Remote Services und Visual Support : Mit Augmented Reality und Smartglasses Industrieanlagen warten und entstören

Augmented Reality Datenbrillen bzw. Smartglasses ermöglichen Visual Support und können die Diagnostik während Instandhaltungsprozessen erleichtern.

Augmented Reality Datenbrillen bzw. Smartglasses ermöglichen Visual Support und können die Diagnostik während Instandhaltungsprozessen erleichtern.

- © Bitnamic

Der Service gehört zum Geschäftsmodell von Maschinenbauern – er muss aber nicht per se an der Anlage des Kunden stattfinden, sondern kann auch als Remote-Call, als Telefon- oder Videoschaltung mit den Technikern vor Ort erfolgen. Allerdings läuft ein Servicefall nicht immer reibungslos ab. Mitunter kann es zwischen Service-Experten des Maschinenbauers und technischen Fachkräften vor Ort beim Kunden zu Hindernissen und Verständnisproblemen kommen. Gerade wenn der Verkauf und anschließende Service von Maschinen oder Anlagen weltweit stattfindet.

Hürden können sich unter anderem in Sprachbarrieren, unterschiedlichen Benennungen von Maschinenteilen oder fehlender Standardisierung in der Ausbildung von Mitarbeitenden vor Ort ergeben. Für Instandhaltungsprozesse in Industrie-Unternehmen kann es deswegen sinnvoll sein, seinen Remote-Service mit Augmented Reality (AR) zu erweitern.

Die dabei eingesetzten Datenbrillen, sogenannte Smartglasses, ermöglichen den Visual Support: Der visuelle Eindruck erleichtert die Diagnostik erheblich und ist einer verbalen Schilderung deutlich überlegen. Die zugeschalteten Experten können den Blickwinkel des Technikers vor Ort einnehmen, ihn anleiten und ihm zeigen, welche Handgriffe notwendig sind.

Unterschiede zwischen AR und VR

Augmented Reality ist nicht mit Virtual Reality zu verwechseln: Letztere ist eine virtuelle Repräsentation der Welt, in die der Mensch vollständig eintaucht. Augmented Reality bedeutet dagegen, dass die materielle Welt, die der Mensch weiterhin wahrnimmt, mit virtuellen Elementen angereichert wird.

Über Datenbrillen können zum Beispiel kontextrelevante Informationen im Sichtfeld des Technikers angezeigt werden – Warnhinweise auf Hochspannung oder Informationen und Darstellungen, etwa eine Anleitung aus dem Handbuch mit Workflows und dem richtigen Vorgehen, das Schritt für Schritt eingeblendet werden kann. Mit Annotationsfunktionen können Kreise, Pfeile oder Texte die relevanten Bereiche hervorheben. So wird der Informationsfluss vereinfacht.

AR light oder 100 Prozent

Man muss weiterhin zwischen den Anwendungsfällen AR light und 100 Prozent AR unterscheiden. Bei ersterem trägt der Techniker eine Datenbrille wie "RealWear Navigator 520" oder "VUZIX M400"; dies sind Modelle, die einem Headset ähneln. Sie verwenden einen 2D-Bildschirm im Blickfeld und sind mit der Funktionalität eines Smartphones vergleichbar – mit dem Unterschied, dass das Display als digitaler Assistenzbildschirm im peripheren Sichtfeld vorliegt. Darüber können Informationen an den externen Experten gesendet und Informationen empfangen und geöffnet werden – seien es etwa Videos, Bilder, Anweisungen und Dokumente.

Eine wirkliche Realitätsüberlagerung erfolgt bei AR light jedoch nicht. Dafür ist eine Datenbrille wie die "Microsoft Hololens" oder "Apple Vision Pro" notwendig, die der Techniker als Head-Mounted Display (HMD) vor den Augen trägt. Sie ermöglichen Ein- und Überblendungen im gesamten Sichtfeld und damit im gesamten realen Raum – 100 Prozent Augmented Reality.

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Der Funktionsumfang von Augmented-Reality-Maintenance hängt von der Hardware, der Technik und Komplexität der Smartglasses ab. Hochwertige Modelle sind in der Lage, den Raum, seine Geometrie und Tiefe mit Sensorik und Kameras zu erfassen. Ein Scanner trackt den Raum und der Standort des Brillenträgers wird vom System erkannt. 3D-Objekte können ins Sichtfeld integriert werden. Da sie räumlich verankert werden, bleiben sie am Platz, auch wenn der Mensch sich bewegt. Effekte wie das Drehen und Übereinanderlegen von Objekten werden möglich, sodass man zum Beispiel erforderliche Bauteile virtuell im Blickfeld ausrichten kann, um eine Montage anschaulich zu erklären.

Funktionsumfang und notwendige Investitionen

Eine 100-Prozent-AR-Datenbrille lässt die Realität mit virtuellen Inhalten verschmelzen. Durch die präzise Visualisierung, die passenden Einblendungen mit Objektüberlagerung und den größeren Funktionsumfang lassen sich Arbeitsabläufe bei Instandhaltung und Reparatur weiter vereinfachen. Diese fortgeschrittene Funktion von Augmented Reality erfordert aber auch eine höhere Investition, da die Datenbrillen zur Umsetzung von 100 Prozent AR deutlich teurer sind als die Varianten von Augmented Reality light.

Zudem muss die eigene Software die Datenbrillen unterstützen – eine reine App reicht nicht aus, um die volle Funktionsbreite nutzen zu können. Unternehmen benötigen dann Klarheit, welche Smartglasses sie nutzen wollen und welche zusätzlichen Funktionen für ihren Anwendungsfall notwendig sind. Die Implementierung ist also aufwändiger.

Das sollte man beachten

Außerdem können eventuell Herausforderungen mit dem Werks- und Arbeitsschutz hinzukommen, die aber im Vorfeld geklärt werden können:

  • Bei der Nutzung von Datenbrillen und Visual Support-Software kann die Möglichkeit einer Verpixelung (z.B. von Mitarbeitenden auf dem Shopfloor) sowie von sensiblen Daten für den Datenschutz von Vorteil sein.
  • Datenbrillen kollidieren nicht mit einer Helmpflicht. Das Tragen der Brille und der Komfort mit Helm lassen sich während der Arbeit im Vorfeld testen.
  • Datenbrillen sollten fest am Kopf sitzen, damit sie nicht verrutschen oder herunterfallen.
  • Bei der Brille von Apple schaut der Techniker zudem durch Kameras auf die Welt, was bei schnell beweglichen Teilen an einer Maschine zu Sicherheitsproblemen führen kann.

Die Geräte von AR light bieten zwar einen geringeren Funktionsumfang, sind aber ein guter Einstieg in die industrielle Remote Maintenance. Sie sind zudem robuster und halten Stöße aus. Zudem gestaltet sich ihre Implementierung und Nutzung einfach. Meist Android-basiert, müssen bei den zu verwendenden Apps nur Eingabemöglichkeiten (Sprache, Buttons), Oberflächen und Schriftgrößen an das Display angepasst werden. Insgesamt ist auch ihre Handhabung leichter zu erlernen.

Remote Maintenance mit Smartglasses

Der entscheidende Vorteil von Smartglasses gegenüber Remote Maintenance mit Geräten wie Smartphones, die es ebenfalls erlauben, einen Support-Call durchzuführen, liegt darin, dass der Techniker an der Maschine beide Hände frei hat. Er muss weder Smartphone noch Tablet mitführen. Der Blick auf das Gerät entfällt und es muss weder ausgerichtet noch gehalten werden. Gerade in extremeren Szenarien, wie der Reparatur einer Windkraftanlage, ist das unabdingbar.

Da sich die Kamera der Brille direkt am Auge des Technikers befindet, vereinfacht sich die Kommunikation: Auf diese Weise kann der externe Experte schneller nachvollziehen, welches Bauteil fokussiert wird. Prozesse von Wartung, Instandhaltung, Reparatur, Problembehebung und Entstörung können effizienter, interaktiver und verständlicher erfolgen.

In einer Mehrzahl der Fälle ist Visual Support auch über ein Smartphone denkbar. Wichtig ist allerdings, dass die dafür eingesetzte Software, wie etwa "bitnamic CONNECT", alle Fälle – Visual Support via Smartphone, Augmented Reality Light und Augmented Reality – abdecken kann.

Remote Service mit IoT-Integration

Visual Support bzw. Remote Maintenance kann über die Integration von IoT und damit von Maschinendaten aus der Sensorik noch performanter werden. Die Datenverbindung erfolgt dabei über ein IoT-Gateway. Zum Beispiel kann von einem Industrieroboter als Teil einer Fertigungsanlage ein digitaler Zwilling erstellt werden. Seine Sensorwerte lassen sich über eine Cloud-Anbindung übertragen und live am Modell visualisieren.

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Tritt ein Fehler auf, kann die betroffene Komponente farbig markiert und der Fehlertext angezeigt werden. Über die Software wird bei Bedarf eine Remote-Maintenance-Sitzung aufgebaut. Der externe Experte sieht dann nicht nur das Sichtfeld des Technikers vor Ort, sondern auch die IoT-Sensordaten und die Fehlermeldung des Roboters. Mit diesen Informationen und der Vernetzung von Maschinendaten und Infrastruktur kann das Problem schnell behoben werden bzw. die Entstörung effizient erfolgen.

Fazit

Wartungs- und Instandhaltungsprozesse in der Industrie können mit Augmented Reality und Smartglasses effizient gestaltet werden: Der Techniker hat die Hände frei, um an der Maschine zu arbeiten, der externe Experte wird mit allen relevanten Informationen versorgt und kann in der fortgeschrittenen AR-Variante sogar 3D-Objekte ins Sichtfeld des Technikers einblenden lassen, um eine genaue Arbeitsanleitung zu visualisieren. Mit der passenden Software lassen sich zudem IoT-Daten in die Fernwartung integrieren.

Die Autoren

Rolf Behrens, Geschäftsführer Bitnamic GmbH

Nadja Müller, Redakteurin für Wordfinder