Interview : Was Instandhaltungstechniker von Spitzensportlern lernen können
Tobias Dankl: Lars, wie kann man sich ein typisches Wettkampfjahr eines Tennisprofis vorstellen?
Lars Uebel: Wenn man das Turnier in New York sieht, denkt man gleich: „Wow, unglaublich! 24.000 Zuschauer:innen im größten Stadion der Welt.“ Viele Leute glauben, als Tennisspieler sei man dauernd im Urlaub. Doch das ist bei weitem nicht so.
Wie ist es dann?
Uebel: Das Jahr startet zum Beispiel in Australien. Nach einem 20-25 Stunden Flug müssen wir uns auf andere Temperaturen einstellen. Die Bälle fliegen dort ganz anders als z.B in München oder Linz. Dazu kommt der Jetlag. Nach den Turnieren in Australien geht es für die Top SpielerInnen zum Davis Cup, dann für 4-5 Turniere nach Amerika, dann kommen die Turniere in Europa, bevor es im Juli wieder nach Amerika geht. Am Ende des Jahres finden dann die Turniere in Asien statt, bevor es wieder nach Europa zurück geht, wo man sich auf die neue Saisonvorbereitet. Der ‚normale‘ Profi hat im Jahr 25-30 Turnier-Wochen. Dazu kommen noch 6-8 Turnier-Wochen bei den Grand Slams wie Australian Open und Wimbledon. Ein Tennisjahr ist also bis auf 2-3 Wochen voll mit Turnieren und Training.
Wie wichtig ist die technische Infrastruktur für den Profisportler oder die Profisportlerin?
Uebel: Extrem wichtig! Zur technischen Infrastruktur gehören klar die Trainingsgeräte, der Tennisschläger und auch die Schuhe.
(Die Gemeinsamkeiten zwischen Profisport und Instandhaltung waren auch Thema auf der Instandhaltungskonferenz 2022 - hier geht's zum Bericht!)
Es sind 16 Leute dafür zuständig, dass ein Spieler gut Tennis spielt.Lars Uebel
Und welche Bedeutung hat die menschliche Infrastruktur?
Uebel: Die ist sicherlich maßgeblich. Bei den großen Turnieren wie den US Open haben die SpielerInnen für ihr Team 16 Plätze in Ihren Boxen. Es sind also 16 Leute dafür zuständig, dass ein Spieler gut Tennis spielt. Zur menschlichen Infrastruktur gehören Familie und Freunde genauso wie der Trainer, Physiotherapeutinnen, Ernährungsberater, Mentaltrainerinnen, ein Arzt, eine Neuro-Athletiktrainerin usw. Die Nummer 1 der Welt gewinnt 55% aller gespielten Punkte, das heißt 5,5 Punkte von 10 gespielten. Dieses eine Prozent rauszuholen, ist die Aufgabe der Infrastruktur.
Auch in der Instandhaltung ist die Infrastruktur ein wichtiges Thema. Inwiefern würdest du sagen, hat sich das Bewusstsein in Bezug auf Regeneration verändert in den letzten Jahren?
Uebel: Das Thema Longevity hat einen ganz neuen Stellenwert. Mittlerweile spielen die Profis bis sie Mitte oder gar Ende 30 sind – Boris Becker hat damals mit Ende 20 aufgehört. Das Ziel ist, dass man länger, gesünder und auf höherem Niveau Sport machen kann. Früher hat man weniger auf die Ernährung geachtet. Mittlerweile ist auch das Catering bei den Turnieren deutlich größer und es wird auf die Unverträglichkeiten eines jeden Spielersindividuell eingegangen. Bei den Turnieren gab es nur einen Physiotherapeuten für alle Spieler, heute sind es 16-20 Physiotherapeut:innen, die sich um die SpielerInnen kümmern.
Seit 2008 bist du als Coach für Profis sowie Jungprofis verantwortlich und zählst Deutschlandweit zu den besten! Was ist deine spezielle Aufgabe als Coach und wie gehst du mit der Next Generation um?
Uebel: Grundsätzlich ist meine Aufgabe, dass der Spieler gewinnt! Mit einem gestandenen Profi ist es so, dass er durch die Erfahrungswerte, die er mitbringt, ganz klar weiß, was er will. Da ist meine Aufgabe dann, Leistung in eine bestehende Infrastruktur zu bringen und entsprechende Add-Ons zu integrieren. Bei einem jungen Spieler, der noch sehr roh und wild ist, kann ich viel mehr Einfluss ausüben, begleitend dabei sein, gewisse Sachen fordern und Ideen umsetzen. Auch wenn man bei jungen Spielern nicht in den großen Stadien unterwegs ist, macht mir das sehr viel Spaß.
Ungeduld ist einer der schlimmsten Fehler.Lars Uebel
Wie lange, würdest du sagen, ist der Weg bis zur Weltspitze?
Uebel: Das Durchschnittsalter für den Eintritt in die Top 100 der Welt liegt bei den Herren bei 25 und bei den Damen bei 24 Jahren. Die Ausbildung fängt zwischen 14 und 16 Jahren an, also dauert die Ausbildung bei uns Tennisspielern zwischen 8 und 10 Jahren. Ausgenommen sind sogenannte Generationen-Talente wie ein Thomas Muster, Dominic Thiem, Boris Becker oder Sascha Zverev. Die Chance es in die Top 100 zu schaffen und damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, liegt allerdings bei unter 1 Prozent.
Was sind die drei zentralen Erfolgsfaktoren, die du als entscheidend erachtest?
Uebel: Die intrinsische Motivation ist die Grundvoraussetzung für absoluten Spitzensport. Diese muss der Athleteinfach mitbringen. Als zweites sehe ich das Umfeld. Das muss gut zusammenpassen und ebenfalls die entsprechende Motivation mitbringen. Und am Ende des Tages gehört im Profisport auch ein bisschen Glück dazu.
Was sind die drei schlimmsten Fehler, die ein Spieler oder eine Spielerin machen kann?
Uebel: Ungeduld ist bestimmt einer der schlimmsten Fehler. Nicht nur die Ungeduld des Sportlers, sondern auch die des Umfelds, weil Erfolge nicht schnell genug erreicht werden. Ein Fehler ist es auch, wenn sich ein Spieler oder eine Spielerin zu viel auf die Leute aus dem Umfeld verlässt. Ein starkes Team verleitet SpielerInnen manchmal zu dem Glauben, dass die Dinge schon ihren Lauf nehmen. Und ein dritter Punkt ist die falsche Sparsamkeit. Als Spieler in den Top 100 der Welt verdient man zwischen 350.000 und 500.000 Euro im Jahr. Wenn man das Geld lieber in Luxusartikel als in seine Infrastruktur investiert bleibt der Erfolg auf der Strecke.
(Lesen Sie auch: Descovich: „Instandhalter, löst euch von dem 100-Prozent-Ansatz!“)