Wolfgang Weidinger im Interview : „Die IT weist uns mit ihrer Offenheit den Weg“

FACTORY: Herr Weidinger, IT und OT wachsen immer mehr zusammen. Welche Vorteile bringt diese Entwicklung den Anwender:innen?

Wolfgang Weidinger: Der große Vorteil aus Anwendersicht ist, dass ich mit einem Gerät beide Themenbereiche abdecken kann. Das heißt, ich kann IT und OT auf einem Gerät verschmelzen. Wir bieten nun eine Softwareplattform für IIoT und Automation, die offen, flexibel und unabhängig ist. Das Automatisierungsbetriebssystem u-OS basiert auf offenen, etablierten Standards wie Linux, Container-Technologie oder OPC UA und ermöglicht die Einbindung von eigenen sowie Fremdanbieter-Apps. u-OS ist damit einfach erweiterungsfähig und unterstützt Automatisierer durch bedienerfreundliches Engineering, Systeme individuell und webbasiert zusammenzustellen. Das macht Anwender und deren Kunden unabhängig, flexibel und zukunftsfähig.

Nun ist es ja so, dass in der OT die Systeme unterschiedlicher Hersteller oft noch nicht miteinander kompatibel sind. Was ist hierbei das größte Problem?


Wenn jeder ein eigenes System hat, dann ist die Hardware nicht austauschbar. Das bedeutet auch, wenn ein Hersteller nicht liefern kann, dann steht die Anlage. Die Corona- und Lieferkettenprobleme haben dafür gesorgt, dass sich jeder mit Second Source absichern will. Und das spiegelt sich jetzt auch in der Automatisierungstechnik. Mit unserem u-OS stellen wir dafür ein Bindeglied zur Verfügung. Damit geben wir dem Kunden mehr Freiraum. Auch mit dem Wissen, dass wir im schlechtesten Fall weniger Hardware verkaufen, weil man unsere Software auch auf Fremdgeräten laufen lassen kann.

Wie schaffen Sie diesen Freiraum?


Unser Ansatz ist ein neues Betriebssystem, das sich u-OS nennt. Es handelt sich dabei um ein zentrales Betriebssystem, mit dem man Geräte unabhängig auf unterschiedlicher Hardware laufen lassen kann. Unser u-OS ist Linux basiert und bietet damit schon eine gewisse Offenheit. Außerdem geben wir damit die Möglichkeit von Schnittstellen mit unterschiedlichen Apps. Bisher ist es so, dass die meisten Firmen ein Derivat, eine Abwandlung, von Codesys verwenden. Wir haben uns dafür entschieden, dass wir das native, ursprüngliche Codesys verwenden, das auf u-OS laufen kann. Wir benötigen also auch keine eigene Weidmüller Runtime.

Weidinger
Wolfgang Weidinger übernahm 2018 die operative Führung von Weidmüller Österreich. - © Weidmüller
Wenn jeder ein eigenes System hat, ist die Hardware nicht austauschbar. Wenn ein Hersteller nicht liefern kann, dann steht die Anlage.
Wolfgang Weidinger

Was ist, abgesehen von der Offenheit, der größte Unterschied zwischen u-OS und anderen Automatisierungsplattformen?

Wir legen größten Wert darauf unser Betriebssystem so Nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten und alle Anwendungsfällen aus der OT im IIoT Welt auf allen Weidmüller Geräten gleich gut bedienen zu können. Die Einbindung eines drahtlosen Virabtionssensors an unsere Steuerungen oder die Anbindung an unsere – oder auch 3rd-party – Cloudlösungen sowie die Ausführung eines Visualisierungsservers auf der Hardware sind nur einige der vielen Beispiele, die möglich sind.

Rollt man damit nicht den Mitbewerbern den roten Teppich aus?


Das ist eine Frage der Philosophie: Überzeuge ich mehr Kund:innen, wenn ich sage, ihr könnt Mitbewerber in mein System einbinden oder ist es besser, ich koche meine eigene Suppe und lasse nur die eigene Hardware zu? Und da glauben wir, dass uns die IT mit ihrer Offenheit von Systemen den Weg weist. Dass die Vorteile den Nachteilen überwiegen, zeigt uns auch das positive Feedback, das wir von Kund:innen erhalten.

Mit dem neuen Betriebssystem möchten Sie die Stabilität von Automatisierungslösungen mit den Möglichkeiten von IIoT vereinen. Was genau bedeutet das?


In der Industrie erwartet man sich Hardware, die sich schon länger etabliert hat, die Stabilität mitbringt und gewisse Normen erfüllt. Die Systeme der Automatisierung, also die OT, sind daher sehr langlebig, während es in der IT-Welt eher dynamisch zugeht. Das heißt, IT-Spezialist:innen sind es gewohnt, dass es immer wieder Updates gibt. Für einen Automatisierer hingegen stellt ein Update immer ein Risiko dar.

Bedeutet Risiko in diesem Fall Fehleranfälligkeit?


Genau. Wobei die Automatisierungstechnik in den letzten Jahren viel dynamischer geworden ist als früher. Davor waren Systeme durchschnittlich fünf bis zehn Jahre im Einsatz, bevor es wieder ein neues gegeben hat. Nun werden aber auch hier die Technologien schnelllebiger und vermischen sich mit der IT-Welt.

© Weidmüller

Inwieweit verändert sich die Bedeutung von Open Source?

Open Source ist ein Riesenthema
. Daher haben wir das auch bei u-OS berücksichtigt, wo man Programmiersysteme wie Node Red einbinden kann und wo es eine Community gibt, die Bausteine oder Beispiele ausprogrammiert. Über diesen Weg kann der Kunde oder die Kundin auch andere Systeme einbinden.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Kund:innen mit dem System gut umgehen können und das Betriebssystem auf ihre eigenen Bedürfnisse anpassen oder erweitern können?


Die Community von etablierten Anwendungen wie Docker ist riesig, also muss nicht jedes Mal das Rad neu erfunden werden. In Zukunft soll das System so einfach sein wie beim Mobiltelefon; Sie gehen in den App Store, laden die App von Codesys herunter, installieren sie und dann funktioniert das im Zusammenspiel.

Und was bringt u-OS eigentlich den Kunden Ihrer Kunden?


Ein durchdachtes Rollen- und Rechtemanagement macht eine klare Trennung der Aufgaben einfach und vereinfacht die Beziehung zwischen Endkund:innen und beispielsweise OEM. Die Applikation kann Datenverfügbarkeit und Zugriffsmöglichkeit genau auf den Bedarf des Kunden anpassen. Außerdem ist die Einfache Portierung auf im Bedarfsfall verfügbare aber abweichende Hardware ein absolutes Argument hinsichtlich Verfügbarkeit. Dadurch, dass es sehr viele Schnittstellen gibt, können Kund:innen Lösungen von anderen Anbietern anbinden oder zum Beispiel ein Predictive Maintenance System laufen lassen, von dem auch deren Kund:innen profitieren. Wir selbst werden auch unser Automated Machine Learning Tool implementieren.

Ihr neues Betriebssystem wird das Hauptthema sein, das Sie auch auf der SMART Automation Austria von 23.-25. Mai in Linz präsentieren. Was sind denn die weiteren Themen, die Sie dort aufgreifen?

Wir haben drei Themen. Das erste ist eben das neue Betriebssystem u-OS. Wir nennen das „The Easy Way to IoT & Automation“. Als zweites Thema behandeln wir die Automatisierung im Schaltschrankbau. Da führen wir gemeinsam mit der Firma Eplan einen Use Case durch, wo wir von der Planung bis zur Umsetzung auf Datenqualität und Durchgängigkeit achten. Hier wird es auch eine anschließende gemeinsame Roadshow im Juli geben. Und das dritte Thema ist unsere neueste Klemmentechnologie, mit dem Motto SNAP INto the future. Das ist eine vorgespannte Klemme, in die man einen Draht hineinführt und durch die Berührung schnappt sie zu. Wir nennen das intern die Mausefalle, weil es nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert.

Werden Sie denn auch persönlich vor Ort sein?


Ja, ich werde auf jeden Fall alle drei Tage in Linz sein. Als gebürtiger Oberösterreicher reise ich gern ab und zu in die Heimat. Ich freue mich darauf, viele Kund:innen und Leute aus der Branche zu treffen und mit ihnen über die neuen Technologien zu sprechen. Seit der letzten SMART haben wir richtig viele Innovationen auf die Spur gebracht.

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