Open Source : Was Siemens von Mercedes Benz kopiert
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Das Open Source Manifest von Mercedes Benz heimste viel Lob ein. Doch auch die Kritiker waren schnell zur Stelle. PR und Marketing-Gedöns, hieß es bei manchen und den Vorsprung anderer Wettbewerber könne man in Stuttgart auch mit Open Source nicht mehr aufholen. Doch erstmals bekannte sich ein Industrieunternehmen so offensiv zu Open Source und unterstützt seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihren Open Source-Aktivitäten.
Nun, knapp ein Jahr später, zieht Siemens nach. Die Münchener geben sich ebenfalls ein Manifesto Open Source Software – inspiriert vom Mercedes Benz-Ansatz. Copy and pride, heißt es bei Siemens und sie verweisen auf das Manifesto des Autobauers, haben es an ihre Bedürfnisse aber angepasst. „Das ist ein wichtiges Signal an die Branche“, erklärt Dr. Julian Feinauer von Pragmatic Industries. Er ist selbst sehr aktiv in zahlreichen Open Source-Projekten. „Wenn Siemens jetzt Open Source so positiv sieht und das offensiv nach vorne stellt, dann werden auch Mittelständler darüber nachdenken. Dass das Top-Management seine Unterschrift unter das Manifesto setzt, ist ein gutes Zeichen für uns alle“, ist sich Feinauer sicher. Der Mittelstand hadert mit Open Source, weil es an Personal mangelt, das sich mit den Lizenzen auskennt – weil das Geschäftsmodell der Open-Source-Anbieter sich anders strukturiert als klassische Maschinenverkäufe und weil viele noch denken: „Not invented here. Das kann nix sein.“
Lesen Sie auch unser Interview mit der Siemens-Nachhaltigkeitsbeauftragen Eryn Devola: „Digitalisierung ist die Grundlage für mehr Nachhaltigkeit“
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Die meisten Unternehmen wissen kaum, wie viel Open Source Software sie nutzen.
Was treibt Konzerne wie Siemens oder Mercedes Benz an?
Open Source Projekte sind keine Bastlerprojekte mehr. Viele Projekte sind existenziell für Lösungen in der Industrie. Die meisten Unternehmen wissen kaum, wie viel Open Source Software sie nutzen. Gleichzeitig wimmelt es in den Communities nur so von Softwareingenieurinnen und Ingenieuren. Die sind sehr begehrt und wer gute Entwicklerinnen und Entwickler für sich gewinnen will, muss ihnen Freiheiten wie das weitere Pflegen von Open Source Projekten ermöglichen. Und: In den Communities warten Kunden – auch von Siemens. Darüber hinaus spart Open Source Ressourcen in der Entwicklung. Dazu kommt: Wer nicht aktiv in den Communities unterwegs ist, verpasst Innovationen. Denn seit dem Alphabet Leak wissen wir um die Sorgen der Tech-Firmen: Open Source KI wird OpenAI und Google überflügeln und ein nicht genannter Google-Mitarbeiter meint: Open Source hat uns bereits überholt.
Zurück zu Siemens: Die Münchener unterscheiden in eine Unternehmens- und Mitarbeiterperspektive. Das Unternehmen soll Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermutigen, Open-Source-Projekte zu nutzen, zu ihnen beizutragen und sie mitzugestalten – auch während der Arbeitszeit. Das Versprechen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Siemens wird das Lernen und die Weiterentwicklung seiner Mitarbeiter durch Open-Source-Aktivitäten fördern und erleichtern“ und „Siemens wird seinen guten Ruf in der Open-Source-Community kontinuierlich verbessern und aufrechterhalten.“ Der letzte Punkt ist wichtig, denn in den Communities zählen nicht die Firmen, sondern oft die Menschen mehr. Viele Konzerne mussten Lehrgeld bezahlen, dass ihre „Anforderungen“ nicht innerhalb von wenigen Stunden umgesetzt wurden.
Open Source KI wird OpenAI und Google überflügeln.
Der Ton macht die Musik - auch im Bereich Open Source
„Wir erleben seit einigen Jahren sehr viel Interesse an Open Source durch Unternehmen. Das freut uns Entwickler sehr, aber es hapert an vielen Stellen oft an Respekt und Anerkennung für die Arbeit“, sagt Feinauer. Er könne den Frust von Entwicklern verstehen, wenn große Unternehmen sich frei bedienen und man selbst in Notlagen dann nichts von den Profiteuren seiner Entwicklung hört. Feinauer spielt auf einen Fall aus den USA an, bei dem ein Entwickler aus Frust seinen Quellcode gelöscht beziehungsweise neuen, veränderten Code generierte, der viele Anwendungen unbrauchbar machte. Viele Unternehmen verdienen sehr viel Geld damit und sind auf die Entwicklungen aus der Community angewiesen. „Die haben sich auf das Modul verlassen. Der Hobbyentwickler war in einer Ausnahmesituation, bat um Unterstützung und kaum jemand wollte ihm helfen“, berichtet Feinauer. Dieser Vorfall ist ein Sonderfall, aber der Frust ist groß, nicht zuletzt auch wegen der Vorwürfe zur Sicherheitslücke Log4J im Dezember 2021. „Damals waren sofort die Kritiker am Start und eben auch viele Unternehmen, die meckerten: Ah, war ja klar, den Open Source Leuten ist man komplett ausgeliefert. Aber die Community hat sehr schnell Abhilfe geschaffen. Das wurde gerne übersehen, denn bei proprietärer Software dauert es oft sehr viel länger.“
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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Siemens sollen Open Source-Lösungen suchen, bevor sie eigenen Code schreiben oder verwenden.
Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Siemens – was verändert sich für sie?
Sie sollen Open Source-Lösungen suchen, bevor sie eigenen Code schreiben oder verwenden. Das klingt für den Laien nach einer gefährlichen Strategie. Aber es gibt auch bei der Verwendung von Open Source genaue Regeln, Prüfungen und Pipelines, was wie, wo und von wem genutzt werden darf. Siemens Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich in Zukunft aktiv in die Communities einbringen und neue Kolleginnen und Kollegen unterstützen, sich in der Open Source-Welt zurechtzufinden. Die interne Kommunikation ist wichtig, um die Akzeptanz für den Ansatz zu erhöhen. Und: „Die Mitarbeiter verhalten sich in der Open-Source-Gemeinschaft stets verantwortungsbewusst, mit Sorgfalt und Respekt in Inhalt und Kommunikation.“
Und natürlich kann das Siemens Manifesto auch von anderen Unternehmen genutzt werden. Es steht unter einer freundlichen CC0 1.0 Universal (CC0 1.0) Lizenz. Nachahmer aus der Industrie sind erwünscht.
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