Kolumne : Industrie 5.0: Der König ist tot. Lang lebe der König!

Ein Bekannter von mir hat eine Veranstaltung zu Genossenschaften und deren Bedeutung in Österreich organisiert. Eine kleine Gruppe meldete sich an – bis man das Wort Genossenschaften durch „Cooperatives“ ersetzte. Durch den geänderten Begriff konnte man neue Zielgruppen für Genossenschaften begeistern, die Veranstaltung war schlussendlich sehr gut besucht.

In letzter Zeit stößt man zunehmend auf den Begriff „Industrie 5.0“. Was ist der Unterschied zu Industrie 4.0? Industrie 4.0 steht für die Digitalisierung der Produktion. Bei Industrie 5.0 stehen Menschen, insbesondere die Arbeitskräfte der Produktion, im Zentrum der Überlegungen. Wird nun alles anders für die österreichische Industrie?

Menschen im Mittelpunkt

Wohl kaum, denn: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielen in der österreichischen Produktion immer schon eine, wenn nicht die, zentrale Rolle. Gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte mit ihrem Domänenwissen bilden den Kern erfolgreicher Industrieunternehmen.

Sinnvolle Industrie 4.0-Projekte setzen daher bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an und unterstützen die Arbeitskräfte im Betrieb. Von automatisierten Hebehilfen, die in der Logistik gesundheitliche Risiken reduzieren, bis hin zu flexiblen Arbeitszeiten und Arbeitsorten bei IT-bezogenen Tätigkeiten – die Unterstützung kann dabei sehr unterschiedlich aussehen.

Beispiele aus der Praxis

Das Wiener Unternehmen Workheld ermöglicht beispielsweise mithilfe von Datenbrillen die Wartung von Palfinger-Kränen aus der Ferne – weniger Einsätze des österreichischen Personals bei Kunden vor Ort reduzieren die Kosten für Unternehmen, weniger Fernreisen verbessern die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden.

TÜV Austria
wiederum nutzt Prüfdaten aus der Vergangenheit als Entscheidungshilfe für die hauseigenen Expertinnen und Experten – so kann z. B. die für Menschen optimierte Datenaufbereitung den Zeitdruck bei der Überprüfung der Festigkeit von Gas-Tanks und damit die Arbeitslast reduzieren.

Dass die Digitalisierung der Produktion ein gemeinschaftliches Projekt sein kann, zeigt sich auch auf anderer Ebene: Mit dem Digifonds fördert die österreichische Arbeiterkammer Digitalisierungsprojekte, die unter anderem von Betriebsräten initiiert werden. In einem Projekt der ÖBB werden z. B. Lehrlinge mit Virtual-Reality-Anwendungen für die Arbeit an den Gleisen geschult. Bei Magna in der Steiermark konnte man mit Augmented-Reality-Brillen gleichzeitig Arbeitserleichterungen und Produktivitätssteigerungen erzielen, die Auswahl der Brillen wurde dabei an die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angepasst.

Europäische und zukünftige Entwicklungen

Die Forschung an der menschzentrierten Produktion wird durch die Europäische Kommission über die Programme „Horizon Europe“ und „Digital Europe“ direkt gefördert. Aktuell wird z. B. mit starker österreichischer Beteiligung das Projekt BRIDGES 5.0 umgesetzt – Ziel des Projekts ist es herauszufinden, welche Fähigkeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Produktion in Zukunft benötigen und wie man die benötigten Skills aufbauen kann. Die Ergebnisse solcher Projekte werden auch für Unternehmen sehr interessant sein.

Die Bedeutung von Fachkräften für den Wirtschaftsstandort Österreich nimmt zu: Maschinen zu kaufen ist zumeist einfacher, als gute Arbeitskräfte zu finden und zu halten. Derzeit gibt es Überlegungen, wie man diesen Umstand z. B. in den Bilanzen von Industrieunternehmen sinnvoll abbilden könnte. Auch hier gilt es, die Augen und Ohren offen zu halten.

Fazit

Erfolgreiche Digitalisierungsprojekte in der österreichischen Industrie wurden und werden gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelt und umgesetzt. Es ist gut und wichtig, wenn durch den Begriff „Industrie 5.0“ die Aufmerksamkeit für solche Projekte steigt und sich Nachahmer und Mitstreiterinnen finden.

Denn was für Genossenschaften gilt, gilt für die menschzentrierte Digitalisierung der Produktion: Das Thema wird auch in Zukunft relevant bleiben. Ganz unabhängig davon, ob wir es als Industrie 4.0, Industrie 5.0 oder (wer weiß?) als Industrie 1000 bezeichnen.

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Full Disclosure: Einige der genannten Unternehmen/Institutionen sind Mitglieder der Plattform Industrie 4.0. Die Plattform Industrie 4.0 ist zudem Teil des Konsortiums im BRIDGES 5.0-Projekt.