Gastbeitrag : Vom Digitalen Zwilling zum Industrial Metaverse

Extended Reality (XR)-Software besonders bei Schulungen für neue, aber auch erfahrene Mitarbeitende zum Einsatz.

Extended Reality (XR)-Software kommt besonders bei Schulungen für neue, aber auch erfahrene Mitarbeitende zum Einsatz.

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Wir leben in einer Zeit des Wandels: Energiekrise, Inflation und politische Unruhen sorgen für volatile Märkte. Gleichzeitig müssen Industrieunternehmen ihre CO2-Emissionen drastisch reduzieren, damit sie die anspruchsvollen Ziele des Pariser Abkommens erfüllen können. Sie diversifizieren ihre Energieportfolios, veräußern emissionsintensive Geschäftsbereiche und setzen auf erneuerbare Energien. Industrielle Unternehmen weltweit entwickeln gerade mit Hochdruck Nachhaltigkeitsstrategien, die künftige Investitionen und bestehende Gewinnziele gleichermaßen berücksichtigen sollen. Unternehmen, die dies mit ihrer digitalen Transformation verknüpfen, verschaffen sich im Vergleich mit Wettbewerbern einen strategischen Vorteil. Denn digitalisierte Strukturen ermöglichen einen umfassenden Einblick in Produktions-, aber auch Verwaltungsprozesse.

Unsere Auszubildenden konnten ihre ersten Erfahrungen in der Verfahrenstechnik machen, ohne sich selbst oder die Geräte zu gefährden.
Alexander Karle, BASF-Ausbildungsleiter

Der Digitale Zwilling als Kern der industriellen Digitalisierung

Das Herzstück einer ausgereiften Digitalisierungsstrategie ist der Digitale Zwilling – ein virtuelles Abbild einer realen physischen Anlage, das auf vernetzten Datenströmen beruht. Es führt Echtzeit-Datenquellen, Modelle und Analysen aus dem gesamten Anlagenlebenszyklus auf einer einzigen, virtuellen Plattform zusammen. Dadurch können Unternehmen ihre Produktion und Dienstleistungen optimieren, Ressourcen einsparen und ihren Betrieb effizienter gestalten.

Der staatliche Energieversorger Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) steuert seine industriellen Abläufe über eine Plattform, die vollständig integrierte Echtzeit-Daten visualisiert. Anhand dieser kann das Management strategische Entscheidungen treffen. Mit dem Digitalen Zwilling konnte ADNOC seine Prozesse gezielt optimieren und bereits über 60 Millionen US-Dollar einsparen.

Darüber hinaus können Unternehmen weitere virtuelle Anwendungen auf dem Digitalen Zwilling einer Anlage aufbauen. So kommt Extended Reality (XR)-Software besonders bei Schulungen für neue, aber auch erfahrene Mitarbeitende zum Einsatz. Sie integriert Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) sowie Mixed Reality (MR) und schafft eine immersive, dreidimensionale Trainingsumgebung. Der deutsche Chemiekonzern BASF setzt diese ein, um neue Bediener:innen, Techniker:innen und Ingenieur:innen auszubilden. Dafür hat das Unternehmen aus Ludwigshafen eine Virtual Reality-Version seines regionalen Schulungszentrums basierend auf einem Digitalen Zwilling entwickelt. Auszubildende können dort alle notwendigen Anlagen und Prozesse zunächst virtuell kennenlernen, bevor sie in die reale Werkstatt-Pilotanlage wechseln. Ein Plus für die Arbeitssicherheit: „Unsere Auszubildenden konnten ihre ersten Erfahrungen in der Verfahrenstechnik machen, ohne sich selbst oder die Geräte zu gefährden“, erklärt Alexander Karle, BASF-Ausbildungsleiter für Chemiekanten. Inzwischen absolvieren mehr als 600 Mitarbeitende pro Jahr die virtuellen Schulungen von BASF.

Blick nach vorne: Ein Metaverse für die Industrie

Mit dem Digitalen Zwilling und XR setzt die Industrie bereits wirkungsvolle Technologien ein, um effizienter und sicherer zu produzieren. Mit dem Industrial Metaverse steht sie nun branchenübergreifend vor dem nächsten Schritt. Bislang verbinden viele Menschen den Begriff Metaverse vorrangig mit einer Welt für Konsum und private soziale Kontakte. Doch auch die Industrie profitiert von einer immersiven, vernetzten Umgebung. Das Industrial Metaverse basiert auf dem Digitalen Zwilling und integriert Anwendungen wie XR. Zudem nutzt es mit künstlicher Intelligenz angereicherte Daten und schafft ein geräteübergreifend nahtloses Erlebnis dank 5G und WiFi. Durch diese Elemente legt sich das Metaverse als weitere Ebene über die vorhandenen Strukturen eines Unternehmens.

Als beständige virtuelle Umgebung ermöglicht es dank aktueller technischer Daten eine Zusammenarbeit in Echtzeit zwischen den Teams. Alle Mitarbeitenden können im Metaverse rollenabhängig auf Echtzeit-Betriebsdaten sowie -Abläufe zugreifen und sich austauschen. Damit sie an der immersiven Arbeitsumgebung teilnehmen können, benötigen sie keine VR- oder AR-Ausrüstung oder spezielle Endgeräte. Über ihren Laptop, ihr Tablet oder Smartphone stehen ihnen die 3D-Betriebsumgebung und SCADA-Live-Daten zur Verfügung. Im Industrial Metaverse nutzen Unternehmen also eine virtuelle Live-Abbildung realer Lieferketten und Anlagen, die Mitarbeitende überprüfen, diskutieren und verwalten können – alles auf Basis des Digitalen Zwillings.

Nachhaltigkeit und Interaktion im Industrial Metaverse

Das Industrial Metaverse bietet eine kollaborative Arbeitsumgebung, in der Informationen zu einem Unternehmen und dessen Lieferketten verfügbar sind. Das wirkt sich positiv auf dessen Nachhaltigkeitsziele aus: Das kollaborative Arbeiten im Metaverse verringert CO2-Emissionen durch nun obsolete Geschäftsreisen. Zudem trägt es zu schnellen, ressourcenschonenden Entscheidungen bei und erhöht die (Arbeits-)Sicherheit in den Anlagen. Wagen Unternehmen den Schritt ins Metaverse, bieten sich ihnen vielfältige Gelegenheiten für die innovative Industrie von morgen. Dazu zählen sowohl nachhaltigere Konstruktionen als auch mehr automatisierte Anlagen.

Industrieunternehmen profitieren im Metaverse von einer global vernetzten, sicheren Zusammenarbeit zwischen Kolleg:innen sowie externen Partnern. Im Industrial Metaverse können Mitarbeitende aus verschiedenen Fachbereichen und Hierarchiestufen auf die Informationen des Digitalen Zwilling zugreifen und damit virtuell arbeiten. Gleichzeitig berücksichtigt das Metaverse notwendige Zugriffsrechte und kann den Wert der vorhandenen Informationen erhöhen. Teams können in der virtuellen Umgebung sowohl mit den realen Anlagen als auch untereinander auf eine Art interagieren, die dem persönlichen Austausch stark ähnelt. Der Digitale Zwilling fokussiert letztendlich den Abgleich, die Bereinigung und die Aufbereitung von Datenströmen. Im Kontext des Industrial Metaverse verbindet er jedoch das wichtigste Gut jedes Unternehmens: seine Mitarbeitenden.

(Dieser Gastbeitrag stammt von Simon Bennett, Global Head of Research bei AVEVA)