Die Zukunft der Automobilindustrie : Herbert Diess: „Es ist definitiv die einzig praktikable Lösung“

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v.l.n.r.: Andreas Urschitz, Prof. Dr. Maja Göpel, Dr. Herbert Diess, Prof. Dr. Markus Lienkamp

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Herbert Diess, ehemaliger VW-Chef und Aufsichtsratsvorsitzender von Infineon Technologies, betonte die Bedeutung von batterieelektrischen Fahrzeugen: "Ich denke, es ist definitiv die einzig praktikable Lösung, die wir kennen. Ich denke, es ist weltweit gut verstanden, was getan werden muss. Es funktioniert. Es ist bewährt. Es gibt Systeme, die bereits zu 100 Prozent umgestellt sind, wie Norwegen. China liegt jetzt bei 50 Prozent. Es funktioniert also. Es ist viel effizienter. Die Mobilität wird billiger, nicht teurer, und die Mobilität wird emissionsfrei und hilft, den Planeten zu retten."

Er widerspricht der Idee, synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) oder Wasserstoff als Alternative zur Elektrifizierung zu betrachten. Seiner Ansicht nach lenken solche Diskussionen die Kunden ab und verzögern den Umstieg auf Elektroautos. Er räumt ein, dass E-Fuels für Nischenanwendungen wie Oldtimer geeignet sein könnten, aber im Massenmarkt nicht mit Elektroautos konkurrieren können. 

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Diess ist überzeugt, dass die Batterietechnologie eine Schlüsselrolle in der Energiewende spielt. Er sieht in Elektroautos mit ihren großen Batterien ein enormes Potenzial für die Speicherung von Solarenergie. Seiner Meinung nach können Elektroautos dazu beitragen, überschüssige Solarenergie zu speichern und bei Bedarf ins Stromnetz zurückzuspeisen. Dies würde den Ausbau des Stromnetzes reduzieren und den Kunden ermöglichen, die Energie für ihr Fahrzeug kostenlos zu beziehen. Diess kritisiert die deutsche Automobilindustrie für ihre Fokussierung auf Verbrennungstechnologien und die damit verbundenen Arbeitsplätze. Er plädiert dafür, die Chancen der Elektrifizierung zu nutzen und die Investitionen in neue Technologien zu erhöhen. Diess ist optimistisch, dass die deutsche Automobilindustrie im Bereich der Elektromobilität wieder eine führende Position einnehmen kann, wenn sie sich auf die neuen Herausforderungen einstellt und die Chancen der Elektrifizierung nutzt.

Elektromobilität allein nicht die Lösung

Marcus Lienkamp, ein führender Forscher im Bereich der Mobilität, gab jedoch zu bedenken, dass die Elektromobilität allein nicht die Lösung sei: "Im Moment sehen wir viele große, große Autos, die definitiv viel Energie benötigen. Und wenn man einen großen elektrischen SUV hat und die Grenze über das gesamte System zieht, ist er vielleicht schlechter als ein kleines anderes Auto. Egal, welchen Antriebsstrang man benutzt."

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Lienkamp betonte die Notwendigkeit, das gesamte Mobilitätssystem zu betrachten, einschließlich der Produktion von Fahrzeugen und der Nutzung von Sharing-Systemen: "Wir müssen über das Mobilitätssystem sprechen und wir müssen erreichen, dass Elektroautos vor allem viele Kilometer zurücklegen. Je besser, desto mehr Kilometer fahren sie. Daher wäre es gut, Elektroautos zum Beispiel im Carsharing zu haben. Denn wenn man ein Elektroauto hat, das nur in der Garage steht, bis zu etwa 5.000 Kilometer pro Jahr, ist es besser, es mit E-Fuels zu betreiben, was schlecht ist, ich weiß, wenn man nur die Gesamtbilanz des Autos betrachtet. Die gesamten CO2-Emissionen eines Elektroautos sind größer, wenn man das Auto einfach nicht benutzt."

Notwendigkeit eines ganzheitlichen Systemdenkens

Maya Göpel, eine Expertin für nachhaltige Transformation, brachte die Perspektive der Politik und der Zivilgesellschaft ein. Sie betonte die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Systemdenkens und kritisierte die enge Verflechtung von Politik und Automobilindustrie in Deutschland: "Wir hatten in diesem Land ein bisschen ein Problem mit dem Überlegenheitskomplex, weil wir Deutschland AG hatten, was eine große Verbindung zwischen dem politischen System und den politischen Parteien war, die teilweise große Aktionäre bei VW waren, zum Beispiel mit dem Land Niedersachsen. Wir sehen das auch bei anderen großen Unternehmen wie Thyssenkrupp etc. Wenn man einen großen Mischkonzern hat, ist das im Grunde kein Marktsystem, bei dem man auf der einen Seite die Politik und auf der anderen Seite die Wirtschaft hat, sondern es ist zu eng miteinander verschweißt."

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Göpel betonte die Bedeutung positiver Kommunikation und neuer Visionen, um die Transformation zu beschleunigen: "Ich denke, es gibt viele positive Dinge. Wie gesagt, wir alle sind besorgt über den Klimawandel, und jetzt steuert Trump dagegen und stellt all die Maßnahmen infrage, die wir ergriffen haben. Für Europa ist das also ein relativ negatives Szenario, und es passieren sehr bedrohliche Dinge. Aber es gibt auch sehr positive Dinge. Die Durchdringung mit Solarenergie nimmt zu, und das haben wir auch im letzten Panel gehört, 60% im letzten Jahr, sie verdoppelt sich alle drei Jahre. Die Zahl der neu installierten Energiesysteme liegt jetzt bei 80% Solarenergie und 90% Solarenergie und Windkraft. Niemand investiert mehr in Kohle, in fossile Brennstoffe. Das ist vorbei, einfach weil sie so billig geworden sind, dass sie keine politische Unterstützung mehr brauchen. Das Gleiche wird mit Elektroautos passieren, sie werden auf der ganzen Welt eingeführt werden. Vielleicht hinkt Deutschland ein bisschen hinterher, aber das spielt auf globaler Ebene keine Rolle. Auf der Umweltseite also sehr, sehr positive Dinge. All die Dinge, die in China in der Zwischenzeit in großem Maßstab produziert wurden, Solarmodule, Batterien, Hochspannungs-Gleichstromleitungen, Elektroautos, werden so wettbewerbsfähig und so viel billiger als die alte Welt, als die fossile Welt, dass sie sich durchsetzen werden."

Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass die Elektromobilität eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung des Verkehrssektors spielen wird. Es wurde jedoch auch deutlich, dass es neben der technologischen Entwicklung auch politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen zu bewältigen gilt, um die Transformation zu beschleunigen.