Haidlmair-CTO : „Die Automatisierung gibt uns die Möglichkeit, die Fachkraft zu multiplizieren“

FACTORY: Ihr habt bei euch im Werkzeugbau eine verkettete Anlage von vier Fräsmaschinen. Welche Maschinen sind das und was können sie?

Stefan Knödlstorfer: Die Anlage besteht aus vier Maschinen von DMG Mori – DMG 80P, um genau zu sein. Die Maschinen sind alle exakt gleich und haben Spindeln mit 20.000 Umdrehungen. Jede beinhaltet einen Werkzeugspeicher für 200 Werkzeuge. Diese haben wir mit einem Tool Master verkettet, der dann nochmals 1000 Werkzeuge zur Verfügung stellt und auch in der Lage ist, zwischen den Maschinen die Werkzeuge zu tauschen. Zusätzlich gehören noch drei Rüstplätze mit Platz für 120 Paletten und eine Waschanlage dazu.

Was war eure Motivation, eine solche Anlage zu bauen?


Knödlstorfer: Ganz essentiell war für uns die Autonomiezeit. Wir wollten Arbeitszeiten erreichen, die man in einem normalen Schichtbetrieb nicht schaffen kann. Mit unserer durchschnittlichen Laufzeit bietet uns diese Anlage in etwa eine Autonomiezeit von vier Tagen. Wenn wir also sauber planen, haben unsere Mitarbeiter:innen ein wunderbares Wochenende und die Anlage läuft ganz allein.

Wie seid ihr vorgegangen, um das zu realisieren?


Knödlstorfer: Wir haben uns lange Gedanken gemacht, welche Maschinentypen und -größen wir nehmen. Dafür haben wir drei Jahre lang alle Bauteildimensionen analysiert, bevor wir uns für die Maschine entschieden haben.

Warum ist eure Entscheidung auf die DMG 80P gefallen?


Knödlstorfer: All unsere Teile sind so groß wie Paletten oder auf einer Palette schlichtbar und haben vier Ecken. Das heißt, wir haben immer vier Gleichteile, was logistisch für die Automatisierung ein großer Vorteil ist. Trotzdem haben wir ausschließlich Unikate. Wir konnten uns auf eine Bauteilgröße von 80 festlegen, weil wir hier das größte Volumen haben. Obwohl wir über 50 CNC-Maschinen haben, gehen fast 20% der Gesamtkapazität auf diese vier automatisierten Maschinen, wenn sie sieben Tage, 24 Stunden durchläuft. Das hat natürlich Auswirkungen auf die ganze Organisation.

Stefan Knoedlstorfer
Stefan Knödlstorfer ist bereits seit zehn Jahren als technischer Leiter bei Haidlmair tätig. Zuvor bekleidete er lange Zeit führende Positionen beim Spritzgießmaschinenhersteller Husky KTW. - © Haidlmair

Dieses Interview basiert auf der Podcastfolge "Schnittstellenkommunikation in der Fertigung" mit Dennis Rathmann.

FACTORY: Welche Daten braucht ihr für eure verkettete Anlage? Was kommt an Software-Systemen oder an Dateien an die Anlage, bevor ihr auf Start drücken könnt?

Stefan Knödlstorfer: Zuerst einmal: Bei uns drückt keiner mehr auf Start. Die automatisierte Anlage lebt davon, dass sie von Bedienereingriffen entkoppelt ist. Wenn wir dazwischen mit einem Bauteil stehen bleiben müssten, um beispielweise zu messen, dann ist das alles vorbei. Die Schnittdaten und die Werkzeugdatenbank kommen von Siemens. Und auch das Teamcenter, unser digitaler Backbone, ist das Datenverwaltungsprogramm von Siemens.

Wie funktioniert nun die verkettete Anlage im Detail?


Knödlstorfer: Aus der Konstruktion werden die Bauteile definiert, die dann in die Arbeitsvorbereitung gehen. Danach wird den Programmierern automatisch die Automatisierung angezeigt. Wenn dann das Bauteil durch ist, dann ist sofort eine Werkzeugliste vorhanden, die das CAM-Programm erstellt. Das CAM-Programm simuliert die Bauteile durch. Sie werden auf Kollision geprüft und anschließend wird ein Rüstplan für sie gemacht. Die Werkzeugliste wird vom System gegengecheckt, wonach die Werkzeuge vermessen werden. Dann wird auf den Halter raufgespielt, welcher Fräser und welche Aufnahme das ist.

Auch die Störkontur der Aufnahme ist hier berücksichtigt, weil sonst die Simulationen nicht laufen würden. Sie ist auf dem Chip festgeschrieben und steht in der Datenbank, weil wir auch die Laufzeit der Fräswerkzeuge tracken. Hinter jedem Werkzeug und hinter jedem Material sind auch die Schnittparameter automatisch hinterlegt. Und dann geht es zum Rüster. Dieser bekommt angezeigt, wo er das Bauteil hinspannen muss. Hier sind wir noch darauf angewiesen, dass unsere Mitarbeiter:innen wissen, was sie tun. Es ist im Hintergrund ja schon durchsimuliert, daher muss das Bauteil an der richtigen Position stehen. Zwar nicht unbedingt im Zehntel-Millimeter-, schon aber im fünf Millimeter-Bereich.

Die Anlage bei Haidlmair besteht aus vier gleichen DMG 80P-Maschinen. Diese sind mit einem Tool Master verkettet, der dann nochmals 1000 Werkzeuge zur Verfügung stellt und in der Lage ist, zwischen den Maschinen die Werkzeuge zu tauschen.

- © Haidlmair
Der Eingriff an der Maschine fällt zu 100% weg.
Stefan Knödlstorfer

FACTORY: Holt die Maschine sich nicht die Position vom Rohteil?

Stefan Knödlstorfer: Da kann man zwei Wege gehen. Man kann es sich holen lassen, das nützt aber bei der Fünfachsanwendung nichts, denn wenn das Teil zu weit aus der Mitte ist, dann geht die Maschine auf Endanschlag. Die Mitarbeiter:innen müssen es also noch selbst platzieren. Das kann man erleichtern, indem man die gewünschte Position mittels Laser auf der Palette anzeigt. Aktuell bekommen unsere Leute aber noch eine Zeichnung oder eine Ableitung von dem 3D-Teil, dann rüsten sie es ein. Irgendwann steht das im Regal hinten und wartet auf die nächste freie Maschine. Dann holt sich die Maschine die grobe Position und dann geht es los mit den Fräsbearbeitungen.

Hier hat der CAM-Programmierer dann zwei bis drei Schleifen eingebaut, wo wir stoppen und kontrollieren, ob wir richtig fräsen. Die Maschine hat einen Taster, messt sich ein, und wenn sie zu weit weg von der Kontur ist, berechnet sie alle Fräsbahnen neu – da gibt es keinen manuellen Eingriff – und dann ist das nachkorrigiert. Und das bringt uns dazu, dass wir exakte Kopien von jedem Teil haben. Eine Passung wird beim ersten Teil genauso exakt sein wie beim zehnten und beim hundertsten. Was auch im Assembly-Bereich wichtig ist: wenn wir zusammenbauen, muss keiner mehr etwas anpassen.

Die Voraussetzung ist dann aber auch, dass die eingesetzten Werkzeuge auf Verschleiß kontrolliert werden, oder?


Knödlstorfer: Ja, wir geben beim Werkzeug den Neuzustand ein, geben ein wie viele Schnittmeter es machen kann bis es verschlissen ist und dazwischen wird es immer gemessen. Das macht auch das System: wenn ein Werkzeug durch ist, holt es sich automatisch ein neues und wenn in der Früh der Bediener kommt, dann sieht er, welches Werkzeug zum Tauschen fällig ist. Der Eingriff an der Maschine fällt zu 100% weg.

Gibt es eine Ist-Stands-Überwachung der Anlage oder auch von den Bauteilen, die gerade auf der Maschine laufen?


Knödlstorfer:Ja, alle Bediener:innen haben ein iPad, wo sie sehen, welchen Status die Anlage hat. Darauf spielen wir die Steuerung und die Überwachung vom Jobmanager raus. Theoretisch können die Mitarbeiter:innen die Maschine auch aus der Ferne starten. Das ist zulässig, weil das System komplett abgesichert ist, sodass keiner die Maschine öffnen kann.

Was wir unterschätzt haben, ist die Zeit, die man für eine Inbetriebnahme aufwenden muss.
Stefan Knödlstorfer

FACTORY: Siemens ist ja euer Softwarelieferant. Wäre so ein Grad an Automatisierung denkbar, wenn ihr mehrere Insellösungen hättet, oder geht das nur, wenn alles aus einer Hand ist?

Stefan Knödlstorfer: Es ist ein großer Vorteil, wenn man einen Anbieter hat wie Siemens. Wobei in der Umsetzung selbst Siemens nicht wirklich der Hauptlieferant ist, sondern der CAM-Lieferant und der CAD-Datenlieferant. Wie die Maschine automatisiert, sich selbst korrigiert und so weiter, war kein Part von Siemens. Generalunternehmer waren wir in dem Fall selbst.

Welche Vorarbeit habt ihr softwareseitig dafür leisten müssen?


Wir hatten eine Entwicklungsphase von bestimmt 1,5 Jahren. Davor machten wir Pilotprojekte an Einzelanlagen. So haben wir die Software trainiert und die Bugs behoben. Letztendlich haben wir den Typ 80P dann auch als Einzelmaschine gekauft und dort dann die vorbereiteten Simulationen durchgeführt. Denn das Gehirn ist die Simulation dahinter. Und als wir dann den letztendlichen Softwarestand hatten, sind wir damit in die Anlage gegangen.

Wo lagen die größten Schwierigkeiten bei dem ganzen Projekt?


Das größte Problem ist die Koordination der vielen Schnittstellen. Was wir unterschätzt haben, ist die Zeit, die man für eine Inbetriebnahme aufwenden muss. Wenn es währenddessen ein Systemupdate auf irgendeiner Seite von irgendeinem Hersteller gibt, ist die Schnittstelle sofort nicht mehr auf dem technischen Stand. Und das ist eine Menge an Schnittstellen, die man im Auge haben muss – auch Sicherheitsschnittstellen. Man muss ein Bussystem programmieren lassen, damit die Maschinen wissen, wenn irgendwo ein Not-Aus gedrückt wird. Das sind unzählige kleine Details, die in der Software große Schwierigkeiten machen, wenn die Maschinen nicht miteinander reden. Und je mehr Hersteller du hast, desto komplexer wird es. Wenn man hier noch zwei oder drei verschiedene Typen von Maschinen reinstellt, dann steigert man die Komplexität ins Immense. Das kann man nicht schaffen.

Wie lange hat die Inbetriebnahme dann gedauert?


Man kann sagen, wir haben eine dreimonatige Inbetriebnahme-Phase gehabt.

Wobei das ja nicht stehen bleibt, es gibt ja immer wieder die Updates…


Dann muss man das System einfrieren, denn wenn die Updates losgehen, dann fängt alles wieder von vorne an.

Zum Schluss möchte ich noch ein wichtiges Thema ansprechen, nämlich die Fachkräfte. Gerade die, die fräsen oder programmieren können, werden leider immer weniger. Ist die Automation, die ihr da euch aufgebaut habt, auch eine Antwort auf den Fachkräftemangel?

Es hat natürlich etwas mit den Fachkräften zu tun. Wir bilden aus, wir haben zehn Lehrlinge pro Lehrjahr, aber am Ende des Tages ist das zu wenig. Die Automatisierung gibt uns die Möglichkeit, die Fachkraft zu multiplizieren. Wir hätten unser Wachstum bei Haidlmair gar nicht bewerkstelligen können, wenn wir nicht in die Automatisierung gehen würden. Dann gibt es noch eine zweite Überlegung, und zwar: wie gestalte ich den Arbeitsplatz so attraktiv, dass er für junge Menschen interessant ist? Deswegen haben wir uns für Maschinen von DMG Mori entschieden; die sind modern, haben große Fenster und große Monitore. Und das sind Dinge, die junge Leute ansprechen.

Gibt euch die Eigentümerfamilie einen harten ROI vor, wenn ihr sowas implementiert wie die verkettete DMG-Anlage?


Wenn wir das über die Menge der Bauteile und über den Durchsatz rechnen, dann liegt die Investition hier in etwa bei 3 Millionen. Damit bist du in 1,8 Jahren fertig. Das war die große Überraschung. Nachdem wir die ersten Berechnungen gemacht haben, haben mich die Eigentümer eher zur Automatisierung gedrängt, als dass sie mich davon abhalten wollten (lacht).

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