Interview : „Ob GAIA-X wirklich notwendig ist? Ich weiß es nicht“
FACTORY: Herr Papenfort, geht es heute noch ohne die Cloud?
Es geht sicher auch noch ohne Cloud, denn die meisten unserer Kunden sind Maschinenbauer, die häufig auf Bewährtes setzen. Zahlreiche Maschinen sind aktuell nach wie vor nicht vernetzt. Das wird zukünftig aber sicherlich mehr werden.
Was wird besser, wenn es mehr Vernetzung gibt?
Es wird möglich, dass ein Maschinenbauer nicht mehr die Maschine, sondern nur noch die Produktion verkauft. Es kommen also neue Geschäftsmodelle auf. Und dafür müssen Maschinenbauer immer einen Zugriff auf die Maschine haben, um diese kontinuierlich zu warten und zu optimieren. Die Cloud ist nur das Vehikel, sie tut von sich aus nichts - viel wichtiger als die Cloud sind die Dienste, die sie ermöglicht.
Wie weit sind die Maschinenbauer beim Ausbau ihrer Geschäftsmodelle?
Es ist ein Prozess, mit dem die Maschinenbauer jetzt langsam starten. Über Industrie 4.0 reden wir schon seit zehn Jahren. Aber ich glaube, jetzt erst wird deutlich, dass man mit diesem Gedanken auch Geld verdienen kann. Und die Maschinenbauer können zwar Maschinen verkaufen, aber langfristig werden sie einen großen Teil ihres Umsatzes mit Service machen. Von der Ersatzteillieferung bis hin zu Maintenance.
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Über Industrie 4.0 reden wir schon seit zehn Jahren. Aber ich glaube, jetzt erst wird deutlich, dass man mit diesem Gedanken auch Geld verdienen kann.Josef Papenfort
Bleiben wir beim Thema Cloud, aber kommen wir zu GAIA-X. Das Projekt wurde 2019 beim Digital-Gipfel in Dortmund gestartet. Und zwar mit dem Ziel, Cloud Computing "Made in Europe" zu fördern und somit die Datensouveränität sicherstellen. Würden Sie sagen, das Projekt ist gescheitert?
Ich würde nicht sagen, dass es gescheitert ist. Nur ist die Frage, was letztlich davon wirklich übrigbleibt.
In welcher Phase der Entwicklung sehen Sie GAIA-X im Moment?
Noch immer in der Definitionsphase. Es gibt noch nichts, das wir als Produkt nutzen könnten.
Das klingt aber sehr pessimistisch.
Ja, ich bin pessimistisch. Und ich weiß auch nicht, ob das Projekt wirklich notwendig ist. Auch wenn Beckhoff als Gründungsmitglied mit dabei ist.
Was macht GAIA-X Ihrer Meinung nach obsolet?
(Lesen Sie auch: GAIA-X: Europäische Dateninfrastruktur als Wettbewerbsvorteil für heimische Produktion)
Zur Person:
Dr.-Ing. Josef Papenfort startete seine berufliche Karriere nach einem Studium der Elektrotechnik an der Universität Paderborn bei der KABE Datentechnik und als Softwareentwickler im Bereich Projektierungssoftware für Steuerungen bei Schneider Electric. Bei Beckhoff Automation ist Josef Papenfort seit 1997. Seit 2015 leitet er dort das Produktmanagement für die Automatisierungssoftware TwinCAT.
Wir sind sowieso mehr und mehr bei den großen Cloudanbietern. Für mich stellt sich vor allem die Frage nach dem zusätzlichen Nutzen für einen Endkunden oder für einen Maschinenbauer. Letztlich geht es darum, die Daten zu sichern und nur für bestimmte Personen oder Gruppen nutzbar zu machen. Und das bietet eine normale Cloud auch. Zudem wäre die GAIA-X-Cloud ebenfalls gehostet von Amazon oder Microsoft.
Und wie ist es, Ihrer Einschätzung nach, dort um die Datensouveränität bestellt?
Das ist eine gute Frage. Wenn Sie Ihre Fotos vom iPhone irgendwo hochladen, machen Sie sich Gedanken darüber? Natürlich sollten Sie das, aber die genauen Lizenzverträge haben Sie wahrscheinlich nicht gelesen.
Aber bei einem Industriebetrieb ist mehr zu holen als bei einer Privatperson…
Ja, das kann sein. Aber für das Monitoring einer Maschine müssen Sie gar nicht alle Maschinendaten ins Netz stellen. Ich kann mir vorstellen, dass hier schon vorgefilterte und anonymisierte Daten geliefert werden.
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Ich glaube nicht, dass wir in Europa unsere eigenen Datacenter mit eigenem Zugang und eigener Cloud öffnen können. Die Zeit ist vorbei.
Josef Papenfort
Nun zu dem Argument, dass hier unsere Chance als Europa liegt. Wenn nicht in Projekten wie Gaia-X die Antwort liegt, wo dann? Was können europäische Unternehmen stattdessen tun, um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten?
Meiner Meinung nach gibt es den internationalen Wettbewerb nicht. Es gibt die großen Anbieter. Und ich glaube nicht, dass wir in Europa unsere eigenen Datacenter mit eigenem Zugang und eigener Cloud öffnen können. Die Zeit ist vorbei. Das gibt es im kleinen Rahmen, aber im großen Rahmen mit eigener Hardware, mit entsprechenden Sicherheitsmechanismen und einer entsprechenden Cloud-Software, das wird es meiner Meinung nach nicht mehr geben.
Und jetzt zu Ihnen. Wofür schlägt ihr Herz als Produktmanager am höchsten?
Künstliche Intelligenz, Machine Learning und neuronale Netze. Das ist es, was die Welt der Automatisierer – und damit auch der Maschinenbauer und der Endkunden – langfristig ändern wird. Denn viele Dinge, die wir als Ingenieure nicht analytisch lösen können, werden wir vielleicht mithilfe von KI lösen. Das wird unsere Welt verändern. Das wird Probleme lösen, die wir bisher nicht lösen konnten. Und wird natürlich auch viele Fragestellungen aufwerfen.
Zum Schluss haben Sie also doch einen optimistischen Ausblick für uns?
Beim diesjährigen Kanzlerbesuch auf der Hannover Messe sagte mein Chef Hans Beckhoff einleitend: „Ingenieure müssen die Welt retten“. Ich glaube, da ist viel Wahres dran. Denn was brauchen wir? Wir brauchen für viel mehr Menschen viel mehr Güter in viel besserer Qualität überall auf der Welt. Und das werden wir nur durch Technik und insbesondere durch Automatisierungstechnik schaffen.
(Lesen Sie auch: Das sind die größten Maschinenbauer in Österreich 2022)
Die Bedeutung der Cloud in Produktionsbetrieben:
Die Cloud stellt die notwendige, skalierbare Infrastruktur für die Vernetzung von IoT-Devices zur Verfügung. Bis zum Jahr 2025 soll es laut ExpertInnen weltweit 22 Mrd. vernetzter Geräte geben. Für Herstellerfirmen kann das die Grundlage für neue Geschäftsmodelle darstellen. Mithilfe der Cloud werden cloudbasierten Datenanalyse im Betrieb und vorausschauende Wartung möglich. Strategien, die Stillstandzeiten reduzieren und die Effizienz von Produktionsprozessen erhöhen können. Die TwinCAT-Engineering- und Steuerungssoftware von Beckhoff lässt sich auch in der Cloud nutzen. TwinCAT Cloud Engineering ermöglicht eine Instanziierung und Verwendung von existierenden Engineering- und Runtime-Produkten direkt in der Cloud.