Im Gespräch: Prof. Sebastian Schlund : "Dies ist der entscheidende Moment “

BILD zu OTS - Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sebastian Schlund ist Institutsvorstand am Institut f?r Managementwissenschaften der Technischen Universit?t Wien und leitet den Forschungsbereich Industrial Engineering. Seit 2022 ist er Pr?sident der ?sterreichischen Wissenschaftlichen Gesellschaft f?r Produktionstechnik. Ab 1.12.2023 ist er Gesch?ftsf?hrer von Fraunhofer Austria

Professor Sebastian Schlund leitet den Forschungsbereich Industrial Engineering am Institut für Managementwissenschaften (IMW) der TU Wien und ist Geschäftsführer der Fraunhofer Austria Research GmbH mit ihren beiden Centern Nachhaltige Produktion und Logistik und Data-Driven Design.

- © Fraunhofer Austria

Es gibt einen starken Rückgang bei der Einschätzung der Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen Produktionsstandortes. Was sind die Gründe für diese negative Stimmungslage?

Sebastian Schlund:
Schon seit Beginn der Studie wird die globale Wettbewerbsfähigkeit interessanterweise immer höher eingeschätzt als die nationale. Letztes Jahr hat sich die Stimmung stark ins Negative gedreht, was vor allem auf die allgemeine wirtschaftliche Lage zurückzuführen ist. Unsere Befragung fand im Frühjahr statt, also zu einem Zeitpunkt, als die Rezession begann. Die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit liegt vor allem an den gestiegenen Energiekosten und den hohen Lohnabschlüssen. In Österreich sind die Löhne an die Inflation gekoppelt, was zu großen Lohnerhöhungen geführt hat. Während die Arbeitnehmer davon profitieren, setzen diese Entwicklungen die Unternehmen stark unter Druck. Diese Doppelbelastung schwächt die Wettbewerbsfähigkeit, und diese negativen Effekte werden sich wahrscheinlich in den nächsten Jahren fortsetzen.

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Österreich als Produktionsstandort hat offensichtlich ein Problem. Kann man anhand dieser Ergebnisse die allgemeine Absicht der Industrieunternehmen ablesen, die Produktion ins Ausland zu verlegen?

Schlund
: Diese Interpretation ist etwas weit hergeholt. Es gibt nach wie vor ein tiefes Verständnis dafür, dass es wichtig ist, einen Teil der Produktion in Österreich zu behalten. Dies sichert Wettbewerbsvorteile, vor allem im technologischen Bereich. Zudem wird die Nähe zwischen Industrie und Produktion geschätzt, insbesondere in Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungs- und Produktionsstandorten. Das sind wichtige Faktoren, die dafür sprechen, weiterhin in Österreich zu produzieren. Allerdings muss man realistisch bleiben: Die steigenden Kosten drücken auf die Wettbewerbsfähigkeit, und die Unternehmen werden wahrscheinlich verstärkt im Ausland wachsen. Es ist durchaus möglich, dass in Zukunft 90 Prozent des Wachstums im Ausland stattfinden und nur zehn Prozent in Österreich.

Die aktuellen Indikatoren zeigen also noch nicht das gesamte Ausmaß der Probleme.

Wenn man sich den Industrieproduktionsindex anschaut, liegt dieser über dem Niveau vor der Pandemie und zeigt eine Stagnation, aber keine Deindustrialisierung. Ist der Pessimismus nicht übertrieben, wenn man sich die realen Daten ansieht?

Schlund
: Der Industrieproduktionsindex ist zwar ein wichtiger Indikator, aber eher rückblickend, nicht prognostisch. Die gegenwärtige Lage mag stabil erscheinen, aber die Herausforderungen, vor allem durch steigende Kosten, betreffen die Zukunft. Standortentscheidungen werden langfristig getroffen, und dabei spielen Kosten wie Energie und Löhne eine entscheidende Rolle. Zudem sehen wir im Maschinenbau, dass viele Unternehmen noch Auftragsrückstände abbauen, während gleichzeitig der Auftragseingang zurückgeht. Die aktuellen Indikatoren zeigen also noch nicht das gesamte Ausmaß der Probleme. Ich kann nur die Perspektive aus betrieblicher Sicht wiedergeben, und aus dieser sind die Herausforderungen deutlich spürbar.

Der Automatisierungsgrad ist erstmals deutlich gesunken, um 18 Prozent. Woran liegt das? Die Unternehmen werden ihre Technik ja nicht zurückgebaut haben, oder?


Schlund
: Das lässt sich größtenteils durch das Sample erklären. Zum einen ist die Stichprobe relativ klein, da können bereits kleine Veränderungen große Auswirkungen auf das Ergebnis haben. Zum anderen ist der Anteil der KMUs in dieser Runde deutlich gestiegen, und diese haben in der Regel einen geringeren Automatisierungsgrad als größere Unternehmen. Interessant ist aber auch, dass wir einen ähnlichen Trend in den Zahlen der International Federation of Robotics sehen. Letztes Jahr war der Verkauf von Industrierobotern auf einem Höchststand, aber in diesem Jahr gab es einen leichten Rückgang von etwa 2 Prozent. Insgesamt bleibt das Wachstum hinter den Erwartungen zurück, sowohl in absoluten Zahlen als auch in der Dynamik.

Der Hype mag abflauen, aber die Relevanz und der Einsatz von Cobots werden bestehen bleiben.

Beim Thema KI gibt es ein Plus von rund 10 Prozent. Besonders signifikant sind die Anstiege bei spezifischen Anwendungen wie Produktionsplanung, Instandhaltung und Qualitätsmanagement. Bestätigt das die Stärken von KI, die wir heute in der Praxis sehen?

Schlund
: Das Ergebnis ist erwartungskonform. Schon vor zwei Jahren hatten wir bei KI-Themen einen überraschenden Ausreißer nach oben, was damals recht unerwartet war und auch von mir in der Studienpräsentation betont wurde. Diesmal deckt sich der Anstieg sowohl in absoluten Zahlen als auch in den Anwendungsbereichen mit den Entwicklungen, die wir in der Praxis beobachten. KI spielt besonders in Bereichen wie Machine Vision in der Qualitätssicherung, fortgeschrittene Algorithmen für Funktionsplanung und Steuerung sowie in der Analyse von Zeitreihen zur vorausschauenden Instandhaltung eine entscheidende Rolle. Es spiegelt genau wider, wo die Stärken von KI heute liegen. Trotzdem bleibt es eine spannende Momentaufnahme in einem sich dynamisch entwickelnden Bereich.

Beim Einsatz von Cobots gab es einen leichten Rückgang. Ist der Hype nun vorbei?


Schlund
: Cobots haben sich seit 2013/2014 stetig weiterentwickelt, und besonders in den letzten Jahren gab es einen starken Schub durch Startup-Investitionen. Jetzt sehen wir jedoch eine gewisse Marktbereinigung. Dennoch sind Cobots heute deutlich präsenter und aktiver im Einsatz. Die Anwendungsfelder weiten sich zwar aus, aber es gibt nach wie vor Herausforderungen – insbesondere bei komplexeren Aufgaben, die z. B. einen Wechsel des Endeffektors erfordern, was kostenintensiv sein kann. Auch Sicherheitsaspekte spielen eine Rolle, vor allem bei der direkten Zusammenarbeit mit Menschen. Trotzdem glaube ich, dass Cobots langfristig ihre Nische behalten und weiter wachsen werden, gerade in Bereichen wie Automatisierung und Produktionsunterstützung. Der Hype mag abflauen, aber die Relevanz und der Einsatz von Cobots werden bestehen bleiben.

Wenn wir über positive Entwicklungen sprechen: Die Lieferzeiten haben sich deutlich verkürzt. Bedeutet das, dass die Unternehmen die Krise genutzt haben, um sich zu optimieren?


Schlund
: Die verkürzten Lieferzeiten spiegeln eine erwartbare Entwicklung wider. Während der Covid-Krise und den Lockdowns gab es einen Peitscheneffekt, der die Lieferketten stark beeinträchtigt hat. Jetzt sehen wir eine deutliche Verbesserung, die zeigt, dass die Unternehmen ihre Produktion und Bestellungen angepasst haben. Ich bin überzeugt, dass die Erwartungen an kürzere Lieferzeiten weiter steigen werden. Wenn es kein kurzfristiger Effekt ist, könnte dies sogar ein langfristiger, stabiler Trend werden.

Made in Austria IndustriePANEL

Zukunft Produktionsarbeit Österreich

Kommen wir zum Thema Kreislaufwirtschaft. Immerhin 15 Prozent des Umsatzes der Unternehmen kommen aus Maßnahmen in diesem Bereich. Das ist doch ein positives Signal für den europäischen Industriestandort, oder?

Schlund
: Ich sehe das eher skeptisch. Zwar stimmt die Zahl von 15 Prozent für unser Panel, aber im Kontext der angestrebten EU-Ziele ist das viel zu wenig. Die Rate ist in den letzten Jahren auch nicht gestiegen, und die Lücke zu den Nachhaltigkeitszielen bleibt enorm. Die Kreislaufwirtschaft bietet erhebliche Chancen, insbesondere im Hinblick auf neue Geschäftsmodelle und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Ein bedeutendes Potenzial liegt in Bereichen wie Demontage, Aufbereitung und Wiederverwertung. Dabei sind insbesondere die Stoffströme relevant, die in der aktuellen Eco-Design-Richtlinie aufgegriffen werden, darunter Textilien, Möbel und Metalle. Leider wird dieser Ansatz in unserem Wirtschaftsstandort noch nicht ausreichend umgesetzt. Trotz der Chancen, die sich bieten, wird die Kreislaufwirtschaft nicht in einem Umfang angegangen, der eine signifikante Verbesserung der Wettbewerbsposition zur Folge hätte. Dies zeigt, dass noch erhebliches Potenzial besteht, um nicht nur nachhaltiger zu wirtschaften, sondern auch wirtschaftliche Vorteile daraus zu ziehen.

Abschließend, wie wird sich der österreichische Industriestandort in naher Zukunft entwickeln?


Schlund
: Meine Hoffnung ist, dass wir – und damit meine ich sowohl Industrie als auch die Politik und Wissenschaft – die aktuelle Krise als Chance begreifen, um Innovationen für die Zukunft vorzubereiten. Dies ist der entscheidende Moment, in dem wir die Weichen für morgen stellen können, denn wenn die Wirtschaft wieder anzieht, wird dieser Anreiz oft nicht in dem Maße vorhanden sein. Wenn wir jetzt nicht aktiv werden, könnte die Zukunft schwieriger aussehen, als sie sein müsste.