Studie : Automobilindustrie und Nachhaltigkeit:
Der blinde Fleck der E-Mobilität

The production line for the assembly of new vehicles

Die Automobilindustrie steht vor einem entscheidenden Jahrzehnt, denn es gilt, das Produktportfolio von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor auf Elektroantrieb umzustellen. Der Übergang zur E-Mobilität und die einhergehende Reduzierung von Emissionen sind aber nicht die einzigen Parameter, die die Nachhaltigkeit der Branche verbessern sollen.

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Die Automobilindustrie stellt sich auf den Übergang zur E-Mobilität ein. Dennoch heißt das nicht, dass die Branche stetig nachhaltiger wird. Vielmehr gingen in den letzten drei Jahren die Investitionen zur Förderung von nachhaltigen Technologien, Prozessen und Fähigkeiten zurück. Dies zeigt die aktuelle Studie „Sustainability in Automotive: From Ambition to Action“, die das Capgemini Research Institute durchgeführt hat. Dafür wurden weltweit über 1.080 Führungskräfte von Automobilhersteller- und Zulieferfirmen befragt.

Konkret sind Investitionen in Nachhaltigkeitsinitiativen von durchschnittlich 1,22 Prozent des Umsatzes im Jahr 2019 auf 0,85 Prozent im Jahr 2022 zurück gegangen. Die Zulieferfirmen investieren jährlich sogar einen größeren Anteil ihres Umsatzes (0,93 Prozent) als die Hersteller:innen (0,79 Prozent).

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Emissionen sinken nur langsam

Der Europäische Green Deal und das Pariser Klimaabkommen machen es für die Automobilindustrie erforderlich, nachhaltigere Lösungen zu verfolgen, um die Klimaziele zu erreichen. Die Studie zeigt, dass sich eine große Mehrheit (70 Prozent) der Automobilunternehmen auf die Reduzierung der Gesamtemissionen in der gesamten Wertschöpfungskette konzentriert.

Allerdings hat die Branche seit 2018 ihre Treibhausgasemissionen insgesamt nur um 5 Prozent reduzieren können, bis 2030 wird eine Reduzierung um 19 Prozent erwartet. Bei der derzeitigen Geschwindigkeit wären die Automobilunternehmen nicht in der Lage, das Gesamtziel des Pariser Klimaabkommens von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen.

Werner Kirsch: "Nachhaltigkeitsansatz neu überdenken!"

„Die Automobilindustrie befindet sich auf dem Weg in ein neues Zeitalter, das vor allem vom Umstieg auf Elektrofahrzeuge geprägt sein wird. Obwohl Nachhaltigkeit als oberste Priorität gesehen wird, gerät die Branche als Ganzes ins Hintertreffen. Die Automobilunternehmen müssen ihren Nachhaltigkeitsansatz neu überdenken, wenn sie die im Pariser Abkommen für 2050 festgelegten Ziele zur Klimaneutralität erreichen wollen. Dazu gehört ein deutliches und erneuertes Engagement für die Kreislaufwirtschaft, das sich auf den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs konzentriert sowie die Einbeziehung von Scope-3-Emissionen. Rechenschaftspflicht ist unerlässlich, um Ziele und KPIs für die gesamte Organisation zu definieren und Fortschritte bei der Umsetzung dieser Ziele zu erzielen.“

Werner Kirsch, Sustainability Lead bei Capgemini in Österreich.

Wenig Einsatz für Kreislaufwirtschaft

Der Einsatz von Initiativen für eine nachhaltige Lieferkette von 42 Prozent im Jahr 2019 auf 57 Prozent im Jahr 2022 und die verantwortungsvolle Beschaffung von Metallen im gleichen Zeitraum von 33 Prozent auf 44 Prozent gestiegen.

Rückläufige ist der Trend allerdings bei der Umsetzung von Initiativen zur Kreislaufwirtschaft. Obwohl 73 Prozent der Unternehmen weltweit der Meinung sind, dass der Beitrag zur Kreislaufwirtschaft notwendig ist, um langfristige finanzielle Ziele zu erreichen und wettbewerbsfähig zu bleiben, verfügen nur 53 Prozent der weltweit befragten Unternehmen über eine Strategie für die Kreislaufwirtschaft und 45 Prozent halten sich derzeit an die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft in ihrer gesamten Wertschöpfungskette.

Kurzsichtige Transformation zur E-Mobilität

Die Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen zu verringern, hat die Automobilhersteller dazu veranlasst, ihren Fokus verstärkt auf Elektrofahrzeuge zu richten. Um diese Effekte über die gesamte Lebensdauer eines Elektrofahrzeugs zu erzielen, müssen die Hersteller die Zirkularität der Produktion sicherstellen und den End-of-Life-Prozess für Elektrofahrzeugbatterien in der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigen. Weniger als die Hälfte (41 Prozent) der befragten Führungskräfte gab jedoch an, dass ihr Unternehmen eine spezielle Nachhaltigkeitsinitiative für das Ende der Lebensdauer von Batterien verfolgt; bei Second-Life- Batterien sind es nur 28 Prozent.

Wenige Nachhaltigkeits-Vorreiter

Nur eine kleine Gruppe von Unternehmen (weniger als 10 Prozent) ist laut Studie bei der Strategie und der Umsetzung von Nachhaltigkeit führend. Diese Unternehmen konnten ihre Emissionen seit 2018 bereits um durchschnittlich 9 Prozent senken, verglichen mit 5 Prozent in der gesamten Branche. Erwartet wird, dass sie ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 35 Prozent reduzieren - im Vergleich zu einer prognostizierten durchschnittlichen Reduktion von 19 Prozent in der gesamten Automobilindustrie. Gleichzeitig soll sich ihre betriebliche Effizienz bis 2026 um 22 Prozent verbessern (im Vergleich zu 16 Prozent für den Rest der Unternehmen im gleichen Zeitraum). Dies lässt sich direkt auf ihre Nachhaltigkeitsinitiativen zurückführen, die zu einer höheren Transparenz in der gesamten Wertschöpfungskette beitragen. Die führenden Unternehmen konnten durch ihre Nachhaltigkeitsinitiativen zudem ihre Attraktivität für Talente steigern. Und zwar um 18 Prozent gegenüber 10 Prozent bei den übrigen Unternehmen.

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