Herstellerunabhängige Kommunikation : VDA 5050 - das halten Entwickler von dem Standard

Ja oder nein

Die Frage, ob die VDA-Schnittstelle bei den eigenen Fahrzeugen implementiert werden soll, kann oft nicht mit ja oder nein beantwortet werden.

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Sechs Gefährte – in blau, orange, grau und weiß – bewegen sich im abgezäunten Bereich einer Halle. Manche blinken, manche sind mit Paletten oder Behältern beladen. Zaghaft, wie es dem menschlichen Auge erscheint, rollen sie über den kahlen Boden. Wir befinden uns in der Dortmunder Westfalenhalle, es ist der 25. März 2021. Und was da eben von statten geht, ist ein sogenanntes Mesh-Up – ein Praxistest, der vier Tage lang dauert. Getestet wird der Standard VDA 5050, den der Verband der Automobilindustrie (VDA) in Kooperation mit dem VDMA Fachverband Fördertechnik und Intralogistik entwickelt hat. Er definiert eine Schnittstelle, die es möglich machen soll, dass Fahrerlose Transportsysteme (FTS) verschiedener HerstellerInnen miteinander kommunizieren können. Als Resümee der Veranstaltung in Dortmund verkündet der VDMA in einer Pressemitteilung: „Schnittstelle für Fahrerlose Transportsysteme besteht Praxistest“.

Wer sitzt mit im Boot?

An dem Event in Dortmund beteiligten sich die Firmen arculus, DS AUTOMOTION, die KION Group mit ihrer Marke STILL, SAFELOG, SEW-EURODRIVE, Siemens AG sowie SSI SCHÄFER. Außerdem waren sich zwei Institute von der Fraunhofer-Gesellschaft mit jeweils einem fahrerlosen Transportfahrzeug vertreten. Omron wird beim Nachfolge-Event dabei sein – und zwar als einer der ersten AMR-Hersteller der Welt. Sven Kaluza, Business Development Manager Robotics Central Region bei Omron, erklärt diese Entscheidung: „Die Schnittstelle ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Wir von Omron haben uns intensiv damit auseinandergesetzt und möchten weiter Erfahrungen sammeln. Daher haben wir beschlossen beim kommenden VDMA Mesh-Up im Rahmen der IFOY Test Days dabei zu sein. Unter der Leitsteuerung von SYNAOS basierend auf der VDA5050 werden wir mit einem Modell vom Typ LD-250 teilnehmen.“

Die Skepsis der EntwicklerInnen

Abseits davon werden kritische Stimmen laut. Vor allem von Anbietern von autonomen mobilen Robotersystemen, die der Standard bislang noch zu wenig berücksichtigt. „Wir müssten unseren Fahrzeugen die Intelligenz entziehen“, drückt Daniel Zindl seinen Unmut aus. Er ist CMO und ehemaliger Leiter des Produktmanagements bei Agilox. „Wenn wir den Standard implementieren, müssen wir quasi 20 Jahre zurückspringen, sodass das Fahrzeug nur mehr einer Linie nachfährt. Das ist es, was der Standard fordert“, meint er weiter. Der USP, den er Agilox zuschreibt, eine schnelle Inbetriebnahme der smarten, serverlosen Roboterfahrzeuge, würde Zindls Ansicht nach durch die Einhaltung von Standards zunichte gemacht. Agilox geht daher den Weg der Standardisierung nicht mit. Zumindest vorerst.


Scherb Andreas
Andreas Scherb, Referent der Fachabteilung fahrerlose Transportsysteme im VDMMA-Fachverband Fördertechnik und Intralogistik. - © Uwe Noelke
Wenn wir den Standard implementieren, müssen wir quasi 20 Jahre zurückspringen.
Daniel Zindl, Agilox

Ebenfalls Vorbehalte gab es bei Knapp, weshalb Produktmanager Gregor Schubert-Lebernegg monatelang intern diskutierte, ob man die Open Shuttles VDA 5050-fähig machen solle oder nicht. „Wenn ich die Steuerung meines Fahrzeugs für andere Softwares öffne, dann laufe ich Gefahr, austauschbar zu werden“, erläutert er die anfängliche Skepsis, „und das läuft darauf hinaus, dass KundInnen dem günstigeren Fahrzeug den Vorzug geben“. Dennoch hat man sich bei Knapp für die Implementierung des Standards entschieden – auch wenn Schubert-Leberneggs Begründung dafür nicht ganz nach einer freien Entscheidung klingt. „Der ausschlaggebende Punkt war, dass das in einigen Bereichen in Zukunft ein Ausschlusskriterium sein wird. Entweder man unterstützt VDA 5050, dann wird man anbieten dürfen. Oder man tut’s nicht und ist in der ersten Runde bereits ausgeschieden“, so seine Einschätzung.

Offene Diskussionen

Andreas Scherb ist im VDMA-Fachverband Fördertechnik und Intralogistik verantwortlich für die Fachabteilung Fahrerlose Transportsysteme. Er relativiert: „Ob die VDA 5050 angewendet wird, ist Sache der BetreiberInnen und der LieferantInnen. Deswegen muss jeder und jede für sich entscheiden: ist VDA 5050 Teil meines Geschäftsmodells oder nicht?“. Außerdem weist der auf den Open Source-Charakter der Schnittstelle hin. In deren Überarbeitungsprozess können sich laut Scherb alle einbringen, die daran interessiert sind. Zu diesem Zweck betreut das KIT in Karlsruhe ein GitHub, auf dem man niederschwellig mitdiskutieren könne. Knapp etwa ist mit einer Partnerfirma im VDA-Gremium involviert, doch gibt auch Schubert-Lebernegg zu, dass die Entscheidungsprozesse bei vielen Parteien mit verschiedenen Sichtweisen lang und schwierig sind.

Trotz dieser Möglichkeit legt die Diskussion um den Standard eine gewisse Machtverteilung offen, wie Zindl bemerkt: „Die HerstellerInnen, die im VDA-Ausschuss mitarbeiten, sowie die Automotive-Industrie, drängen sehr stark darauf Standards einzuführen. Die haben die Manpower, die Ressourcen, das Netzwerk dazu“. Die Kundschaft von Agilox ist zwar mitunter in der Automobilindustrie verortet, aber auch im Bereich Pharma, Lebensmittel, Elektronikproduktion und Kosmetik. Zindls Einschätzung nach könnte das Thema VDA 5050 zu einer Spaltung der KundInnengruppen führen: „Wir wollen uns da zwar keinen Ast absägen, aber es kann durchaus sein, dass sich die Prioritäten verschieben“. Mit einer Beschränkung seines KundInnenkreises will sich Schubert-Leberneggs nicht zufriedengeben. „Das Ganze ist noch in den Kinderschuhen, aber es wird sich massiv weiterentwickeln“, prophezeit er.

VDA 5050 als Leitfaden zu nehmen sei für den Knapp-Manager grundsätzlich ein falscher Zugang: „Wenn man sich die Schnittstelle ansieht, ist sie sehr konservativ gestaltet. Sie ist aktuell noch sehr stark auf die herkömmlichen AGV-Systeme ausgerichtet. Die sind schwer vergleichbar mit einem Shuttle von uns, wo die Fahrzeuge intelligent durch die Anlagen fahren und ihre eigenen Entscheidungen treffen“, so Schubert-Lebernegg.

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Daniel Zindl, Chief Marketing Officer und ehemaliger Leiter des Produktmanagements bei Agilox. - © Agilox
Kein einzelner AGV-Anbieter wird für alle Aufgaben der Logistik und Produktion die beste Antwort haben.
Gregor Schubert-Lebernegg, KNAPP

Wo Kommunikation von Nöten ist

„Nehmen Sie ein AGV-System, das eigentlich noch darauf ausgerichtet ist, auf Linien zu fahren und steuern Sie damit ein System, welches selbst seine Entscheidungen trifft“, fasst der Knapp-Manager die Herausforderung zusammen. Wenn man einem ein Fahrzeug, das sich selbst einen Weg frei sucht und Hindernisse umfährt, auf einmal Wegpunkte vorgebe, beraube man ihm einen gewissen Freiheitsgrad, führt er weiter aus. Bei manchen Projekten machen die EntwicklerInnen von Agilox bereits genau das, wie Zindl erzählt: „Wir haben zum Beispiel eine Anlage, wo unsere Fahrzeuge mit einem automatisierten Routenzug kommunizieren. Da sind die Systeme getrennt und nur dort, wo es zu Konflikten kommen kann gibt es Kommunikation. Da reserviere ich mir beispielsweise den Kreuzungsbereich, fahre durch und dann gebe ich ihn dir wieder frei“. Hier wird von Projekt zu Projekt an der Interoperabilität gearbeitet. Eben weil es keinen adäquaten Standard für solche Fälle gibt. „Und das ist einer der Punkte, wo wir den Standard verstehen“, räumt Zindl ein.

Dass KundInnen Fahrzeuge verschiedener AnbieterInnen einsetzen wollen, gilt bei Knapp als eine klare Sache. „Kein einzelner AGV-Anbieter wird für alle Aufgaben der Logistik und Produktion die beste Antwort haben“, findet Schubert-Lebernegg. Für ihn ist die Frage also nicht, ob es Kommunikationsschnittstellen geben wird, sondern wie und wann es an die Umsetzung geht. Die Shuttles von Knapp sollen laut ihrer Website zwar schon jetzt VDA 5050-fähig sein. In der Realität beschreibt dies aber eher ein Wollen als den Ist-Zustand. „Ein kleiner Vergleich: Die ersten HD-Fernseher sind auch herausgekommen, bevor es wirklich HD-Content gegeben hat“, rechtfertigt sich Schubert-Lebernegg. Agilox stattdessen hat hehre Ziele, wie Zindl in Worte fasst: „Wir möchten unseren Kunden ein Ökosystem bieten, das perfekt aufeinander abgestimmt ist. Von der Navigation bis zur Steuerungstechnik – alles aus einem Guss“.

Die Zukunft von VDA 5050

„Es werden weitere Themen dazukommen, die bisher noch nicht Bestandteil der VDA 5050 sind“, sagt Scherb und nennt als Beispiel das Thema Kartennavigationsformate. Schubert-Lebernegg hätte künftig gern die out-of-the-box-Funktion abgebildet, die die Schnittstelle ebenfalls noch nicht unterstützt. Zindl schließt für Agilox trotz aller Kritik nicht vollständig aus, sich einem zukünftigen Standard anzupassen. „Wir sind sehr wohl mit den Herstellern von Leitsystemen in Kontakt und hätten gerne, dass es einen intelligenten Standard gibt. Aber nur, wenn er uns nicht schlechter macht“, argumentiert er. Scherb verspricht von VDMA-Seite, dass die Schnittstelle sukzessive weiterentwickelt werde. Die Erkenntnisse, die aus dem Mesh-Up in Dortmund gewonnen wurden, sollen in die neue Version der VDA 5050 einfließen. Die ursprünglich für Herbst 2021 angekündigte Version 2.0.0 wird im Laufe des ersten Halbjahrs 2022 kommen, wie Scherb verrät. Und wenn die zu Papier gebracht ist? Dann dürfen die Gefährte in die nächste Testphase rollen.


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Gregor Schubert-Lebernegg, Product Manager AGV bei KNAPP. - © KANIZAJ Marija-M. | 2016