Maschinensicherheit : Warum Standards bei Maschinensicherheit schlecht funktionieren
Für Tilmann Bork ist Sicherheit immer ein akzeptiertes Restrisiko. Geht es um ein nachhaltiges Sicherheitskonzept für Maschinen, gibt es für den Experten bei Festo keine leichten Antworten. Denn der Wunsch nach Individualität bei Maschinen und Anlagen geht einher mit speziell zugeschnittenen Lösungen und das beinhaltet immer ein Restrisiko. Die Frage, die bleibt: Was ist akzeptabel? Um das zu beantworten, muss eine systematische Methode entwickelt werden, die Risiken bereits vor dem Beginn der eigentlichen Konstruktion identifiziert. Denn Defizite in der Mechanik führen immer zu manipulationsanfälligen und damit auch gefährlichen Maschinen. Wer sich also in der Entwurfs- und Konstruktionsphase keine oder zu wenig Gedanken über ein Sicherheitskonzept macht, „kann das Risiko nur noch durch sogenannte steuerungstechnische Maßnahmen senken“, mahnt Bork. Der dürfe sich aber dann auch nicht über teure Konsequenzen wundern. Denn was des einen Leid, ist bekanntlich des anderen Freud: „Alles, was in der Konstruktion hätte sehr leicht ‚nebenbei‘ berücksichtigt werden können, muss so in Form steuerungstechnischer Komponenten zugekauft werden“, so Bork. Was natürlich Hersteller von Lichtschranken, Sicherheitssteuergeräten und Schaltern freue.
Eine inbegriffene Sicherheit
Sicherheitsmängel, die sich also während der Konstruktionsphase bewusst oder unbewusst eingeschlichen haben, machen eine Maschine anfällig. Aber eine Risikominderung durch steuerungstechnische Maßnahmen beeinträchtigt wiederum die Bedienbarkeit und Ergonomie. Die logische Folge: Das Gefahrpotenzial nimmt beträchtlich zu. „Denn das Defizit an Bedienbarkeit und Ergonomie wird vom Bediener selbst beseitigt und das schafft wieder neue Gefahren“, sagt Bork. Selbst wenn es gelingt, die Defizite in der Mechanik durch die Steuerungstechnik zu kompensieren, ist dieser Sachverhalt bei der Aufarbeitung eines Unfalles aus juristischer Sicht durchaus relevant. Denn der Unfall stellt ein sichtbares Zeugnis eines Sicherheitsdefizit dar, weil die Schaffung einer so genannten „inhärenten Sicherheit“ nicht ausreichend ausgeschöpft wurde.
Wir rechnen bei einer Risikobeurteilung immer mit Eintrittswahrscheinlichkeiten, aber nicht mit dem Schadenseintritt.Tilmann Bork
Steuerungstechnik wird missbraucht
Indem „sie nicht hinreichend war“ wird dann die Steuerungstechnik gerne zum Sündenbock gemacht. „Dieses Argument steht aber auf tönernen Füßen“, warnt Bork. „Denn wir rechnen bei einer Risikobeurteilung immer mit Eintrittswahrscheinlichkeiten, aber nicht mit dem Schadenseintritt.“ Wobei die Wahrscheinlichkeit nichts anderes als das sogenannte Restrisiko bedeutet. Schon alleine daraus lässt sich das Primat der „inhärenten Sicherheit“ ableiten. Die Gesamtsicherheit einer Maschine sollte nach Bork aus 80 Prozent „inhärenter Sicherheit“ und einem Rest von 20 Prozent bestehen. Dieser Rest setzt sich dann idealerweise wieder aus 80 Prozent „Schutzmaßnahmen“ und 20 Prozent „Instruktionsmaßnahmen“ zusammen. Dass dieser Ansatz radikal erscheint, weiß Bork, „aber er hilft aus meiner Sicht ganz gut, die Anforderungen der EU-Maschinenrichtlinie zu erfüllen.“ Nur so sei man immer wieder gezwungen, darüber nachzudenken, ob nicht der vorhergehende Schritt in der Risikominderung der bessere gewesen wäre.
Eine standardisierte Umsetzung für Sicherheitstechnik birgt immer die Gefahr, dass man alte Regeln auf neue Problematiken anwendet.Tilmann Bork
Standardisierung, nein danke
Bei der Erarbeitung eines Sicherheitskonzepts gibt die EU-Maschinenrichtlinie dem Hersteller wichtige Hinweise. Folgende drei Schritte sind zu beachten: In einem ersten Schritt sind die Grenzen der Maschine zu bestimmen. Das heißt, Festlegung des vorgesehenen Einsatzbereiches, Definition bzw. Berücksichtigung der Bedienpersonen, Definition bzw. Berücksichtigung der Betriebsbedingungen und Vorschriften- und Gesetzeslage. Im zweiten Schritt gilt es die Gefährdungen zu bestimmen. Diese ergeben sich immer aus dem Zusammentreffen von der Gefahr (Höhe des latenten, realen energetischen und stofflichen Schädigungspotenzials) an sich sowie das zu schützende Rechtsgut (Mensch, Maschine und Umwelt). In einem dritten Schritt ist das aus den Gefährdungen sich ergebende Risiko zu ermitteln und zu bewerten. In einem vierten und letzten Schritt sind dann die Maßnahmen zur Risikominderung festzulegen. „Damit dürfte klar sein, dass die Risikobeurteilung ein iterativer Prozess sein muss und dieser mehrmals erfolgt“, so Bork. „Also in der Konzeptionsphase, während der Konstruktion und nach Abschluss der Konstruktion.“ Gefährlich wird es seiner Meinung nach auch, wenn man glaubt, mit einfachen Checklisten zu einer sicheren Maschine zu kommen. „Eine standardisierte Umsetzung für Sicherheitstechnik birgt immer die Gefahr, dass man alte Regeln auf neue Problematiken anwendet.“
(Lesen Sie auch: Sicherheit in der Produktion: Standard, Routine oder Grenzgang?)