwilling nahe Echtzeit können beispielsweise Anomalien der Anlage sichtbar gemacht und zeitnah darauf reagiert werden, noch bevor es zu ernsthaften Problemen oder Störungen kommt. Angenommen, die Maschine vibriert zu stark und überschreitet damit den Grenzwert, wird das im Zwilling angezeigt. Den auffälligen Bereich kann man farblich kenntlich machen, um dem Instandhaltungstechniker mitzuteilen, dass er hier genauer hinschauen muss. Das ist ein Beispiel für vorausschauende Wartung.

(Lesen Sie auch: Smart Factories: Die Zukunft der Produktion ist intelligent, vernetzt und anfällig)

Steffen Rattke
Für Steffen Rattke, PreSales-Leiter bei der German Edge Cloud GmbH & Co. KG, ist klar, dass Digitalisierung in der Produktion ein essentiellen Wettbewerbsfaktor sein wird. - © GEC
Wenn die Maschinen einmal selbstlernend und selbststeuernd sind, kommen wir in eine Phase, die man teilautonome, autonome oder sogar Darklight-Produktion nennen könnte.
Steffen Rattke

FACTORY: Wie kann man auf Basis des digital Twins Prozesse optimieren?

Steffen Rattke: Ich brauche zunächst Sensoriken, also Datenpunkte in der Produktion. Man sammelt Daten, bereitet sie auf und kann daraus Analysen erstellen. Man setzt die Daten in Korrelation zueinander und kann dadurch feststellen, wie sie sich aufgrund weiterer Parameter verändern. Mit diesem Wissen kann man Optimierungspotenziale erkennen und Maßnahmen einleiten. Heute passiert das meist noch semi-automatisch, es müssen also noch Menschen die Optimierung vornehmen.

Sie sagen „noch“ – wie soll das zukünftig passieren?


Wenn die Maschinen einmal selbstlernend und selbststeuernd sind, kommen wir in eine Phase, die man teilautonome, autonome oder sogar Darklight-Produktion nennen könnte. In dieser nehmen die Maschinen vollautonom ihre Steuerung und vor allem ihre selbständige Optimierung vor.

Wann soll diese Vision der Darklight-Produktion Realität werden?


Teilautonom funktioniert das KI-basiert sicherlich schon relativ zeitnah. Für eine vollautonome Fabrik, ganz ohne Menschen, werden noch mehrere Jahre ins Land ziehen. Die gute Nachricht: Schon die Stufen davor bieten große Optimierungspotenziale und lohnen sich.

Welche Anwender:innen haben Sie als German Edge Cloud speziell im Auge?


Wir sprechen vorrangig die Fertigungsindustrie, insbesondere die diskrete Fertigung von Einzelgütern und die Automotive-Industrie an. Hier bringen wir unsere Erfahrung ein, eine lückenlose Produktionsdokumentation anhand eines serialisierten Produktes zu schaffen - Stichwort Track & Trace.

In Hannover haben Sie den digitalen Produktionszwilling eines Rittal Werks gezeigt. Was war dabei die Besonderheit?


Viele Kunden haben uns darauf angesprochen, dass es bisher wohl kaum einen so detaillierten Einblick in eine laufende Fertigung gab, die wirklich voll produzierte - nicht im Laborbetrieb oder zu Forschungszwecken. Ein echter digitaler Produktionszwilling eines hochmodernen, nach den Grundsätzen des Industrie 4.0 funktionierenden Werkes. Es ist hoch automatisiert und hochgradig digital integriert. Das heißt noch nicht, dass es 100%ig durchgängig smart ist. In Haiger haben wir mit der Transparenz und der Verbindung der Datenräume rund um Anlagen, Produkte und Fertigungsprozesse die Grundlage für die Smart Production geschaffen und kommen jetzt immer schneller voran.

(Ebenfalls interessant: Digitaler Zwilling, welche Ersparnis bringt die virtuelle Abbildung?)

Der Shopfloor des Rittal-Werks in Haiger.

- © Rittal
Die Kunst ist es, die relevanten Daten zu filtern, zu qualifizieren, dann in ein standardisiertes Industrie-Datenmodell zu überführen und zu wertvollen Informationen zu verdichten.
Steffen Rattke

FACTORY: Können Sie sagen, wie viele Daten hier für den digitalen Zwilling benötigt werden?

Steffen Rattke: Im Werk in Haiger entstehen täglich zwischen 11 und 18 Terabyte an Daten. Davon brauchen wir aber bei Weitem nicht alle, um die reale Produktion virtuell sinnhaft abzubilden bzw. Optimierungspotentiale sichtbar zu machen. Die Kunst ist es, aus „allen“ Daten die relevanten Daten zu filtern, zu qualifizieren, dann in ein standardisiertes Industrie-Datenmodell zu überführen und zu wertvollen Informationen zu verdichten. Aus dieser validen, strukturierten und normierten Datenbasis bedienen sich über komfortable API-Zugriffe diverse Services, so auch der Service für den digitalen Zwilling der Produktion.

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Die virtuelle Fabrik, mit dem Softwaretool von German Edge Cloud erstellt.

FACTORY: Wie aufwendig ist es, einen digital Twin einer Fabrik zu implementieren?

Es ist ein Transformationsprozess. Wir beginnen immer mit kleinen Schritten, beispielsweise mit einer Maschine, und digitalisieren zunächst einen überschaubaren Bereich. Das hat den Vorteil, dass die Kund:innen nicht sofort hohe Investitionen tätigen müssen. Wenn sie aber sehen, was sie mit den Daten machen können, wie schnell sie die Daten generieren, eine hohe Transparenz schaffen und daraus Optimierungspotenziale heben können, können wir den Zwilling Step-by-Step auf ein ganzes Werk ausrollen. Oder auf mehrere Werke. Es geht darum, das Zielbild zu erkennen und es mit den individuell effektivsten Einzelschritten als Module anzugehen. So entsteht für das Unternehmen auch die Wertschöpfung Schritt für Schritt. Darauf ist die Software-Architektur des DPD als Composable Software mit Microservices ausgelegt.

Welche unterschiedlichen Rollen spielen dabei Edge und Cloud?

Je nach Anforderung spielen beide Lösungsansätze eine Rolle, manchmal auch in Kombination. Ist z.B. die Kritikalität von Daten, Prozessen und Reaktionszeiten von hoher Relevanz, so ist eine Datenhaltung und Prozessverarbeitung nahe der Datenquelle wichtig. Hier kommt dann eine Edge-Lösung zum Tragen. Gibt es keine kritischen Daten oder Prozesszeiten und ist stattdessen eine hohe Rechenskalierbarkeit gefragt, um beispielsweise einen KI-Algorithmus zu berechnen, dann ist es sinnvoll, die Cloud zu nutzen. Weil wir mit dem Oncite DPS beides können, sowohl auf der Edge als auch auf der Cloud, ist unser Konzept für die Kund:innen nahezu beliebig skalierbar.

Welche Bedeutung messen Sie dem Konzept der Industrie 4.0 für Ihren digitalen Zwilling bei?

Steffen Rattke: Industrie 4.0 ist 2011 erstmals in einer Acatech-Studie beschrieben worden. Dazu gehört die Vernetzung der Maschinen, Anlagen und IT-Systeme, genauso wie Künstliche Intelligenz, Edge und Cloud und natürlich die Brücke zwischen der realen und virtuellen Welt. Ein Schlüsselkonzept von Industrie 4.0 wiederum ist der digitale Zwilling. Doch ein einzelner Digitaler Zwilling reicht noch nicht. Die Gartner Group hat kürzlich beschrieben, dass sich eine echte Smart Factory nur mit mehreren digitalen Zwillingen abbilden lässt.

Wie unterstützt die Friedhelm Loh Group diese Vision der Smart Factory?


Eplan und Rittal treiben den Aufbau des Digitalen Zwillings der Maschinen und Anlagen voran und machen die Daten im Betrieb nutzbar. Cideon steigert die Datendurchgängigkeit rund um den digitalen Produktzwilling mit Erfahrung in CAD/CAM, PDM/PLM und in der Produktkonfiguration. Und wir machen mit dem Oncite DPS die Informationen der Anlagendaten zur Vernetzung und Visualisierung der Prozesse als Digitalen Fertigungszwilling nutzbar.