Künstliche Intelligenz : KI in der Qualitätssicherung:
Wie zwei Hackathon-Nerds die Inspektion automatisieren

Für eine Start-up-Gründung müssen oftmals viele Dinge zusammenspielen. Die Begegnung zwischen dem Daten-Enthusiasten Zeeshan Karamat aus Pakistan und dem deutschen Maschinenbau-Ingenieur Florian Ziesche ist sicherlich ein glücklicher Zufall. Während Karamant als 8-Jähriger das Programmieren für sich entdeckte, hat Ziesche schon als Kind in der Fabrik seines Großvaters Produktionsluft geschnuppert. In Pakistan gründete Karamat mehrere Software- und IT-Firmen, bevor er schließlich an der TU München landete. Ziesche arbeitete zunächst im Familienbetrieb und heuerte dann bei BMW an. Kennengelernt haben sich die beiden vor sechs Jahren auf einem Hackathon. Sie taten sich zusammen und fuhren zahlreiche Siege ein. Die finanzielle Grundlage für ihr KI-Start-up war damit geschaffen.

Vor 3,5 Jahren gründeten die beiden ihre gemeinsame Firma, eine Ausgründung aus BMW, die die Vision-Qualitätskontrolle automatisieren und digitalisieren soll. Damals noch unter dem Namen FotoNow, erfolgte im Frühling 2022 die Umbenennung in 36ZERO Vision. Begonnen hat alles mit einem I-Phone, mithilfe dessen beim Automobilriesen automatisch Bilder von den vorbeifahrenden Türen aufgenommen wurden. Innerhalb von BMW haben es Ziesche und Karamat damit zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Sie konnten ihre Software weiter testen und haben zusätzlich zur Erkennung der Bauteile immer schwierigere Fehler hinzugefügt, wie etwa fehlende Bauteile oder Kratzer.

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Zeeshan Karamat startete mit 8 Jahren seine ersten Programmier-Projekte.

KI statt Hardware

Wie sieht der Status-Quo in der Qualitätskontrolle aus? „QS-Lösungen sind unflexibel und nicht skaliertbar“, so das Hauptargument der Start-up-Gründer. „Die vielen Kameras brauchen sehr konsistente Umgebungsbedingungen und alles muss perfekt definiert sein, um überhaupt zu funktionieren“, meint Ziesche. Beim Bild-zu-Bild-Abgleich komme es schon bei einer Reflexion, einer Verschmutzung oder leichten Kameraabweichung zu einer Fehlermeldung. Das mache diese Vorgehensweise sehr anfällig.

Mit 36ZERO Vision geht man einen anderen Weg, wie Ziesche formuliert: „Wir nähren das Muster des Algorithmus“. Ein Vorteil, der sich daraus ergibt: der Algorithmus erkennt ein Bauteil auch in der Bewegung. Der nächste Schritt ist das Markieren der zu untersuchenden Fläche, sowie das Markieren des Fehlermerkmals. Daraus lernt der Algorithmus das Fehlermuster und sucht dann im gesamten Bereich nach diesem vorgegebenen Muster. Auch hier unterscheidet sich der Zugang von jenem herkömmlicher Systeme. „Wir lernen hier speziell das Fehlermuster und nicht die Abweichung“, so Ziesche. Schließlich werden die Fehlertypen, -Merkmale und -Uhrzeiten von der gesamten Produktion aufgezeichnet und etwa auf dem Industrie-PC angezeigt.

Traditionell stellt man 15 Kameras mit Beleuchtung auf. Da kann das Umrüsten mehrere Wochen dauern.
Florian Ziesche

Einrichten und Umrüsten

Das Einrichten funktioniert über eine Plattform, auf der man Anwendungen anlegen kann. Dort markiert man die Fehler. Man legt bis zu 30 verschiedene Kategorien an – alles mit einer Kamera. Wenn das System fertig trainiert ist, was laut Ziesche nur 30 Minuten dauert, kann es auf der Produktionslinie genutzt werden. „Traditionell stellt man 15 Kameras mit Beleuchtung auf. Da kann das Umrüsten mehrere Wochen dauern“, erklärt Florian Ziesche. Statt der Hardware muss man mit 36ZERO Vision jedoch nur die Software verändern. Mit ein paar Klicks kann man dadurch die komplette Linie zur Qualitätskontrolle umstellen. Bei der Genauigkeit liegt das Münchner Jungunternehmen laut eigenen Aussagen 18mal besser als die Technologieführer NVIDIA und Google.

Mit KUKA haben Ziesche und Karamat einen Partner ins Boot geholt. In deren Fabrik haben sie einen gemeinsamen Use Case aufgesetzt, wo sie ihr System integriert haben. Simon Hellwig, Senior Application Developer bei KUKA, zeigt sich darüber zufrieden: „Durch die Vielseitigkeit von 36ZERO Vision zusammen mit unseren Robotersystemen kann die visuelle Qualitätskontrolle für die Fertigung grundlegend verändern werden“. Dadurch, dass die Software Hardware-agnostisch ist, läuft sie auf jeder Industriekamera – für Pilotprojekte kann nach wie vor ein I-Phone genutzt werden.

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Florian Ziesche findet, Gründer müssen eine gewisse Risikobereitschaft mitbringen.

Drei Millionen Investment

Ziesche bezeichnet sich selbst als risikofreudig. „Die Absicherung ist am Anfang nicht so groß, aber auch nicht das Bedürfnis danach. Und wenn wir gescheitert wären, hätten wir das auch akzeptiert.“, reflektiert er. Im Moment sieht es aber nicht nacht Scheitern aus. 2021 hat das Start-up drei Millionen an Investments von JOIN Capital und Angel investors erhalten, um es in Europa und insbesondere in der DACH-Region zu etablieren. Dennoch bleibt für die Unternehmer immer ein Restrisiko. „Dazu ist nicht jeder bereit. Gerade, wenn man stattdessen gute Jobs annehmen könnte“, gibt Ziesche zu bedenken.

Zuletzt ist 36ZERO Vision eine neue Partnerschaft mit Bosch Rexroth und deren Ctrlx World Ecosystems eingegangen. Es zählt somit zu den ersten Firmen, die auf der Plattform gelistet sind - mit dem Zweck die Fertigung komplett zu digitalisieren und zu vernetzen.

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