EMO 2023 : EMO-Bericht: Wo Zerspaner zu Automatisierern werden
Der erste Tag einer Messe ist erfahrungsgemäß nie so stark besucht wie die Folgetage. Dennoch lag am Montagnachmittag, als sich die Gänge in den 15 bespielten Hallen des weitläufigen Messegeländes in Hannover weitgehend lichteten, etwas Sorge in der Luft. Muss sich die EMO, die erstmals nach Corona wieder in Deutschland stattfindet, künftig an einen Besucher:innenrückgang gewöhnen? Mit 1840 Ausstellern kam man immerhin schon sehr nahe an die 2000 von vor vier Jahren dran – umso bedauerlicher, wenn das Comeback der internationalen Messe für Produktionstechnologie nicht entsprechend Anklang beim Publikum findet. Doch schon am Dienstagmorgen waren alle Zweifel verflogen: bereits um halb 10 herrschte das bei Messen übliche Gedränge am Gelände. Und die vielen Marketing-, Produkt- und Salesmenschen starteten mit neuer Zuversicht in den zweiten Messetag.
>> Immer up to date mit der Branche sein? Hier geht’s zum Factory-Newsletter!
Maschinenbauer rücken Roboter in den Fokus
„So viel Automatisierung wie dieses Jahr war noch nie auf einer EMO zu sehen“, so der Eindruck eines Besuchers. Und tatsächlich rückten die Maschinenbauer ihre klassischen Fräs-, Dreh-, Bohr- und Schleifmaschinen etwas auf die Seite, um den verschiedensten Automatisierungslösungen Platz zu machen. Hermle etwa zeigte erneut die bereits vor zwei Jahren in Mailand präsentierten Robotersysteme RS 1 und RS 05-2. Letzteres kann neuerdings noch flexibler unterschiedliche Bauteile greifen und die Fingergreifer automatisch wechseln. Grob hatte nicht nur Automationssysteme für das Paletten- und Werkstückhandling im Gepäck, sondern auch einen AMR von Agilox, der Paletten autonom transportiert. „Für die österreichische Firma Agilox haben wir uns als Partner entschieden, weil deren Systeme mit ihrer Schwarmintelligenz besonders gut interagieren können“, lautete die Erklärung am Messestand. WFL Millturn lockte zwar nach wie vor am meisten Besucher mit seinen kolossalen Komplettbearbeitungszentren und deren Life-Anwendungen an, aber auch die Linzer ließen im Eingangsbereich ihres Standes einen mobilen Roboter von Frai rollen und ihn Werkzeuge wie auch Werkstücke auswechseln. Sehr deutlich zeigt sich der neuerliche Automatisierungsschwerpunkt bei Studer am gemeinsamen Messestand der United Grinding Group: Die Schweizer haben erstmalig drei Automatisierungssysteme nach Hannover mitgebracht, nachdem es zuvor meist nur eines war: Sie nennen sich Robo Load, Uni Load und Insert Load. Der letztgenannte Lader feierte auf der heurigen EMO seine Premiere. Ausgerüstet mit 2 Paletten, kann er Werkstücke bis zu ca. 30 cm laden. Nachtschichten kann er zwar keine übernehmen, aber eine Mehrmaschinenbedienung macht er allemal möglich. Der EMO-Platzhirsch DMG Mori füllte mit seinem Vorsatz "Machining Transformation" die Halle 2 allein aus. Als Neuheit präsentierte er etwa das Rundspeicher Automatisierungssystem PH Cell 800, das erstmals Platz für bis zu 30 Paletten bereithält, was beispielsweise eine mannlose Fertigung in der Nacht ermöglichen soll. Auch der erste AMR von DMG Mori war zu sehen, nachdem der Maschinenbauer zuvor nur FTS im Portfolio hatte. Die mobile Plattform fährt omnidirektional, kann Lasten von bis zu 3 Tonnen tragen und lässt sich auch mit dem Leitrechner Cell Controller bedienen.
Die alten Hasen in der Automatisierung
Fanuc war als Maschinen- und Roboterhersteller wie schon in den Jahren zuvor der größte Aussteller in Halle 9. Die eigentliche Neuigkeit am Stand war ein IPC, mit dem mehr Daten verarbeitet werden können als rein auf der Steuerung, was die Anbringung mehrerer Vision-Systeme am Roboter ermöglicht. Großes Krawumm machte der Automatisierer aber mit seinem M-2000iA/2300, dem anscheinend stärksten Industrieroboter der Welt, der schon seit 2016 am europäischen Markt verfügbar ist. Der gegenüberliegende Nachbar Kuka zeigte indes das AGV KMP 1500P, das mit einer Cobot-Zelle interagiert, und so die Montage bzw. die Intralogistik (teil-)automatisieren kann. Die modulare Automationszelle Mairoflex iisy, erstmals auf der EMO präsentiert, kann zudem das Beladen von Werkzeugmaschinen mit Bauteilen automatisieren. Auf der letzten AMB zeigte Fastems noch seinen Palettenturm FPT 500 und ein Jahr später wartete das finnische Unternehmen nun mit dem FPT 1000 auf, der mit der doppelten Traglast daherkommt. Ob sich diese Verdopplung auf der nächsten Messe fortsetzen wird, konnte uns Deutschland-Geschäftsführer Stefan Becker noch nicht verraten. Von den vielen Firmen, die dem Automatisierungsspezialisten Konkurrenz machen wollen, zeigte er sich unbeeindruckt, habe man mit mehr als 4000 Installationen weltweit in der über 40-jährigen Firmengeschichte doch schon einige Automationserfahrung auf dem Buckel.
Digitale Tools und Services werden erweitert
Die Mitarbeiter:innen von Heller, so schien es, mussten sich nie über zu wenige Gesprächspartner beschweren: Der Stand war durchwegs gut besucht, was wohl nicht zuletzt dem prominent aufgestellten Rennauto zu verdanken war. Am meisten Geld verdient der Maschinenbauer aus Baden-Württemberg nach wie vor mit Vier- u Fünf-Achsmaschinen zum Fräsen, Bohren und Drehen. Unter dem Motto Lifetime Partnership baut er nun auch seine Services aus. Ein Auswuchs dieser Strategie ist das neue Bedienkonzept HELLER Services Interface, das für Transparenz in Fertigungs-, Instandhaltungs- und Wartungsprozessen entlang des gesamten Lebenszyklus der Maschine sorgen soll. Fill zeigte mitunter sein Condition Monitoring Tool mit dem futuristischen Namen Cybernetics. Eine Edge, die am Schaltschrank angebracht wurde, liefert die dazu erforderlichen Maschinendaten. Mittels G-Code-Analyzer wird beispielsweise der Leerlauf des Werkzeugs berechnet, wodurch die Anwender:innen sehen, wie weit sie die Maschine noch effizienter einsetzen können. Mit der Anzeige der Idealtemperatur wird ersichtlich, wann die Maschine warmgelaufen ist, wodurch man sich etwa in den Sommermonaten Zeit und Energie beim Aufwärmen spart. Neuerdings zeigt das Cybernetics-Tool, neben anderen Funktionen, auch den Werkzeugverschleiß. Mit Emco war eine weitere österreichische Firma auf der EMO vertreten. Die Salzburger ließen mit den ausgestellten Maschinen nicht nur wissen, dass sie große Größen können. Auch wurde bei der Hyperturn 65 Powermill HP auf ausreichend Werkzeuge im Werkzeugmagazin geachtet, um einen mannlosen Betrieb zu ermöglichen. Der digitale Prozessassistent Emconnect erhält zudem laufend neue Apps. Nächstes Jahr soll ein Energiemonitoring-Tool dazukommen, wie uns zu Ohren gekommen ist.
Ebenfalls interessant: Das sind die österreichischen Top 50 im Maschinenbau
E-Mobility als Hoffnungsträger
"Wenn es weniger Späne gibt, braucht es auch weniger Schleifmaschinen", sagte Stephan Nill, CEO der United Grinding Group, auf der Pressekonferenz am Dienstagabend, als die Transformation der Automobilindustrie zur Sprache kam. Obwohl in den USA noch in Verbrennertechnologie investiert wird, ist die Elektromobilität weltweit am Vormarsch. Und dafür benötigt man deutlich weniger Zerspanung - mit dem Effekt, dass sich die Fertigungsindustrie umorientiert. So mancher Hersteller versucht sich in der Batterietechnologie breiter aufzustellen. So scheint es doch Hoffnung für die Werkzeugmaschinenbauer zu geben. Einige setzen auf neue, digitale Geschäftsmodelle. Und mit den auf der diesjährigen EMO sehr zahlreich präsentierten Automationssystemen versuchen viele, eine Lösung auf den sich zuspitzenden Personalmangel zu liefern.