Interview : Siemens Vice President:„Digitalisierung ist die Grundlage für mehr Nachhaltigkeit“
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
FACTORY: Frau Devola, Sie haben unter anderem ein Maschinenbau-Studium absolviert, das Sie 1998 abgeschlossen haben. Wie stark lag der Fokus schon zu Ihrer Zeit auf den Themen der Digitalisierung?
Eryn Devola: Wir haben uns definitiv damit beschäftigt, wenn auch die Vorstellung von Digitalisierung damals eine ganz andere war. Ich erinnere mich, dass ich mich mit den Vorgängern der Teamcenter Software und des CAD/CAM/CAE-Systems NX beschäftigt habe, die an meiner Hochschule zur Verfügung standen. Als Maschinenbauingenieurin war für mich die Möglichkeit Dinge zu modellieren etwas Neues. Heute kann man solche Simulationen viel schneller und mit viel weniger Rechenleistung durchführen.
Hatten Sie so etwas wie einen Aha-Moment, nachdem Sie erkannten, wie viel Potenzial in Daten steckt, um sie für die Ziele der Nachhaltigkeit zu nutzen?
Ich war Produktionsleiterin, bevor ich Vice President für Nachhaltigkeit bei Siemens wurde. Und ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich auf unseren Dashboards sehen konnte, was sich gerade in meiner Produktion befindet, und sogar, was diese Woche ausgeliefert wird. Ich konnte sehen, welche Aufträge eingehen, und ich hatte einen Einblick in all die wichtigen Frühindikatoren und in die Prozesse. Alle diese Dinge auf einem Bildschirm sehen zu können, das war für mich wirklich ein Aha-Moment.
Würden Sie sagen, Transparenz ist der eine Aspekt, der der nachhaltigen Produktion am meisten Schub gibt?
Das glaube ich absolut. Zuerst benötigt man transparente Einsichten, dann die richtige Zuordnung der Daten und schließlich Präzision. Die Transparenz gibt einem die Möglichkeit zu sehen, was vor sich geht. Wenn man die Daten hat, kann man erkennen, wo vielleicht ein Fehler ist und wo man nachkorrigieren muss. Danach kann man immer spezifischer werden und nicht nur sehen, was in einer Fabrik vor sich geht, sondern auch was in einer bestimmten Linie oder in einer bestimmten Maschine passiert.
Entdecken Sie jetzt
- Lesen
- Videos
-
Podcasts
- Staubmanagement in der Produktion 16.10.2023
- Automatisierung in der Messtechnik 11.09.2023
- 3D-Druck: Neuigkeiten und Trends 17.01.2023
Wenn man in der Lage ist, Daten in eine Entscheidung einfließen zu lassen, und über analytische Hilfsmittel verfügt, dann kann das wirklich einen Unterschied machen.
FACTORY: Wenn man von Digitalisierung spricht, meint man ja oft verschiedene Technologien. Welche würden Sie als die vielversprechendste ansehen?
Eryn Devola: KI ist aktuell am spannendsten. Wir überlegen viel, wie wir künstliche Intelligenz in unsere Produkte einbauen können, in die Art und Weise, wie man Material kauft und wie man seine Produktion plant. Das Chat-GPT-Tool war in letzter Zeit stark im Licht der Aufmerksamkeit. Daher haben wir uns angeschaut, ob wir mehr damit anstellen können als es als lustiges Tool zum Schreiben von Aufsätzen zu verwenden. Wir möchten es zu einem industriellen Tool machen und diese kollektive Intelligenz nutzen.
War es denn wirklich neu für Sie?
Die Offenheit und breite Verfügbarkeit, ist das, was sich an Chat GPT neu anfühlt. Und ehrlich gesagt bin ich auch von der Qualität des Tools überrascht, auch wenn es natürlich noch Bereiche gibt, in denen es nicht so gut funktioniert. Daher müssen wir darauf achten, wie wir mit diesen Analysen umgehen.
Wo sehen Sie das Potenzial von Large Language Models wie Chat GPT im industriellen Einsatz?
Wenn man in der Lage ist, Daten in eine Entscheidung einfließen zu lassen, und über analytische Hilfsmittel verfügt, dann kann das wirklich einen Unterschied machen. Ich hatte früher auch schon Daten, aber die waren unzusammenhängend oder ich hatte Excel-Tabellen mit Tausenden von Zeilen und konnte sie nicht visualisieren. Hier kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel, da sie Dinge voraussagen und darauf regieren kann. Sie kann zum Beispiel die Reihenfolge umstellen, in der die Dinge die Produktion durchlaufen. Oder sie kann das Kaufverhalten verändern.
Können Sie ein Beispiel nennen, wo bei Ihnen die generative KI bereits eingesetzt wird?
Wir haben sie in einigen unserer Energiemanagement-Tools eingebaut, die Energiedaten visualisieren und somit Informationen bereitstellen, die bei der Entscheidungsfindung helfen.
Ebenfalls interessant: KI = Kritische Infrastruktur
Der Wandel hin zu einer nachhaltigen Produktion fühlt sich überwältigend an, aber kein Unternehmen fängt bei null an.
FACTORY: Ihre Tätigkeit als Vice President für Nachhaltigkeit zielt auf eine umweltbewusste Produktion ab. Wie sehr müssen Sie innerhalb des Unternehmens noch argumentieren, dass dies ein wichtiges Thema ist?
Eryn Devola: Es ist weniger Argumentation als vielmehr Aufklärung. Ich sorge dafür, dass sich die Leute bewusst sind, dass das, was sie tun, Auswirkungen auf die Umwelt hat. Sei es in Bezug auf Geschäftsreisen, auf die Art der Maschine, die einsetzt werden, auf den Fußabdruck eines Gebäudes, das neu gebaut wird oder auf die Konstruktion von Produkten. Unsere Design-Tools berücksichtigen beispielsweise 15 Umweltparameter neben all den anderen Anforderungen. Ich kann also den Schadstoffgehalt eines bestimmten Stoffes in meinen Entwurf einfließen lassen und nicht nur sein Gewicht, seine Größe oder seine Leistungsmerkmale.
Und haben Sie als „Aufklärerin“ bereits eine Veränderung des Umweltbewusstseins innerhalb des Konzerns wahrgenommen?
Viele haben das schon verstanden. Nun gilt es, dass der Rest aufholt und wir eine kritische Masse erreichen. Der Markt hat sich in den letzten zwei Jahren stark bewegt. Dennoch wird es immer Organisationen und Menschen geben, die mehr Zeit für Veränderung brauchen.
Und wie ist hier Ihre Erfahrung auf Kund:innenseite?
Viele Unternehmen haben sich kühn und in gewisser Weise revolutionär dem Pariser Abkommen verpflichtet. Und jetzt stellen sie fest, dass das Jahr 2040 schneller kommt, als sie anfangs dachten. Daher müssen sie die guten Vorsätze jetzt in eine Strategie und konkrete Maßnahmen umwandeln. Zusätzlich zielt die EU-Taxonomie, deren letzte vier Kapitel im April veröffentlicht wurden, über die bereits veröffentlichten Klima-Policys hinaus und es gibt Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen und die CSR-Richtlinie, die für das Geschäftsjahr 2025 in Kraft tritt. All das übt eine Menge Druck aus – sowohl von politischer Seite als auch von der Unternehmensleitung. In der traditionellen Fertigung achtet man bereits sehr darauf, was innerhalb eines Werks passiert. Jetzt aber wird von Unternehmen verlangt, dass Sie die Verantwortung für alles, was Sie produzieren, bis zum Ende seiner Lebensdauer übernehmen, einschließlich der gesamten vorgelagerten Lieferkette. Das ist sehr komplex und erfordert, dass die Menschen zusammenarbeiten, indem sie Daten austauschen und gemeinsam eine Lösung finden. Ich halte das in vielerlei Hinsicht für großartig, weil es die Menschen zusammenbringt und man damit bessere Ergebnisse erzielen kann. Aber es ist auch sehr kompliziert.
Vor allem kleinere Unternehmen haben berechtige Sorge, dass sie bei der fortschreitenden grünen Transformation nicht mithalten können. Was sagen Sie den Unternehmen, um ihnen die Angst zu nehmen?
Ich bin der Überzeugung, dass die Digitalisierung die Grundlage für mehr Nachhaltigkeit ist. Die meisten Industrieunternehmen haben schon seit Langem Maßnahmen ergriffen, um ihren Durchsatz zu verbessern und ihre Emissionen zu verringern, weil es sich finanziell rentiert. Die Aktionen, die Unternehmen einsetzen, um ihre Prozesse zu verstehen, um Qualität und Effizienz zu steigern, sind die gleichen Werkzeuge, die Ihnen beim Wandel hin zu einer nachhaltigen Produktion helfen können. Es fühlt sich also überwältigend an, aber kein Unternehmen fängt bei null an.
Beim Siemens Xcelerator geht es darum, offene Ökosysteme und vernetzte Tools zu haben, so dass wir mit jedem und jeder mit uns interagieren kann.
FACTORY: Welche Rolle soll der Xcelerator von Siemens dabei spielen? Wie hilft er, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammenzubringen?
Eryn Devola: Wir sehen Siemens Xcelerator als einen Weg, um die Transformation zu beschleunigen. Vielleicht haben wir von Siemens nicht die eine Lösung, mit der Sie all Ihre Herausforderungen bewältigen können, aber wir haben einen Teil der Lösung. Und wir haben Partner, die vielleicht den anderen Teil dazu beitragen. Je mehr wir die Menschen zusammenbringen, desto mehr kann der Siemens Xcelerator sein volles Potenzial entfalten.
In welchem Stadium, würden Sie sagen, befindet sich der Siemens Xcelerator im Moment?
Beim Siemens Xcelerator geht es darum, offene Ökosysteme und vernetzte Tools zu haben, so dass wir mit jedem und jeder mit uns interagieren kann. Vor einem Jahr haben wir Siemens Xcelerator offiziell für alle unsere Geschäftsbereiche eingeführt, aber die Grundlagen waren bereits vorhanden. Vor allem in unserem Softwaregeschäft haben wir viele Partner, mit denen wir zusammenarbeiten. Mit Capgemini arbeiten wir beispielsweise an unserer Gigafactory.
Ich höre oft die Frage: „Was können wir als kleines Europa oder das noch kleineres Österreich tun?“ Angesichts der rasanten Entwicklung von riesigen Ländern wie Indien oder China, scheint es oft, als könne man hier wenig bewirken. Wie denken Sie darüber?
Wir leben in einer globalen Wirtschaft, und ich glaube, dass die von der EU erlassenen Vorschriften globale Auswirkungen haben. Die Lieferketten vieler Unternehmen reichen bis nach Europa und umgekehrt. Das kleine Europa und das kleine Österreich haben also einen größeren Einfluss, als sie denken.
(Ebenfalls interessant: Klimaziele in Sicht: Digitalisierungs-Lösungen von Siemens)