Kommentar : Natural User Interfaces in der Produktion: Intuitiv wie der 7. Sinn

Schlund Kolumne
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Vor dem Hintergrund der absehbaren demographischen Entwicklung benötigt Österreichs Produktion dringend einen Automatisierungsschub. Immerhin werden innerhalb der nächsten zehn Jahre ungefähr 500.000 mehr Personen aus der gesamten Erwerbsbevölkerung aus- als eintreten. Vor diesem Hintergrund möchte ich heute der Frage nachgehen, wie es aktuell um die Gestaltung der Mensch-Maschine-Interaktion bestellt ist. Das Zauberwort heißt hier Natural User Interfaces (NUI) – Interaktionssysteme, welche intuitiv ohne Anstrengungen der Nutzer:innen erwartungskonform funktionieren.

In vielen Produktionsumgebungen sieht es heute so aus, als wäre das Smartphone nie erfunden worden.

NUIs im Produktionsrealitätscheck

Haben wir solche Systeme in unseren heutigen Fabriken? Nutzen wir sprachgesteuerte Systeme wie in der mobilen Navigation, semi-automatische Texteingaben oder so etwas wie eine Autovervollständigung bei Planungs- und Steuerungsaufgaben? Die Antwort ist jein. Natürlich gibt es Beispiele, wie Natural User Interfaces auch die Produktion massiv verbessern können. Beispielsweise kann durch die Kombination von Sprachsteuerung und Handführung die Teach-In-Zeit für Cobots bis zu 50 Prozent reduziert werden*. Gleichzeitig sieht es in vielen Produktionsumgebungen heute so aus, als wäre das Smartphone nie erfunden worden. Kommandozeilen-Eingaben an Steuerungsterminals und Programmierhochsprachen prägen noch immer das Bild. Gleichzeitig ist viel in Bewegung geraten durch die Durchdringung unseres Alltags mit intuitiven Assistenzsystemen.

* Siehe Artikel: “Programming cobots by voice: a pragmatic, web-based approach” von Tudor B. Ionescu und Sebastian Schlund.

MS-DOS und ChatGPT: vom Prompt zum Prompt in 40 Jahren

Intuitivität geht dabei weit über die sichtbare Nutzerschnittstelle hinaus. Hinter einem simplen Prompt, also einer Aufforderung für eine Texteingabe, kann sich ein MS-DOS-System aus den 1980er Jahren genauso befinden wie ein moderner Chatbot wie ChatGPT. Auch eine Sprachsteuerung wird nur dann intuitiv, wenn die Nutzer nicht vollständige Koordinaten oder Programmierbefehle einsprechen müssen, sondern das Sprachmodell wohlwollend akustische und inhaltliche Unschärfen toleriert.

Mensch-Maschine-Schnittstellen müssen in der Lage sein, aus einer Vielzahl von Prozessparametern und Erfahrungswerten die relevanten intuitiv auszuwählen, vorzubereiten und darzustellen.

Kleine Eingriffe, große Verantwortung

Da der Automatisierungsgrad graduell ansteigt und sich somit die Verteilung der Arbeitstätigkeiten auf Mensch/en und Maschine verändert, kommt der Interaktion eine zentrale Aufgabe im Transformationsprozess zu. Hier geht es nicht mehr nur um die reine Maschinenbedienung, sondern auch darum, den Menschen entscheidungsinformiert und somit überhaupt handlungsfähig zu halten. Die Schleifen maschineller Handlungen und menschlicher Entscheidungen werden hier immer größer, die Eingriffsgrenzen kleiner und das Ausmaß potenzieller Schäden größer. Mensch-Maschine-Schnittstellen müssen in der Lage sein, aus einer Vielzahl von Prozessparametern und Erfahrungswerten die für den Menschen relevanten intuitiv auszuwählen, vorzubereiten und darzustellen.

Ein Blick nach vorn

Deshalb ist es notwendig, in gleichem Maß wie die Automatisierung auch die Mensch-Maschine-Interaktion voranzutreiben. Eine Vision für die Zukunft ist, dass Produktionssysteme eigene Interaktionsprofile besitzen. Durch eine Kombination text-, sprach- und gestengesteuerter Interaktionsformen sowie der Reaktion auf Nutzungsdaten arbeiten sie mit ihren individuellen Nutzern zusammen. Ich bin fest überzeugt, dass sich anders die Einbindung des Menschen in viel höher automatisierte Produktionssysteme nicht bewältigen lässt.

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