Pharmaindustrie : Versorgungssicherheit in der Pharmaindustrie heißt Langzeitplanung

neue Verpackungsanlage in Wien

Die neue Verpackungsanlage bei AOP-Orphan in Wien.

- © Lukas Dostal

Die Tendenz ist klar, auch in der Pharmaindustrie wird daran gearbeitet, Produktion und Verpackung weitgehend in Europa zu stationieren. Kurze Lieferwege vor dem Hintergrund der Lieferengpässe sind ein Grund. Nachhaltigkeit ein anderer. Beide wurden durch die Entwicklungen der letzten Jahre auch zur Kostenersparnis.

Versorgungssicherheit bedeutet lange Planungsprozesse

„Es ist ein Unterschied, ob 50, 100 Liter oder 1.000 Liter produziert werden“, sagt Karl-Heinz Hofbauer, Takeda. Der Qualitätsnachweis muss bei jeder Maßstabsänderung gebracht werden. Inklusive der Einreichung bei den Zulassungsbehörden kann der Prozess bis zu 3 Jahre dauern. „Ein Aspekt, der mitbeachtet werden muss, wenn es um Versorgungssicherheit und Produktionsvergrößerung geht“, so Hofbauer. Denn es bedarf viel an planerischem Geschick, Szenariendenken und der Verfügbarkeit der Herstellungskapazitäten, um genügend Arzneimittel zur Verfügung zu haben.

80 % der Produktionsschritte in Europa

„2022 eröffneten wir unsere neue Verpackungsanlage in Wien“, sagt Bernhard Nachbauer, einer der beiden CEOs des Nischenproduzenten AOP Orphan Pharmaceuticals GmbH, „Die Verpackungsanlage leistet nicht nur einen Beitrag zur Versorgungssicherheit, sondern bringt auch neue Arbeitsplätze am Wiener Standort.“ AOP-Health versorgt Patient:innen seltener und intensivmedizinischer Krankheiten und ist auf therapeutische Lösungen für HämatoOnkologie, Kardiologie und Pulmologie, Neurologie und Psychiatrie, Stoffwechselstörungen und Intensivmedizin spezialisiert. Die Produktionsmengen sind im Vergleich zu üblichen pharmazeutischen Herstellungen klein, bei manchen Therapien werden nur 500 Packungen pro Jahr benötigt.

Den größten Teil der Produktionsschritte in Europa zu halten, ist ein Vorteil für die Versorgungssicherheit. „Die Verpackung im Haus zu haben, gibt uns große Flexibilität, schneller zu reagieren und viel enger mit unseren Produktionspartnern in Kontakt zu sein“, erklärt Martin Steinhart, Co-CEO der AOP Orphan Pharmaceuticals GmbH. Je größer die Nähe und Frequenz der Abstimmung, umso besser werden die benötigten Warenmengen antizipiert. „Das ist uns in den letzten drei Jahren sehr gut gelungen“, so Steinhart. Nach der Wirkstoffproduktion folgt das Fertigprodukt. Die Produktionsstätten variieren je nach Form und Konsistenz des Arzneimittels und befinden sich zu 80 % in Europa. Geliefert wird in die ganze Welt.

  • Dr.Martin Steinhart Co-CEO der AOP Orphan Pharmaceuticals GmbH

    „Die Verpackung im Haus zu haben, gibt uns große Flexibilität, schneller zu reagieren und viel enger mit unseren Produktionspartnern in Kontakt zu sein“

Qualitätssicherung und Dokumentation sind groß geschrieben

Getestet wird nicht nur das Endprodukt. „In der pharmazeutischen Produktion muss auch der Weg zum Produkt sicher und zuverlässig durchgeführt und entsprechend dokumentiert werden“, beschreibt Karl-Heinz Hofbauer die strengen Auflagen in der Pharmaproduktion. Jeder Zwischenschritt wird testet und dokumentiert. Das Arzneimittelgesetz, das Medizinproduktegesetz und Good Practices, wie Good Manufacturing Practice, Good Documentation Practice und Good Clinical Practice, geben die Arbeitsweise vor. Das bedeutet auch, dass ein höherer Anteil von Mitarbeiter:innen in diesem Bereich benötigt wird, als in anderen Branchen. Bei CROMA zählt man beispielsweise 80 Mitarbeiter:innen im Qualitätssicherungsbereich im Verhältnis zu 470 Personen gesamt am Standort Leobersdorf. Die Kontrolle startet bei jedem Rohstoff und allen Komponenten, die geliefert werden. Auch die Lagerung erfolgt unter Temperatur- und Luftfeuchtigkeitskontrolle sowie diverser Messpunkte, die ständig dokumentiert werden. In der Produktion selbst gibt es mehrere Prozesskontrollen, hier werden während des Prozesses Muster gezogen, erklärt Prinz. In der Endproduktkontrolle werden alle Parameter, die am Freigabezertifikat stehen, nochmal getestet. Dann geht’s ins Lager, das temperaturkontrolliert die Produkte aufbewahrt.

Bis zu 5000 Spritzen pro Stunde werden bei CROMA produziert

Haltbarkeit und Klimazonen als hohe Investitionsfaktoren

"Wenn du ein neues Produkt auf den Markt bringen möchtest, musst du nach der Fertigstellung nochmal drei Jahre warten, bis die Haltbarkeit verifiziert ist“, erklärt Martin Prinz den zeitaufwändigen Prozess. Und um weltweit liefern zu können, werden die Produkte in Real Time in den verschiedenen Klimazonen getestet. Man lagert in Klimaschränken nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit und testet zu vordefinierten Zeitpunkten. Einen kleinen Shortcut gibt es; beschleunigte Stabilität heißt hier das Zauberwort. Das bedeutet, dass man für bestimmte Klimazonen, nach einem streng vorgegebenen Prozess, höher erhitzt. Höhere Temperatur bedeutet schnellerer Abbau, dadurch kann mehr Haltbarkeit vergeben werden.

(Lesen Sie auch: Fruchtig und frisch: Wie man Ersatzteile nachhaltig konserviert)

  • Martin Prinz CTO CROMA Pharma

    "Wenn du ein neues Produkt auf den Markt bringen möchtest, musst du nach
    der Fertigstellung nochmal drei Jahre warten, bis die Haltbarkeit
    verifiziert ist.“

100 Prozent recyclebare Sekundärverpackung für vorgefüllte Spritzen

In der Pharmaindustrie werden lebensrettende Arzneimittel hergestellt. Meist ist der Fokus auf der industriellen Herstellung und der Produktion. „Wir haben einen Blick auf das gesamte Ökosystem“, sagt Karl-Heinz Hofbauer, Takeda. Beginnend mit der Nachhaltigkeit der Produkte, vom Beginn der Herstellerkette bis hin zum Patienten oder zur Patientin und der Entsorgung. Man versucht den Nachhaltigkeitsaspekt in allen Komponenten, die mitgeliefert werden, aufrecht zu erhalten. So war Takeda das erste Unternehmen in der Pharmaindustrie, das 2013 Bio-PE-Flaschen für die Primärverpackung einsetzte. Im Vergleich zu erdölbasiertem Polyethylen werden die CO₂-Emissionen damit um bis zu 70 Prozent reduziert. Mit dem Relaunch einer vorbefüllten Spritze für die Behandlung einer seltenen Erkrankung, des hereditären Angioödems (HAE), entwickelte man eine innovative Sekundärverpackung, die kürzlich mit dem WorldStar Award für nachhaltige Medikamentenverpackungen ausgezeichnet wurde. Sie ist auf vollständige Recyclingfähigkeit ausgelegt – der Karton und die eingelegte Schale können nach Entnahme des Produkts effektiv getrennt und recycelt werden. Mit dem Einsatz von PET für die eingelegte Schale konnte man in der Herstellung auf recyceltes Substrat zurückgreifen.

CO₂-Neutralität

Neue Technologien sind gefragt. „Für uns als produzierender Industriebetrieb heißt das, dass wir einerseits auf die Verbrauchsreduktion achten, aber auch den Weg neuer Technologien gehen müssen, um die fossilen Energieträger von heute sukzessive durch nachhaltige Energieträger zu ersetzen“, sagt Karl-Heinz Hofbauer, Takeda. Durch die guten Voraussetzungen in Österreich sei es bereits seit vielen Jahren möglich, Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu beziehen, aber das reiche noch nicht. Denn für die Produktionsprozesse werd nicht nur Wärme, sondern auch Dampf benötigt, so Hofbauer. Derzeit verwende man dafür Erdgas, investiere aber sukzessive in Wärmepumpentechnologie. Ziel ist bei der Dampferzeugung den Einsatz von Erdgas auf ein Minimum bzw. auf null zu reduzieren. Einige Mengen wurden schon substituiert, indem man auf Biogas zurückgriff. Die geringe Verfügbarkeit reicht aber heute noch nicht aus, um den Bedarf entsprechend abzudecken.

Rund 20 Millionen Euro investierte man bei Takeda in Wärmepumpen in einem Zeitraum von circa vier Jahren. Bisher konnte man so den Erdgaseinsatz um 30 % reduzieren. Der nächsten Schritte ist die Reduktion der Verwendung von Erdgas um 90 % sowie die Reduktion der CO₂-Emissionen um 90 %.