Transportlogistik : Physical Internet – wie radikales Umdenken in der Transportlogistik Kosten sparen und die Umwelt schonen soll
„Übermorgen soll alles miteinander reden“, sagt Sandra Stein, Leiterin der Forschungskoordination bei Fraunhofer Austria Research. Digital Green heißt das Schlagwort, bei dem Klimaschutz und Digitalisierung Hand in Hand greifen, um die Transportlogistik in Österreich kostengünstiger und dadurch klimaschonender zu gestalten. Das Leitprojekt PhysICAL (Physical Internet through Cooperative Austrian Logistics) schafft die nötigen Grundlagen zur flächendeckenden Umsetzung. Ziel ist die tiefgreifende Reorganisation des Güterverkehrs und der Logistik. Das Modell für das neue Konzept ist das digitale Internet. Daten finden einen Weg - ohne menschliches Zutun. Dafür sorgen autonome Netzwerke, die miteinander verbunden sind, und technisch standardisierte Internetprotokolle: automatische Transportsteuerung, volle Transparenz über die Ladung im Netzwerk.

Intelligente Ware – intelligentes Netzwerk
IoT Devices auf Waren oder Gütern platziert, können sich durch diese Intelligenz selbstständig durch das ebenfalls mit Sensoren bestückte Transportnetzwerk orchestrieren. Die Elemente, die sich im Netzwerk bewegen und das Netzwerk nehmen die relevanten Informationen auf, prozessieren diese und geben sie weiter. Durch die Transparenz des Datenflusses kann optimiert werden, vorerst in einzelnen Stufen bis zur ganzheitlichen Verbesserung des Transports von A bis Z. „Konkret heißt das: bessere Auslastung der LKW und effizientere Nutzung der Transportwege“, sagt Stein.
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"Bessere Auslastung der LKW und effizientere Nutzung der Transportwege“Dr. Sandra Stein, leitung Forschungsförderung Fraunhofer Institut
Die Produktion wird auf die besten Transportwege angepasst
Noch Zukunftsmusik, bald ein gangbarer Weg - meint Sandra Stein. Im optimalen Fall wird das Unternehmen an eine intermodale Logistikplattform mittels API angebunden. Durch die Vernetzung mit dem Physical Internet weiß der Transport, welche Produkte gerade produziert werden, und welche Rohstoffe das Unternehmen benötigt. Die Produktion wird so angepasst, dass sie genau zum optimalen Zeitpunkt auch transportiert werden kann. Das heißt, die Produktion wird auf die besten Transportwege angepasst. Voraussetzung dafür ist komplette Datendurchgängigkeit und Transparenz – und davor fürchten sich viele. „Wir anonymisieren alle Daten, denn nur so können wir durchgängige Transparenz und Sicherheit für alle Partner erreichen“, meint Sandra Stein.
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Digitaler Zwilling: Kostenkontrolle und Entscheidungsunterstützungssystem
„Wenn Du Variante A nimmst, sparst Du X % CO₂, die Ware wird in diesem Zeitraum geliefert und kostet X €“ - solche Vorschläge bringt der digitale Zwilling. Kosten werden optimiert, der ökologische Aspekte miteinbezogen. Entscheidungen in Echtzeit also, aber nicht nur das. Mit dem digitalen Zwilling wird es möglich sein, auch Entscheidungen aus der Vergangenheit zu evaluieren und dadurch bessere Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.
Eine Zeitersparnis soll sich schon in der Disposition ergeben. Durch die Eingabe in eine vorgegebene Standardmaske ist es möglich innerhalb einer Stunde 83 Container zu buchen. Das heißt, 1 Container in weniger als einer Minute. Die Einbuchung eines Containers dauert auf dem herkömmlichen Weg ungefähr 5 bis 10 Minuten. "Es ergibt sich also eine Zeitersparnis von bis zu einem Faktor zehn", sagt Stein, "Nach einer kurzen Einschulung kann das jeder Disponent".
Skaleneffekte durch Bündelung
„Die Ware wird gerade umgeschlagen und ist vielleicht übermorgen da“ – diese vage Information ist der Bottle Neck für viele Berechnungen. Im Physical Internet ist es in Echtzeit möglich, mit dieser Information zu arbeiten. Durch die durchgängige Kommunikation von Hardware und Software wird die Information sofort weitergeleitet, wenn Verzögerungen eintreten, werden gleichzeitig neue Varianten vorgeschlagen.
Durch Vernetzung entsteht Wissen, das blinde Flecken aufdeckt. So können durch Bündelung extreme Einsparungen erreicht werden. „Heute buche ich 'irgendwas' und der LKW fährt“, sagt Sandra Stein, „niemand weiß, wann und wohin noch andere LWK in der Gegend fahren, oder ob sie voll beladen sind.“ Die Technologie der Plattform bündelt die Teilnehmer automatisch und teilt die Assets - die Fahrzeuge und das Lager. Damit entstehen in erster Linie weniger Kosten, es ist tatsächlich aber auch weniger Verkehr auf der Straße unterwegs und es wird weniger CO₂ produziert, das mittlerweile auch ein Kostenfaktor ist. Das bedeutet, Unternehmen haben einen gewaltigen Kostenvorteil und es ergibt sich auch ein Zeitvorteil, denn das Logistikmanagement ist nicht das Kernbusiness des Unternehmens. Die Daten sind natürlich anonymisiert.
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Vier Pilotprojekte
Insgesamt 17 Projektpartner arbeiten derzeit in vier verschiedenen Piloten an der Realisierung. Smarte Holzlogistik, entwickelt intelligenten Transportgebinde und Transportketten beginnend beim Wald bis hin zu den verarbeitenden Betrieben. Ein weiterer Pilot arbeitet am Aufbau und die Entwicklung einer offenen intermodalen
Transportplattform. Die Optimierungen der Supply Chain im Sinne eines kooperativen und ganzheitlichen Logistikdienstleistungsservice, ist ein Projekt. Der Pilot „neue letzte KEP-Meile“ entwickelt ein Liefer- und Zustell- bzw. Abholprozess mit einer modularen Warenaustauschstation für Sendungen. Anstelle einer Vielzahl von Paketdienstleistern wird zukünftig eine neutrale Flotte Pakete in konsolidierter Form an zentrale Standorte ausliefern. So plant man den Verkehr im innerstädtischen Raum zu verringert und die Lebensqualität zu erhöhen.
„Wir anonymisieren alle Daten, denn nur so können wir durchgängige Transparenz und Sicherheit für alle Partner erreichen“Dr. Sandra Stein, Leitung Forschungsförderung Fraunhofer Institut
Triple Transition
Die Umstellung erfolgt digital, ökologisch und mental. Digital ist vielen verständlich, auch wenn oft noch telefonisch, in manchen Fällen sogar noch mit Fax bestellt wird, ist klar, dass die Digitalisierung voranschreitet. Ökologische Umstellung versteht ebenfalls jeder, doch sofort kommt hier die Kostenfrage auf – nachhaltiges Wirtschaften ist oft etwas „für die, die es sich leisten können“, im privaten wie in der unternehmerischen Sicht. Langsam und vor allem durch die hohen CO₂-Auflagen, die immer stärker zum Tragen kommen, sickert der Gedanke, dass hier zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen sind. Am meisten wird aber der mentale Faktor in der Umstellung, die gerade vollzogen wird, unterschätzt. Mentale Widerstände, Ungewissheit und das „Das haben wir immer schon so gemacht"- Syndrom sind starke und bagatellisierte Faktoren in der Transformation, die massive Auswirkungen auf das zukünftige Geschäftsmodell haben.
Interessierte Unternehmen können hier an einer kostenfreien Testphase teilnehmen.