Primetals-CFO Andreas Weinhengst im Interview : "Jeder Stahlerzeuger ist am Weg in die karbonfreie Stahlproduktion"
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FACTORY: Wie ist man bei Primetals Technologies durch das vielbeschworene Krisenjahr 2020 gekommen und welche Spuren hat es hinterlassen?
Andreas Weinhengst: Für uns war 2020 kein Krisenjahr, wir hatten sogar einen Rekordauftragseingang zu verzeichnen. Und das hält aktuell auch an. Als Anlagenbauer für die Stahlindustrie erleben wir derzeit eine Sonderkonjunktur und die große Überschrift darüber lautet: Green Steel Making. Also der Wandel hin zu karbonfreier Stahlproduktion.
Wie ging es Ihnen bei den vielen Aufträgen angesichts der weltweiten Lieferthematik? Wo bekommen oder bekamen Sie das Problem besonders zu spüren?
Die Nichtverfügbarkeit von Schiffen hat uns getroffen, weil wir relativ viel in China produzieren lassen. Weiters war die Verfügbarkeit von Sensoren und Chips, die wir für unsere Automatisierung brauchen, ein Thema. Es war allerdings nie so, dass wir Komponenten gar nicht bekommen haben, aber sie kamen zeitverzögert. Das brachte natürlich auch Preissteigerungen.
Hat sich die Situation bei Ihnen jetzt wieder normalisiert?
Sie ist dabei, sich zu normalisieren. Wir haben Maßnahmen getroffen. Wir sind in andere Länder gegangen und haben uns andere Lieferanten gesucht.
Haben Sie sich also von chinesischen Lieferanten abgewandt?
Ja teilweise, das hat aber auch damit zu tun, woher die neuen Aufträge kommen. Zurzeit sind wir in Westeuropa sehr stark am Wachsen. Das kommt daher, dass insbesondere Europa die Dekarbonisierung der Stahlindustrie forciert. Dieser Trend ist auch vom Anstieg der Preise für die CO2-Zertifikate getrieben, was die Produktion extrem verteuert. Dazu fördert die EU die Umstellung auf Green Steel-Technologien. Zudem muss man für europäische Kund:innen andere Fertigungsqualitäten liefern, die viele Lieferanten aus China nicht leisten können. Das, war mit ein Grund, warum wir jetzt weniger aus China beziehen, sondern zum Beispiel auf Italien, Spanien aber auch Deutschland ausgewichen sind.
Der Linzer Großraum entwickelt sich zu einer Art Silicon Valley.
Wie, schätzen Sie, wird sich die Lieferthematik in naher Zukunft entwickeln?
Ich gehe davon aus, dass wir den Höhepunkt jetzt erreicht haben. Allerdings gibt es bis jetzt noch keine rückläufige Preisentwicklung. Das ist für uns deshalb so wichtig, weil Projekte meist eine Laufzeit von 2,5 bis 3,5 Jahren haben. Da müssen wir die kommenden Preisentwicklungen schon miteinberechnen. Gerade im letzten Jahr war die Gültigkeit der Angebote von Sublieferanten sehr kurz. Das hat es für uns sehr schwierig gemacht, da wir unseren Auftraggebern Fixpreise gewährleisten.
Wie sind Sie mit diesem Dilemma umgegangen?
Wir haben versucht, das Risiko gemeinsam mit den Kunden nach einem Share-the-Pain-Konzept zu managen. Das hat ganz gut funktioniert.
Ebenfalls sehr aktuell – und passend zur Automatisierung – ist der Fachkräftemangel. Wie weit ist der bei Ihnen ein Thema?
Grundsätzlich ist der Arbeitsmarkt in Linz extrem angespannt. Man könnte fast sagen, dass sich der Linzer Großraum zu einer Art Silicon Valley entwickelt. Und zwar für 5G-Technologie, Digitalisierung und Industrie 4.0. Wir haben hier voestalpine, Siemens, Dynatrace, Hainzl Industriesysteme, ENGEL, Plasser & Theurer – und alle kämpfen um dieselben klugen Köpfe.
Was ist Ihre Strategie, um da mitzuhalten?
Wir versuchen beispielsweise, zukünftige Absolvent:innen schon auf der Uni abzuholen – etwa auf der Montanuniversität in Leoben oder in der FH Hagenberg. Gerade arbeiten wir daran, unser Employerbranding zu verbessern. Dazu stellen wir die Green Steel - Thematik und Digitalisierung in den Vordergrund. Wir wollen den Jungen zeigen, dass sie auch das, wofür sie heute auf die Straße gehen, bei uns umsetzen können.
Gleichzeitig ist das Problem der fehlenden Fachkräfte sehr umfassend – und mit dem baldigen Ruhestand der Babyboomer auch nicht aufzuhalten…
Ja, wir versuchen daher auch aus dem Ausland Fachkräfte anzuwerben, aber auch das ist nicht einfach. Stichwort Rot-Weiß-Rot-Karte. Und Österreich kann in punkto Willkommenskultur noch einiges aufholen.
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Ziel ist, dass man langsam von der Hochofentechnologie wegkommt.
Primetals Technologies hat im April dieses Jahres eine „Green Steel“-Taskforce aufgesetzt. In wie vielen Jahren halten Sie die karbonfreie Stahlproduktion breitflächig für realisierbar?
Prinzipiell denke ich, dass das bis 2030 rein technologisch möglich ist.
Was sind denn die technologischen Voraussetzungen für grünen Stahl?
Ziel ist, dass man langsam von der Hochofentechnologie wegkommt und den Stahlerzeugungsprozess auf Technologien, die wesentlich weniger oder kaum CO2 mehr produzieren, umstellt. Wir bieten verschiedene Anlagentypen dafür an, beginnend mit der Direktreduktionsanlage. Die Direktreduktionsanlage verwendet heute allerdings noch Erdgas, ist aber schon in der Lage Wasserstoff zu verwenden, wodurch hier weniger bzw. bei H2-Einsatz kein CO2 zurückbleibt. Für die zusätzliche CO2-Reduktion in weiteren Verarbeitungsstufen benötigt man einen Elektrolichtbogenofen. Dieser braucht zwar relativ viel Strom, hat aber nur sehr wenig CO2-Ausstoß und ist mit erneuerbarer Energie zu betreiben. Deshalb ist es wichtig, dass auch Strom überwiegend mit nachhaltiger Technologie wie etwa aus Wind und Wasser produziert wird, das braucht aber noch Zeit. Und dann haben wir nachgeschaltet die Arvedi-ESP, also Endless Strip Production-Anlage. Hierbei wird direkt von der Gießmaschine weg zum Endprodukt gewalzt. Dadurch spart man sich etwa den fossilbefeuerten Wiedererwärmungsofen und muss die Brammen nicht wieder aufheizen, was wiederum Energie und CO2 minimiert. Um neben CO2 auch andere Emissionen zu reduzieren, kann man eine MEROS-Anlage installieren. Diese reinigt Abgase und bindet Staub, zusätzlich kann man aus dem Abgas Wärme rückgewinnen.
Wie weit spielen bei Ihnen Digitalisierungsprojekte eine Rolle, um die Effizienz von Produktionsprozessen zu erhöhen?
Die Stahlindustrie ist schon seit vielen Jahrzehnten vollautomatisiert. Was bisher weniger Berücksichtigung fand, war die Verbindung verschiedener Produktionsschritte. Dem wollen wir mit digitalen Lösungen entgegenwirken. Am einfachsten ist die Visualisierung von sogenannten Key- Performance-Indicators (KPIs) auf einem Dashboard für den Anlagenbediener, wo er sieht, wie sich die verschiedenen Produktionsabläufe verhalten.
Jeder Stahlerzeuger ist auf dem Weg in die karbonfreie Stahlproduktion.
Wo liegen weitere Digitalisierungspotenziale in der Stahlindustrie?
Was wir verfolgen, ist die sogenannte „Smart“-Production, wo digitale Assistenten – Robotik und auch künstliche Intelligenz – eingesetzt werden. Roboter sind etwa bei der Probenentnahme im Einsatz, damit nicht ein Mensch bei Temperaturen über 1500 Grad eine Messung durchführen muss. Das Meisterstück ist aber die durchgängige Produktionsoptimierung - Through Process Optimization-Lösung (TPO). Dabei handelt es sich um eine riesige Datenbank, wo alle Daten aus der Stahlprozesskette – von der Agglomeration bis zum Kaltwalzen – verarbeitet werden. Auf Basis von Datenanalyse und Machine-Learning gibt uns TPO dann in Echtzeit die bestmögliche Kombination der Prozessparameter vor, um eine höchstmögliche Qualität erzeugen zu können.
Ist das noch Zukunftsmusik oder ist dieses Optimierungstool schon im Einsatz?
Wir arbeiten hier eng mit führenden Stahlerzeugern weltweit zusammen und haben diese Lösung bereits umgesetzt. TPO ermöglicht den Kunden nun Stahl höchster Qualitätsstufen – sogenannte Automotive Quality – zu produzieren, die nur so von internationalen Autoherstellern akzeptiert wird.
Wie stark bekommen Sie die steigenden Energiekosten zu spüren?
Für uns als Primetals Technologies Austria sind die Energiekosten kein so großes Problem. Geheizt wird bei uns mit Fernwärme von der voestalpine, da haben wir langfristige Verträge. Beim Strompreis sind wir aktuell ausgerichtet auf den Spotmarkt, den wir laufend beobachten. Wenn der Preis passt, schließen wir wieder für längere Zeit ab. Allerdings steckt in Komponenten, die wir zukaufen, viel Energie, was natürlich preistreibend ist. Dazu muss ich sagen: die Stahlindustrie folgt generell zeitversetzt der konjunkturellen Entwicklung der Weltwirtschaft. Es gibt immer wieder Auf- und Abschwünge.
Wo befinden wir uns jetzt gerade innerhalb dieses Zyklus‘?
Jetzt sind wir im Aufschwung. Und diese Sonderkonjunktur reißt so schnell nicht ab. Jeder Stahlerzeuger ist auf dem Weg in die karbonfreie Stahlproduktion – und das weltweit.
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