Smart Factory aus Sicht der Gewerkschaft : Binder: „Bei der Digitalisierung nicht auf die Arbeitnehmer:innen vergessen“
Die Digitalisierung revolutioniert die Produktion und verändert die Art und Weise, wie Waren hergestellt werden. Vor allem durch die fortschreitende Automatisierung, durch KI gesteuerte Roboter und durch vernetzte Produktionsanlagen werden Prozesse optimiert. Das Versprechen, durch Technologie Produktivitätssteigerungen zu erreichen, darf aber nicht den Blick auf das Wesentliche versperren: Es geht bei dieser rasanten Transformation auch um Herausforderungen für diejenigen, die direkt an den Fertigungsprozessen beteiligt sind.
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Der Mensch muss aus Sicht der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) daher bei der Digitalisierung im Mittelpunkt stehen. Die Bereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Qualifikation für die Technik sind zentrale Bausteine für eine erfolgreiche digitale Transformation. Aber nicht nur die Aus- und Weiterbildung steht im Fokus, es geht auch um Vertrauen. IFES hat im Jahr 2022 die Umfrage „Die Digitalisierungs-Sorgen der Beschäftigten“ im Auftrag der Arbeiterkammer durchgeführt. 74 Prozent der Befragten gaben an, Angst vor mehr Überwachung zu haben. Auch eine PRO-GE-Befragung unter Belegschaftsvertreter:innen („Kompass 4.0“) bestätigt, dass es vor allem Arbeitszeiterfassung-Tools sind, die in den Betrieben rasant zugenommen haben. Die Unternehmen brauchen daher schon aus Vertrauensgründen klare Strategien, wenn es um Digitalisierung geht. Und diese muss unter Einbindung der Betriebsrätinnen und Betriebsräte geschehen. Es gilt, Zustände, wie sie etwa beim Amazon-Konzern mit automatisierten Vorgaben und Beurteilungen und sogar automatisierten Kündigungen aufgetaucht sind, zu verhindern.
Roboter könnten künftig auch die Chance bieten, dass Beschäftigte länger einen körperlich sehr anstrengenden Beruf ausüben können. Wenn es etwa um taktgebundene Arbeiten, schwere Überkopfarbeiten und Tätigkeiten geht, die eine hohe Kraftanstrengung oder ungünstige Körperhaltung erfordern.
Viele Berichte aus den Betrieben zeigen uns, dass die Digitalisierung gegenteilige Auswirkungen haben kann. Indem sich zum Beispiel dadurch Tätigkeitsstrukturen, Qualifikationen und Arbeitsplätze verändern. Die einen beschreiben eine steigende Monotonie durch Systemvorgaben, die anderen loben wiederum ein spannenderes Arbeitsumfeld. Beide Gruppen stellen aber einen steigenden Arbeitsdruck fest. Hinzu kommt ein Trend, dass zunehmend befristete bzw. firmenexterne Arbeitskräfte eingesetzt werden. Dies betriff sowohl hochqualifizierte Spezialistinnen und Spezialisten als auch Hilfskräfte. Das wiederum wird sich auf Dauer negativ auf die betriebliche Mitbestimmung auswirken.
Aus diesem Grund darf bei der digitalen Transformation nicht auf die Arbeitnehmer:innen vergessen werden und ich halte den folgenden Grundsatz aus dem „Wiener Manifest für digitalen Humanismus“ für sehr entscheidend: „Unsere Aufgabe besteht nicht nur darin, die Nachteile der Informations- und Kommunikationstechnologien einzudämmen, sondern vor allem auch darin, von Beginn an menschenzentrierte Innovationen zu fördern. Wir fordern einen Digitalen Humanismus, der das komplexe Zusammenspiel von Technologie und Menschheit beschreibt, analysiert und vor allem beeinflusst, für eine bessere Gesellschaft und ein besseres Leben unter voller Achtung universeller Menschenrechte.“ Nur so wird eine nachhaltige und zukunftsorientierte Entwicklung möglich, die auch Chancen für Arbeitnehmer:innen mit sich bringt.
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