Montieren : WSF: Fahrrad-Montage nach dem Vorbild der Automobilindustrie
In der Montage von Fahrrädern gibt es viele Arbeitsschritte, die auch in Zukunft nicht von Maschinen übernommen werden können. Zu oft ändert sich die Ausstattung der einzelnen Modelle, zu unterschiedlich und komplex sind die einzelnen Tätigkeiten. Somit ist und bleiben das Einfädeln von Brems- oder Schaltzughüllen in den Rahmen, das Anschließen und Entlüften von Bremsen, die Montage von Brems- und Schalthebeln und das Lenkerbandwickeln in den Händen der Montage-Arbeiter:innen.
"Hinzu kommt, dass in der Fahrradindustrie nicht jeder Fahrradrahmen maßhaltig ist", ergänzt Alexander Schnöll, CEO und Mitgründer des oberösterreichischen Fahrrad-Lohnfertigers WSF. Bei einigen Chargen stimmen etwa die Bohrungen in den Rahmen ganz oder wurden vergessen oder die Geometrie stimme nicht ganz überein. Damit nun trotzdem ein Fahrrad entstehen kann, müsse man solcherlei Probleme erkennen und dann entscheiden, was zu tun ist - also beispielsweise Bohrungen neu setzen oder größer machen. "All das wird eine Maschine nie können", betont Schnöll. Auch was die Position der Hersteller. und Zulieferbetriebe betrifft, unterscheiden sich die Automotive- und die Fahrradindustrie. In der Autmobilindustrie sind die Zulieferteile qualitativ sehr hochwertig, da auch der Druck auf die Lieferanten entsprechend hoch ist. In der Fahrradindustrie sind die Machtverhältnisse allerdings anders verteilt. "Deshalb werden hier mehr falsche/fehlerhafte Teile produziert als in der Automobilindustrie. Und das muss dann in der Montage ausgebügelt werden", so Schnöll. Dennoch orientiert er sich mit seinem Unternehmen am Vorbild der Automobilbranche, die für ihren hohen Automatisierungsgrad bekannt ist. Doch was genau nimmt er sich davon mit?
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Standardisierung innerbetrieblicher Abläufe
Die Standardisierung innerbetrieblicher Abläufe und Materialflüsse bei WSF folgt einer Methodik, die vorsieht, so viele Abläufe wie möglich zu automatisieren. Wo menschliche Arbeitsabläufe noch unersetzbar sind, werden diese mithilfe von Lehren, Werkzeugen und Abfolgen standardisiert. Dafür greift Schnölls Mannschaft etwa auf das Toyota Produktions System oder das one-touch Prinzip zurück, um die Wertschöpfung maximieren und Verschwendungen eliminieren. Ziel dieser Konzepte ist nicht nur die Erhöhung der Effizienz, sondern auch eine geringere Fehleranfälligkeit, also gleichbleibend hohe Qualität.
Durch Frontloading, das man ebenfalls aus der Automobilbranche kennt, werden wichtige Prozessschritte an den Prozessanfang gestellt, sodass etwaige Fehler schon im Vorfeld der Montage identifiziert und ausgemerzt werden können. In diesem Sinne checken die WSF-Mitarbeiter:innen beispielsweise die Stücklisten besonders genau und folgen dabei einem punktgenauen Musteraufbau des jeweiligen Fahrradmodells. Beim Setup am Arbeitsplatz und der Abfolge von Arbeitsschritten kommt die Poka Yoke-Technik zur präventiven Qualitätssicherung zum Tragen. Dabei gestaltet man die Produktion von vornherein so, dass keine Fehler entstehen oder diese sofort entdeckt werden. "Wie in der Automobilbranche hinterfragen und prüfen wir ständig, ob Tätigkeiten standardisiert und (teil-) automatisiert werden können. Nach diesem Automotive-Mindset haben wir unsere Fertigung konzipiert, die wir tagtäglich verfeinern und optimieren", erklärt der Geschäftsführer.
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Mischung aus Inselmontage und Linienproduktion
Die größte Besonderheit in der Produktionshalle von WSF stellt laut Schnöll aber der Mix aus Linienproduktion und Inselmontage dar. "Prinzipiell ist das kein Novum, auch KTM kombiniert Linienproduktion mit Inselmontage", gesteht er. Allerdings werde das Fahrrad dort fast komplett in den Inseln aufgebaut, die bereits vorab mit den benötigten Bauteilen und Werkzeugen ausgestattet sind. Um ein anderes Fahrrad montieren zu können, müssten die Inseln eventuell neu eingestellt und ausgestattet sowie die Arbeitskräfte darauf eingeschult werden. Im Gegensatz dazu ist die WSF-Fertigung darauf ausgelegt, dass jedes Fahrrad - unabhängig von Marke und Modell - schnellstmöglich gefertigt werden kann. Das heißt, es gibt verschiedene Vormontage-Arbeitsschritte bei den Einzelkomponenten. Im Anschluss werden diese gebündelt am Fließband bereitgestellt, die dort in den weiteren Insel-Arbeitsschritten vom Monteur oder der Monteurin in Empfang genommen werden. Auf der jeweiligen Montageinsel wird das Rad schließlich fertig montiert.
"Um welches Modell es sich bei dem Fahrrad handelt, ist bei diesem Vorgehen unerheblich", konstatiert Schnöll. Laut dem Geschäftsführer fallen dadurch weder Änderungen am Setup des Arbeitsplatzes noch zusätzliche Einschulungen an. Zudem lagert WSF die Bauteile für die Hersteller vor Ort, wodurch der Hersteller ein Modell, das aktuell nicht mehr produziert wird im Falle einer Kundenanfrage innerhalb einer Woche nachproduzieren lassen kann. "Im Endeffekt ermöglicht es die Fertigung von WSF also, möglichst schnell und flexibel Fahrräder zu produzieren – auch kundenindividuelle Fahrräder in kleiner Stückzahl", so das stolze Fazit von Alexander Schnöll.
Das ganzheitliche Fertigungskonzept von WSF umfasst nicht nur die Montage der Räder, sondern auch den Einkauf der Bauteile, die meist aus Asien stammen, sowie den Versand der fertigen (E-)Bikes. Dadurch kann der Dienstleister an jedem Punkt der Lieferkette eingreifen, etwaige Mängel früh erkennen und beseitigen. Zudem sorgt das für mehr Kontrolle über die Lieferkette und somit für eine schnellere Abwicklung und mögliche Work-Arounds bei Ausfällen.
Über WSF
WSF Bicycle Technology wurde im Dezember 2020 von Roland Wallmannsberger und Alexander Schnöll gegründet. Das Lohnfertigungsunternehmen mit Sitz im oberösterreichischen Regau ist auf Fahrräder spezialisiert. Es kümmert sich um Sourcing, Beschaffung und Import der Fahrradkomponenten in die EU und übernimmt anschließend die Montage und Lackierung der Fahrräder, sowie den Versand zum Endverbraucher, Händler oder Hersteller. Eine Zweigniederlassung in Taiwan ermöglicht einen Qualitäts-Check der Komponenten noch vor dem Export aus Asien. Durch die Abwicklung des gesamten Fertigungsprozesses in Regau bietet WSF zudem kurzfristige Anpassungen der in Auftrag gegebenen Fahrradmodelle und eine kurze Time-to-Market. Das Unternehmen beschäftigt aktuell über 40 Mitarbeiter:innen.
Derzeit fertigt WSF in Regau knapp 25.000 (E-)Bikes pro Jahr. Bis 2026 ist eine kontinuierliche Steigerung auf 100.000 Stück geplant. Dafür soll die Infrastruktur am Standort Regau ausgebaut und der Personalstock erhöht werden. Diese Ziele möchten die beiden Geschäftsführer Alexander Schnöll und Roland Wallmannsberger mithilfe vieler kleiner Investoren erreichen. Dafür starteten sie Ende August eine Crowdinvesting-Kampagne, mit der sie 400 000 Euro einsammeln wollen. Auf interessante Referenzen können sie allemal verweisen. Vello aus Österreich, Storck aus Deutschland und die Schweizer Firma Tour de Suisse lassen ihre Räder bereits bei den Oberösterreichern fertigen.