Instandhaltung : Was kann Predictive Maintenance?

Wasserkraftwerk Salzburg AG
© Salzburg AG

Im Grunde, sagt Markus Matschl, ist der Anwendungsfall eher ungewöhnlich, „aber uns war klar: Wenn wir hier eine Lösung finden, dann schaffen wir das auch bei vordergründig leichter zu lösenden Feldern.“ Matschl, Leiter Erneuerbare Erzeugung bei der Salzburg AG, setzt Predictve Maintenance zur Verschleißprognose für ein Turbinenlaufrad an einem Wasserkraftwerk ein, und das ist tatsächlich nicht der Paradefall: Derartige Anlagen sind nahezu Prototypen, sie sind exakt an den Standort angepasst.

„Sehr vereinfacht ausgedrückt, ist Predictive Maintenance ja erweiterte Statistik, und dafür brauche ich eine gewisse Grundgesamtheit und eine große Datenmenge. Am besten also viele Anlagen unter gleichen Einsatzbedingungen und mit eher kurzer Lebensdauer.“ Die Ergebnisse, erzählt Markus Matschl, waren letztendlich so gut, dass das System derzeit auf den gesamten hydraulischen Anlagenpark der Salzburg AG ausgerollt wird.

Predictive Maintenance, die vorausschauende Instandhaltung, ist kein ganz neues Thema, doch in den vergangenen Jahren erlebte es einen Aufschwung, der die Frage aufwirft, ob es sich um einen Hype handelt – oder ob es gekommen ist, um zu bleiben.

Keine Chance ohne gute Datenqualität

Denn nicht immer werden die Projekte zu einem Erfolg. Andreas Dankl, dessen Consultingunternehmen dankl+partner unter anderem auf Instandhaltungs-Beratung spezialisiert ist, erzählt von einer gewissen Ernüchterung. Vor allem, da im Zuge der Umsetzung von Predictive-Maintenance-Projekten in vielen Unternehmen deutlich wird, dass wesentliche Voraussetzungen fehlen: „Häufig mangelt es etwa an Daten über Zustände und Verschleißmechanismen von Anlagenteilen. Die Datenqualität aus Anlagen und Instandhaltungshistorie sind oft unzureichend, häufig auch die Kenntnisse über die Erstellung von Prognosemodellen.“

Die Folge: Viele Unternehmen starten Projekte, doch nur vergleichsweise wenige davon werden dann tatsächlich systematisch auf die Anlagenstruktur ausgerollt. Eine Ursache dafür könnte auch in der Schwierigkeit liegen, den nachweisbaren Nutzen von Predictive Maintenance transparent darzustellen – also etwa reduzierte Ausfallkosten, die Auswirkungen auf anlagenbezogene Risikobetrachtungen oder verlängerte Einsatzzeiten von Anlagenkomponenten. Im Gegensatz dazu, meint Dankl, sei der hohe Aufwand für die Erarbeitung der Lösung ausgezeichnet darstellbar.

Markus Matschl kann das bestätigen: „Ich denke, dass die Kosten doch einige Unternehmen abschrecken.“ Bei der Salzburg AG floss ein niedrig sechsstelliger Euro-Betrag in die Entwicklung des Verschleißmodells. Mittlerweile, erzählt Matschl, spare das Unternehmen aber mehr als 100.000 Euro pro Jahr ein, „das System ist also hoch wirtschaftlich. Wenn man Predictive Maintenance aber nicht über mehrere Anlagen skalieren kann, ist es eher uninteressant.“

„Ein Datenschatz, den wir heben konnten“

Ein zentraler Flaschenhals sind immer wieder die Daten. Die Salzburg AG war in dieser Hinsicht in einer guten Startposition: „Wir speichern schon seit Jahrzehntenalle Betriebsdaten unserer Anlagen über zehn Jahre“, erzählt Markus Matschl. „Wir verfügen also über einen echten Datenschatz, den wir heben konnten.“ Geschehen ist das gemeinsam mit einem Berliner Start-up namens AvailabilityPlus, das im Bereich der Datenanalytik tätig ist und vor allem auch auf die Verarbeitung nicht-strukturierter Daten spezialisiert ist.

Gemeinsam wurden 52 Messdaten für die Modellierung ausgewählt, hinzu kamen einige synthetische Variablen. Zugute kam dem Team zudem, dass bereits zuvor eine eigene Systematik für die digitale Auswertung von Instandhaltungsdaten entwickelt worden war. „Am Ende des Tages haben wir gesehen, dass die Verschleißprognose für dieses Laufrad sehr, sehr gut war“, sagt Markus Matschl. „Wir konnten die Schaufelstärke des Laufrades über zwei Jahre genauer vorhersagen, als wir es überhaupt messen konnten.“

Dass die Salzburg AG mit ihrem „Schatz“ nicht repräsentativ ist für die Mehrheit der Unternehmen, ist wohl bekannt. In vielen Fällen liegen die benötigten Daten nicht vor und müssen erst erhoben werden, ehe an die Modellierung eines Algorithmus für Predictive Maintenance überhaupt zu denken ist.

Ängste und Buzzwords

Das Thema Daten tangiert allerdings einen weiteren Aspekt. Die Vorstellung, unternehmensrelevante Informationen zu teilen – und das vielleicht auch noch über die Cloud –, ist für viele höchst unangenehm.

Das erlebt auch Richard Habering, Leiter des Geschäftsbereichs Smart Plastics bei igus. Beim Hersteller von schmierfreien Hochleistungskunststoffen beschäftigt man sich seit rund 15 Jahren mit Technologien, die den Zustand von Energiekettensystemen überwachen und den Kunden entsprechende Status-Rückmeldungen geben.

Mit „iSense“ bieten die Kölner ein System für die Zustandsüberwachung, unter dem Namen „iCee“ sind die Aspekte der Predictive Maintenance zusammengefasst: Die Software macht in Verbindung mit Sensoren an der Energieführungskette, der Gleitlagerbuchse oder einem Linearschlitten die ab Lager lieferbaren Produkte zu smarten Produkten. Ein Ansatz, der auch Bedenken weckt.

„Die Vorstellung, Maschinen mit dem Internet zu verbinden, ist für viele Unternehmen immer noch eine hohe Hürde“, erzählt Richard Habering. „Hier entstehen sofort Ängste, der Mitbewerb könnte Daten erhalten, die ihn nichts angehen. Oder auch, hier öffne sich ein Einfallstor für Viren oder Trojaner. Doch das ist reine Psychologie, reine Kopfsache.“ Er selbst frage, wenn er in Kundengesprächen diesbezügliche Bedenken spüre, ob sein Gegenüber gelegentlich online einkaufe oder sogar Online-Banking betreibe. „Viele bemerken dann, dass sie in ihrem Privatleben längst ziemlich digital unterwegs sind.“

Und Habering nennt einen weiteren Aspekt, der Predictive Maintenance gelegentlich im Weg steht: die Sprache. „Wenn ich einen Instandhalter frage, ob er Cloud-basierte Predictive Maintenance in Real Time will, wird er wahrscheinlich die Augen verdrehen. Frage ich ihn aber, ob er gerne wüsste, wann seine Energiekette wieder Betreuung braucht, wird er mir zuhören. Bediener, Instandhalter, Produktionsleiter, das sind meist wirklich geerdete Menschen, die haben keine Lust auf Buzzwords. Predictive Maintenance steht und fällt aber damit, dass man alle diese Menschen mitnimmt. Da kann ich dem CEO erzählen, was ich will.“

Was die Zweifel der Instandhalter betrifft, rät Andreas Dankl dazu, gut zuzuhören. Beharrungskräfte gebe es natürlich immer, doch gerade in Bezug auf Predictive-Maintenance-Umsetzung sehe er kritische Stimmen durchaus als berechtigt an, da gerade die Instandhalter häufig fehlende oder unzureichende Voraussetzungen als erste bemerkten.

Mit der Sprache der Predictive-Maintenance-Verfechter hadert auch Markus Matschl bisweilen. Während viele sofort von Künstlicher Intelligenz und Big Data sprechen, handle es sich tatsächlich oft nur um kompliziertere Algorithmen. „Restlebensdauerberechnung ist in manchen Bereichen Standard, dafür gibt es Normen und Regelwerke. Ebenso Anomalieüberwachung, die alleine ist in meinen Augen noch nicht Predictive Maintenance. Es ist wirklich nicht immer Raketenwissenschaft.“

Nichts für KMU? Im Gegenteil

Dass Predictive Maintenance dennoch recht gerne als Raketenwissenschaft verhandelt wird, mag auch so manches Klein- oder Mittelunternehmen zurückschrecken lassen. Die drei Experten verneinen jedoch vehement, dass KMU hier nichts verloren hätten.

Eher im Gegenteil: „Interessant bei den in Praxis erfolgreich angewendeten Beispielen ist, dass Predictive Maintenance nicht nur von großen Unternehmen mit entsprechenden Ressourcen umgesetzt wird, sondern primär von Unternehmen, die sich durch einen zielorientierten, strategisch ausgerichteten Technologieanspruch auszeichnen.“ Anders gesagt: von Unternehmen, die bei Industrie 4.0 und Digitalisierung nicht nur einzelne „Spotlights“ herauspicken, sondern eine klar definierte Digitalisierungs-Roadmap verfolgen.

Projekte scheitern in Dankls Augen also nicht an der Unternehmensgröße, sondern an mangelnder Systematik des Vorgehens. Dazu gehören eine klare Zielfestlegung, das Ermitteln des Predictive-Maintenance-Reifegrades, Wirtschaftlichkeitsvergleich und Priorisierung der Optimierungsalternativen sowie die Identifikation der notwendigen Voraussetzungen und die Priorisierung der Optimierungsalternativen. Schließlich müsse es eine klare Stop-or-Go-Entscheidung geben, ehe das Projekt tatsächlich weitergeführt werden kann.

Dankl verweist zudem auf einen Punkt, der häufig übersehen werde: „Die Einbindung von Domain-Experten ist absolut unerlässlich. Bei Predictive-Maintenance-Projekten müssen unbedingt Fachleute für Prozesse, Anlagen, Betrieb, Produktion, Instandhaltung und aus anderen Bereichen beteiligt werden.“ Predictive Maintenance, betont Dankl, sei jedenfalls kein Projekt für Zwischendurch – aber auch keinesfalls nur für Konzerne interessant.

Vor allem KMU, meint Markus Matschl, unterschätzten oft, welche Daten sie bereits in Händen haben. „Viele würden sich wundern, was man alles aus den Daten herausholen kann, wenn man sich nur richtig damit beschäftigt. Und zwar ganz ohne Künstliche Intelligenz oder riesige Budgets. Man muss nur wegkommen von Excel und Handzetteln, aber das ist im Grunde gar nicht so schwierig.“

Verschwinden werde Predictive Maintenance jedenfalls nicht mehr – allerdings immer deutlicher seine Einsatzgebiete finden. „Ich bin fest davon überzeugt, dass sich unsere Gesellschaft massiv in Richtung Digitalisierung bewegt“, sagt Richard Habering, „auch wenn es vielleicht nicht immer so genannt wird.“