Lieferprobleme
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Rechtsexperte:
Was bei Lieferausfällen und Teuerungen zu tun ist
„Man kann unter bestimmten Bedingungen aus Verträgen aussteigen“, sagt Descovic. „In den meisten AGBs ist irgendwo der Begriff ‚höhere Gewalt‘ angeführt. Doch dieser ist in Österreich gesetzlich nicht definiert. Man findet Erläuterungen dazu aber meist in den Klauseln der AGBs“, so der Jurist weiter. Statt von höherer Gewalt spricht der Rechtsexperte von der „Nachträglichen Unmöglichkeit“. Diese müsse aber unverschuldet sein. Unverschuldet heißt angesichts der aktuellen Lage auch unerwartet. „Wir haben zum Beispiel im Energiesektor so hohe Preissteigerungen, wie seit dem 1. Weltkrieg nicht mehr“, gibt Deskovic zu bedenken. Dies vorauszusehen und sich als LieferantIn entsprechend vorzubereiten, wäre also kaum möglich gewesen. Schwieriger zu argumentieren wird ein Engpass oder eine Teuerung laut dem Experten, wenn der Vertrag in der zweiten Jahreshälfte 2021 geschlossen wurde, als sich die Versorgungskrise schon abgezeichnet hatte.
Wie weit LieferantInnen Preissteigerungen abfedern müssen
Zusätzlich gilt zu unterscheiden, ob eine Ware gar nicht oder nur zu teureren Preisen erhältlich ist. Im ersten Fall – eben bei unverschuldeter nachträglicher Unmöglichkeit – ist die Sache klarer: „Hier können LieferantInnen aus dem Vertrag aussteigen“. Davor müssen sie aber versucht haben, die Ware woanders zu bekommen. Von KundInnenseite kann hier wenig unternommen werden: „Man kann niemanden zwingen, etwas zu liefern, das nicht vorhanden ist“, so Deskovic. Wenn zwischen Vertragsabschluss und -erfüllung Rohstoffpreise angestiegen sind, wird die Sache komplizierter. Denn dann stellt sich die Frage, ob die LieferantInnen trotzdem zu den vereinbarten Preisen verkaufen müssen. „Nicht, wenn die Ware für die Lieferantin oder den Lieferanten unerschwinglich geworden ist.“, erläutert der Experte. Als Maßstab für die Unerschwinglichkeit könnte eine Verdoppelung des vereinbarten Preises dienen. Wenn dies gegeben ist, ist sollte es möglich sein, aus bestehenden Verträgen auszusteigen und Preise neu zu verhandeln. „Jüngere Judikatur dazu fehlt aber noch.“
Vertragliche und gesetzliche Vielfalt
Generelle Aussagen über die Rechte und Möglichkeiten von VertragspartnerInnen zu treffen seien aber schwer, da sich Verträge individuell unterscheiden. Wenn Uneinigkeit besteht, bleibt also eine individuelle Rechtsberatung nicht aus. Zudem gibt Deskovic zu bedenken: „Die aktuelle Versorgungskrise ist eine internationale Krise. Daher muss man bei grenzüberschreitenden Lieferungen immer beachten, welches Recht anzuwenden ist“. Selbst sehr ähnliche Länder wie Österreich und Deutschland weisen in der Rechtslage wesentliche Abweichungen auf – in Deutschland sind etwa einseitige Preisanpassungen in bestimmten Grenzen rechtlich möglich, hierzulande nicht. über Europas Grenzen hinweg sind diese Unterschiede noch eklatanter.
Für zukünftige Vertragsverhandlungen rät der Jurist, Preisgleit-Klauseln anzuführen, um bei externen Preisschwankungen flexibel zu bleiben. „Dabei können sich KundInnen und LieferantInnen das Risiko teilen“, erklärt Deskovic abschließend.
Über die Person:
Mag. Ivo Deskovic ist Partner im Dispute Resolution Team der internationalen Sozietät Taylor Wessing. Er beschäftigt er sich u.a. mit Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Vetrieb und ist bekannt dafür, dass er regelmäßig als Parteienvertreter oder Schiedsrichter vor nationalen und internationalen Schiedsgerichten, gerade bei kommerziellen Rechtsstreitigkeiten, tätig ist.