Adaptive Arbeitssysteme : Intelligent und maßgeschneidert: Adaptive Arbeitssysteme in der Produktion

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Flexible Arbeitsorganisation ist im Bereich der Wissensarbeit Standard und hilft Unternehmen, flexibel auf Kundenwünsche und Änderungen zu reagieren. Gleichzeitig ermöglicht sie Arbeitnehmenden, Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Homeoffice, Gleitzeit und Remote-Work definieren die Arbeitsorganisation. Im Bereich der Arbeitsplatzgestaltung stehen zumeist anpassbare Sitzmöbel und Tische zur Verfügung, oft auch unterschiedliche Arbeitssituationen für die ungestörte Alleinarbeit, Meetings und kreative Projektzusammenarbeit.

Pandemie als Themenbeschleuniger

Ein Arbeitsplatz in der Produktion ist hingegen in den seltensten Fällen anpassbar. Vielleicht können Sie noch die Arbeitshöhe an Ihre Körperhöhe anpassen, aber das war es dann meist auch. Arbeitszeit, -organisation und die Nutzung etwaiger Assistenzsysteme hinken den aktuellen Möglichkeiten in Bürobereichen hinterher. Das hat auch lange niemanden gestört, ändert sich aber, seit die COVID-19-Pandemie die Ungleichheit zwischen Blue Collar und White Collar Jobs dramatisch verstärkt hat. Flexibilität in Bürobereichen ist heute Standard, in der Produktion hingegen selten. Auch das ist ein Grund für den massiven Arbeitskräftemangel, den wir aktuell erleben. Dabei stehen uns schon längst vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung, Arbeitsplätze und ganze Arbeitssysteme adaptiv an die Anforderungen des Prozesses und personalisiert an die Bedürfnisse der Nutzenden anzupassen.

Vorteile durch maßgeschneiderte Arbeits- und Assistenzsysteme

Industriell nutzbare Sensorik und Geräte zur dynamischen Informationsanzeige und Manipulation von Bewegungs- und Arbeitsräumen ermöglichen schon heute Arbeitsplätze, die sich je nach Nutzer und Arbeitsaufgabe verändern. Dies geht von der automatischen Änderung der Arbeitshöhe (in Abhängigkeit von Tätigkeit und Nutzer) über die Beleuchtung, Informationsanzeigen im direkten Sichtfeld bis hin zu Materialbereitstellungen im individuell angepassten Greifraum und betrifft nicht nur den „klassischen“ Einzelarbeitsplatz, sondern auch individualisierte Arbeitssysteme in der Großgerätemontage. Hier werden beispielsweise Arbeitsinformationen für die Einzelprozessschritte je nach Erfahrungsstand der Mitarbeitenden direkt am Verbauort projiziert.

Effekte auf Produktivität und Akzeptanz

Vereinzelt wird das Thema allerdings diametral gegenläufig zur Prozessstandardisierung und One-Best-Way-Ansätzen aus dem Lean Manufacturing gesehen. Ich halte diese Zuspitzung für falsch, da die produktivste Arbeitsausführung für jeden Einzelnen schon aufgrund körperlicher Voraussetzungen unterschiedlich ist. Denken Sie nur an die Links- bzw. Rechtshändigkeit oder Greifräume, die für einen 1,90 m großen Mitarbeiter natürlich im besten Fall anders aussehen als für seine 1,60 m große Kollegin. Gleiches gilt für unterschiedliche Kenntnis- und Erfahrungsstände. Bezogen auf die Akzeptanz individueller Arbeitssysteme existieren zwar noch keine repräsentativen Studien, aber zahlreiche positive Erfahrungen (wie bspw. diese hier*). Bleibt noch das Thema der Industrialisierung bzw. der Bezahlbarkeit adaptiver Arbeitssysteme. Hier ist noch einiges zu tun in Forschung und Industrie. Ich denke aber, dass die Attraktivität von Arbeitsplätzen und Unternehmen zukünftig ein Auswahl- und Entscheidungskriterium für die überall gesuchten Arbeitskräfte in der Produktion werden wird – und dieser Weg geht nur über adaptive Arbeitssysteme.

*M. Heinz-Jakobs, H. Oestreich, S. Wrede and C. Röcker, "User Expectations Regarding Design Dimensions of Adaptive Assistance Systems," 2022 15th International Conference on Human System Interaction (HSI), Melbourne, Australia, 2022, pp. 1-7, doi: 10.1109/HSI55341.2022.9869509.