Künstliche Intelligenz : Machine Learning: "Aktiv einen Prozess zu steuern ist die Königsdisziplin"
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Dennis Rathmann: Das Thema Machine Learning und künstliche Intelligenz ist für Laien, wie ich auch einer bin, nicht so greifbar. Was soll denn eigentlich mit einer KI erreicht werden, zum Beispiel in der Fertigung?
Theo Steininger: Allgemein gesprochen nutzt man KI, um etwa die Fertigung zu optimieren oder um komplett neue Fertigungsverfahren zu entwickeln. Man macht zum Beispiel eine Anlage smart, sodass man weniger Ausschuss hat. Aber der Endkunde kriegt das gar nicht mit. Das ist Szenario eins.
Was wäre Szenario zwei?
Wenn ich mein Produkt mit KI ausbaue, schlauer mache und dadurch meinem Kunden oder meiner Kundin einen größeren Mehrwert als die Konkurrenz bieten kann. Stell dir zum Beispiel vor, dein Auto kann anhand aller Rahmenbedingungen, die gerade vorliegen, ermitteln, was die ideale Einstellung für die Klimatronic, die Sitzheizung und die Temperierung des Lenkrads ist. Und das völlig automatisch. Das ist möglich mit Machine Learning.
Wie, würdest du sagen, ist der aktuelle Stand im Maschinenbau und in der Automatisierungbranche, was Machine Learning, KI und Datenverarbeitung angeht?
Extrem heterogen. Ich habe schon alles gesehen – von der Vollautomatisierung, wo es für Machine Learning Use Cases die richtigen Daten gab bis zu Betrieben, die noch gar keine Daten sammeln. Und dann gibt es noch jene, wo zwar Daten vorhanden sind, aber leider nicht die richtigen. Das kann sehr ernüchternd sein. Da gibt es von Branche zu Branche, aber auch innerhalb der einzelnen Verticals, extreme Unterschiede.
Gibt es so etwas wie eine Vorreiter-Branche?
Automotive ist tendenziell stark digitalisiert und hat dadurch quasi per Zufall Daten, von denen sich damals keiner hätte erträumen lassen, dass sie derart wertvoll werden. Und dann gibt es Branchen, da ist es regulatorisch aufgrund von Sicherheitsaspekten nötig, dass Daten erhoben werden, wie im Pharmabereich.
(Lesen Sie auch: Wie KI helfen kann, Qualität und Produktivität zu steigern)
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KI-Use Cases rund um die visuelle Inspektion werden mehr und mehr zum Standard.Theo Steininger
Wenn du sagst, es gibt Daten, aber nicht immer die richtigen, welche sind denn die richtigen Daten?
Das ermittelt man in einem Prozess, der zyklisch verläuft. Man geht immer wieder die gleichen Schritte durch, und zwar möglichst schnell, um sich zu vergewissern, was hier der Business Case ist. Und stellt Fragen wie: Was bedeutet es für meinen Prozess? Was bedeutet es für den Datenbedarf? Wo kriege ich die Daten her? Und wie sieht die Infrastruktur aus, auf der das Ganze dann läuft? Am Ende kommt es auf den Use Case drauf an, wenn es denn nicht gerade ein super standardisierter Use Case ist.
Was wäre so ein standardisierter Use Case?
Visuelle Inspektion zum Beispiel. Hier werden KI-Use Cases mehr und mehr zum Standard. Da kann ich relativ einfach beurteilen, welches Set an Hardware ich brauche und gebe dann automatisch den richtigen Satz an Daten raus, um bestimmte Mehrwerte zu generieren.
Welche Anwendung ist da zum Beispiel schwieriger?
Anwendungen, bei denen es darum geht, den Zustand einer Maschine zu überwachen. Jede Maschine ist anders. Und dann kommt es auch darauf an, welche Daten ich brauche –Temperaturen, Vibrationen, Druck – und ob ich sie etwa im Sekunden-, oder Millisekundentakt ermitteln muss.
Ich kann Machine Learning nutzen, um einen Prozess aktiv zu steuern. Das ist dann die Königsdisziplin.Theo Steininger
Gehen wir in die Tiefe. Was sind typische Einsatzgebiete in der Industrie? Wo kann ich denn eine KI mit großem Mehrwert einbringen?
Ich setze KI jetzt der Einfachheit halber mit Machine Learning gleich. Ich nutze die Technologie erstens, um einen bestehenden Prozess besser zu verstehen und zweitens um einen Prozess vorhersagen zu können. In einem dritten Schritt kann ich damit einen Prozess aktiv steuern. Das ist dann die Königsdisziplin.
Kannst du für den ersten Evolutionsschritte ein konkretes Beispiel skizzieren?
Stell dir vor, du hast eine Anlage, die komplex ist, hast ein neues Produkt und die Ausschüsse sind sehr hoch. Du hast 40 Parameter und bist jetzt nicht sicher, weil der Prozess in sich noch nicht so stabil ist, was die Ursache für den hohen Ausschuss ist. Um herauszufinden, welcher Parameter nun wirklich Einfluss auf die Qualität hat, oder welche Einstellungen du ausprobieren solltest, um möglichst viel über deine Anlage zu lernen, kann ein Machine Learning System hilfreich sein. Denn dieses kann mit großer Komplexität fertig werden. Ein Kunde von uns hat zum Beispiel an einem bestimmten Parameter herumgedreht, von dem er dachte, er beeinflusst damit die Qualität. Am Ende hat sich herausgestellt, der war überhaupt nicht richtig in der SPS verknüpft und was man gesehen hat, war reines Rauschen. Sowas muss man erst mal finden.
Hast du auch für solche Vorhersagen ein Beispiel?
Man könnte das Modell jetzt nutzen, um die Qualität nicht nur retrospektiv zu verstehen, sondern sie vorhersagen, um zum Beispiel Puffer-Kapazitäten einzuplanen. Und zu wissen: Wie viel mehr muss ich produzieren, um den Ausschluss zu kompensieren? Ich habe zum Beispiel einen Chargenwechsel von meinem Aluminium Coil. Meine Prediction kann mir dann vorab sagen, dass mit diesen neuen, unveränderbaren Parametern die Qualität leiden wird. Also schicke ich besser gleich meinen Experten los und der kümmert sich um die Anlage.
Wie sieht der dritte Schritt genau aus, also die Steuerung?
Stell dir vor, du nimmst nochmal die gleiche Anlage her. Das, was in dem Beispiel gerade der Experte macht – auf eine Veränderung in der Anlage oder in der in den zugelieferten Teilen reagieren – kann ich auch in die Hände des Algorithmus geben. Natürlich nur, wenn das Modell und das Daten-Training auch hinreichend gut sind. Der Algorithmus berechnet dann selbstständig, wie die Anlage nachzuregeln ist.
Und die Anlage regelt sich dann selber?
Im Idealfall ja. Das kommt dann sehr stark auf die Modellierung an, die wiederum aus dem Kopf des erfahrenen Prozessexperten kommt.
(Lesen Sie auch: Was kann Predictive Maintenance?)
Wenn wir nicht die Data Scientists haben, die sich die Finger schmutzig machen , dann vertuen wir unsere Chance.Theo Stein
Wir sind im DACH-Gebiet technologisch auf einem sehr hohen Niveau, gerade was den Maschinenbau angeht. Wie sieht es denn im Bereich KI und Big Data aus? Würdest du uns auch auf ein Siegertreppchen stellen oder laufen wir dem Trend hinterher?
Ich denke, dass wir insbesondere in Deutschland eine Chance haben, noch eine Nische für uns zu behaupten. Das Thema Machine Learning im Bereich eCommerce ist besetzt. Aber wenn es darum geht, Machine Learning für industrielle Anwendungen zu bauen, sehe ich uns in einer guten Position. Noch.
Warum haben wir gerade hier noch gute Chancen?
Beim Optimieren eines Prozesses oder von Fräsmaschinen muss man ganz genau hinschauen. Der Schlüssel zum Erfolg ist hier unser Expertenwissen. Und das fehlt vielen anderen Industriestandorten. Aber wenn wir nicht die Data Scientists haben, die sich die Finger schmutzig machen und sich mit einer echten Anlage auseinandersetzen wollen, dann vertuen wir die Chance. Sie müssen sich das Ding in echt angucken. Sie müssen verstehen, wie die Maschine funktioniert und sich in die Use Cases einarbeiten. Sonst fehlt die Tiefe.
Machen wir einen kurzen Exkurs in die Ethik und die politischen Regularien, was etwa die Verwendung sensibler Daten angeht. Wie siehst du das Ganze?
Ich sehe eine große Chance darin, sich mit den ethischen Konsequenzen zu beschäftigen. Denn am Ende wird es nötig sein, Fragen der Ethik, der Haftung und der Berechenbarkeit beantworten zu können. Wenn wir uns diesen jetzt stellen, verschaffen wir uns damit vielleicht sogar einen Vorsprung im Vergleich zu anderen Nationen.
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