EVG Firmenportrait : EV Group: Warum Chiphersteller im Innviertel einkaufen

St. Florian am Inn ist ein 3000-Einwohner-Ort unweit von Schärding. Im Westen durch die deutsche Grenze und den namensgebenden Fluss begrenzt, breitet er sich östlich ins Innviertel aus. Hier, im Industriegebiet, liegt das „Silicon Nowhere“. So jedenfalls bezeichnen die Kundinnen und Kunden des Maschinenbauers EV Group (EVG) scherzhaft diese Gegend. Und die sind bei einer beachtlichen Exportquote von 98 Prozent weitgehend international. Die DI-Erich-Thallner-Straße, die sich um das Firmengelände schlängelt, ist nach dem heutigen Unternehmenspräsidenten benannt, der die Firma 1980 mit seiner Frau, Vizepräsidentin Aya Maria, gegründet hat. Mittlerweile führt mit Werner Thallner deren Sohn die Geschäfte. Und zwar an der Seite von Paul Lindner, dem technischen Leiter, und Hermann Waltl, der für Kundenservice und Verkauf zuständig ist.

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Über die EV Group:

Die weltweit tätige EVG aus St. Florian am Inn entwickelt und produziert Präzisionsmaschinen zur Wafer-Bearbeitung. Mit einem Exportanteil von 98 Prozent hat das Unternehmen eine starke internationale Ausrichtung. 1980 von Erich und Aya Maria Thallner unter dem Namen Electronic Visions Co. gegründet, wird die Firma heute in zweiter Generation von Werner Thallner geleitet. Außerdem Teil der Geschäftsführung sind Hermann Waltl, Executive Sales & Customer Support Director, sowie Paul Lindner, Executive Technology Director. Gemeinsam verfolgen sie den Leitgedanken, die Nummer eins in neuen Anwendungsgebieten der Mikro- und Nanotechnologie zu sein.

Ausbau ohne Ende

Bei den fast 20 Jahren, die Werner Thallner bereits im Unternehmen mitwirkt, kann er sich an kein Jahr erinnern, in dem es keine Baustelle gegeben hätte. Aktuell wird wieder erweitert. Kurz vor Weihnachten 2022 wurde die Fertigung 4 fertiggestellt, parallel dazu begann man gleich mit dem Bau der Fertigung 5, die jetzt bald finalisiert wird. „Und mittlerweile steht schon das Fundament für Fertigung 6, die im nächsten Jahr fertig wird“, ergänzt der Geschäftsführer. Bei all diesen Bauprojekten geht es um die Schaffung von mehr Produktionskapazitäten am Standort.

Für die EVG sind die Headquarters in Oberösterreich weltweit der einzige Entwicklungs- und Produktionsstandort. In anderen Ländern betreibt die Firma lediglich Vertriebs- und Serviceniederlassungen. Das bringt mitunter den Vorteil, dass man Entwicklungen schnell erproben kann; von der Idee über eine Konstruktionszeichnung bis hin zur Produktion sind die Wege kurz. Wenn der Bedarf nach Waferbonding-Maschinen steigt, rollen in St. Florian die Bagger an. Platz dafür hat man dort genug, denn: „Gott sei Dank hat mein Vater immer dann den Grund gekauft, wenn er ihn bekommen hat, und nicht erst dann, wenn er ihn gebraucht hat“, erklärt Thallner. Wenn es der Markt verlange, könne er die Produktions- und Lagerflächen noch problemlos verdrei- oder vervierfachen. Nachteil dieser nahezu endlosen Erweiterung sind die immer länger werdenden Transportwege. Um Wegzeiten einzusparen, setzt die EVG schon seit Jahren fahrerlose Transportsysteme ein.

Luftaufnahme des EGV-Hauptstandorts in St. Florian am Inn. Im Hintergrund steht wie üblich der Baukran neben dem Neubau der Fertigung 5. Links davon ist bereits das Fundament für die Fertigung 6 in Arbeit.
Wir sind der letzte im österreichischen Familienbesitz verbliebene Maschinenbauer für die Halbleiterindustrie.
Werner Thallner

Auf der Erfolgswelle der Digitalisierung

Die Digitalisierung schreitet voran, der Markt für die Halbleiter-Zulieferer wächst. Das allein sei aber noch kein Garant für ein erfolgreiches Unternehmen, wie Thallner hervorhebt: „Es gibt genug Equipmenthersteller, die die gleiche Industrie beliefern und trotz der Digitalisierungswelle nicht wachsen konnten.“ Mit dem Chipmangel, der durch alle Medien ging, rückte die Halbleiterindustrie in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Seither hegen alle großen Nationen ihre eigenen Hightech-Standorte. Damit tun sich auch Hidden Champions wie die EVG leichter zu vermitteln, was ihre Maschinen eigentlich können. „Alles, was Sie heute unter Hightech subsumieren, braucht im Vorfeld einen Maschinenbauer. Und in vielen Fällen sind das wir“, so der Geschäftsführer. In einem modernen Smartphone sind beispielsweise 10 bis 15 Teile verbaut, die über EVG-Maschinen gelaufen sind. Was die Halbleiter-Zulieferindustrie hierzulande betreffe, sei die Supply Chain laut Thallner sehr dünn gesät: „Wir sind der letzte im österreichischen Familienbesitz verbliebene Maschinenbauer für die Halbleiterindustrie.“

Dr. Werner Thallner ist EVG-Geschäftsführer in zweiter Generation.

3D-Innovation aus Österreich

Was macht die EVG, um mit ihren Produkten international so gefragt zu sein? Der große Erfolg des Maschinenbauunternehmens liegt unter anderem darin begründet, dass es tief im universitären Forschungsbereich verwurzelt ist und kräftig in die Entwicklung neuer Technologien investiert. „Österreich ist kein Billiglohnland. Wir können am Markt nicht über den Preis punkten. Daher setzen wir auf Wissen, sodass es für andere schwierig ist aufzuholen“, erläutert Thallner.

Ein Beispiel für dieses Vorausschreiten ist das dreidimensionale Stapeln von Wafern, also der Scheiben, auf denen schließlich Mikrochips hergestellt werden. Als die innovativen Köpfe aus dem Innviertel das heute gängige Herstellungsverfahren der 3D-Stack-Formation andachten, hätten sie vor Jahren noch das Image der „crazy guys from the alps“ gehabt, wie Thallner gerne erzählt. Heute, meint er, habe jeder Hersteller zumindest ein Entwicklungsprojekt, um dreidimensional aufgebaute Mikrochips oder andere Devices herzustellen – „und dafür braucht man unsere Technologie“. Am meisten Umsatz bringen freilich nicht die ausgeklügelten Innovationen, sondern Anlagen für die Hochvolumenproduktion, die vollautomatisiert 24/7 laufen.

Ein Staubpartikel kann bei uns zwischen einem funktionierenden und einem nicht funktionierenden Produkt entscheiden.
Werner Thallner

Kleine Chips, massige Maschinen

Ein Erfolgskriterium in der Halbleiter-Zulieferindustrie ist Vertrauen. „Der Kunde sagt uns, was er vorhat, wo seine Reise hingeht und was zu Weihnachten in den Läden stehen wird“, so der Geschäftsführer. Daher passe man in seiner Firma „sehr gut auf Geheimnisse auf“.

Was die Produktionsbedingungen betrifft, ist die wichtigste Voraussetzung die Sauberkeit. Das unterscheidet die Halbleiterindustrie am meisten von anderen Bereichen. „Ein Staubpartikel kann bei uns zwischen einem funktionierenden und einem nicht funktionierenden Produkt entscheiden“, betont Thallner. Dafür gibt es in St. Florian Reinräume mit höchstens 10 Partikel pro Kubikmeter Luft, in denen die Anlagen betrieben werden. Für die Anlagenfertigung selbst reicht Reinluft aus – hier fallen bis zu 100.000 Partikel auf einen Kubikmeter Luft. Und das zweite große Thema ist Genauigkeit. In der Welt der Mikroelektronik muss alles kleiner werden, es muss mehr Leistung auf weniger Raum untergebracht werden, und dies auch noch billiger. Umgekehrt werden die dafür eingesetzten Maschinen immer größer und schwerer, um die geforderte Präzision zu erreichen. Einflüsse von außen sowie Vibrationen muss man dazu so gering wie möglich halten.

Digital zu effizienten Abläufen

Nicht nur im Consumer-Bereich, sondern auch in den Fabriken hat die Digitalisierung ihren Siegeszug angetreten. Mitverantwortlich für diese Entwicklung ist der Fachkräftemangel. Thallner versucht in seiner Produktion zu automatisieren, wo es nur geht. Bei der Arbeitsvorbereitung gibt es bereits digitale Helfer – von der zentralen Programmierung und Steuerung der vollautomatischen CNC-Fräszentren in der spanabhebenden Fertigung bis zur professionellen Projektmanagementlösung, um Aufträge zu planen und den Durchlauf in der Produktion zu optimieren. Auch in der Dokumentation des Maschinenbaus hat die Digitalisierung Einzug gehalten: „Wir wissen genau, wo in unseren Maschinen jedes einzelne Kabel liegt und können das, wie von den Großkunden gefordert, jederzeit reproduzieren.“

Künstliche Intelligenz
ist zum Beispiel beim Erstellen von Software im Einsatz. Oder auch um Ausfallswahrscheinlichkeiten vorauszusagen und Ersatzteillager für die Kundinnen und Kunden zu planen. „Aber für uns vielleicht noch wichtiger ist das Ermöglichen der künstlichen Intelligenz durch unsere Produkte nach außen am Markt. Künstliche Intelligenz braucht Speicher, Rechenleistung – und am Ende des Tages EVG“, so Thallner.

Die EV Group ist international für ihre Waferbonding-Systeme bekannt.

- © EV Group

Ein Hidden Champion, der sich nicht verstecken will

Dass die EV Group im österreichischen Branchenvergleich gut dasteht, zeigen die Zahlen im aktuellen Maschinenbauer-Ranking. Und Österreich ist laut einer Berechnung der Industriellenvereinigung relativ zu seiner Bevölkerungsgröße im Bereich der elektronischen Bauelemente europaweit die Nummer 1. Dies noch weiter ins Bewusstsein der Menschen zu rücken, ist Werner Thallner ein wichtiges Anliegen: „Es gibt viele Unternehmen in Österreich, die in ihren Nischen Weltmeister sind und die man teilweise gar nicht kennt. Da würde ich mir wünschen, dass man die viel mehr ins Rampenlicht holt.“ In den USA, merkt er augenzwinkernd an, gelte schnell etwas als großartig und fantastisch. Es schade also nicht, auch den „crazy guys“ aus dem Innviertel die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

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