Wasserstoff in der Industrie : Gelingt mit grünem Wasserstoff der Ausstieg aus der fossilen Abhängigkeit?

Wie grün ist die Wasserstoffproduktion heute?

Bei einer Jahresproduktion von 70 MtH2 pro Jahr ist der Markt bereits heute auf ca. 100 Mrd. US-Dollar angewachsen. Die Nachfrage kommt hauptsächlich aus Asien (48 %). Es folgen Nord- und Südamerika (22 %) und Europa (18 %). Mehr als 80 % der derzeitigen Nachfrage entfallen auf die Raffinerie- und Chemieindustrie.

Die Herausforderung ist, dass fast 95 % des heute genutzten Wasserstoffs aus fossilen Energieträgern stammt. Dabei reagiert ein fossiler Brennstoff (Kohle oder Gas) mit Wasserdampf zu Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Wasserstoff. Wenn das CO2 nicht abgetrennt, genutzt oder gespeichert wird, sind diese herkömmlichen Verfahren, um Wasserstoff zu erzeugen, umweltschädlich, da für jedes Kilogramm H2, das erzeugt wird, etwa 10 kg CO2 freigesetzt werden.

Das Versprechen einer nachhaltigen Dekarbonisierung der Weltwirtschaft kann der Wasserstoff daher nur dann einlösen, wenn die Kohlenstoffemissionen bei seiner Herstellung auf ein Minimum reduziert werden. Um dies zu erreichen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Kohlenstoffarmer Wasserstoff kann in großem Maßstab aus erneuerbaren Energien wie Wind-, Sonnen- oder Wasserkraft sowie Biogas und Kernenergie hergestellt werden. Er kann aber auch aus konventionellen fossilen Energieträgern in Verbindung mit Lösungen zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung gewonnen werden.

Laut Studien wird die energiehungrige Prozessindustrie als erster Industriesektor umfassend auf die die Wasserstofftechnologie setzen.

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Umsetzung bedarf globaler Kooperation

Die Internationale Energiebehörde IEA unterstreicht das enorme Potenzial der Wasserstofftechnologie für die Industrie. Wasserstoff kann dazu beitragen, verschiedene kritische Herausforderungen im Energiebereich zu bewältigen, z. B. die schwankende Leistung erneuerbarer Energien wie Photovoltaik und Windkraft zu speichern, um sie besser an die Nachfrage anzupassen. Sie bietet Möglichkeiten zur Dekarbonisierung einer Reihe von Sektoren, in denen es schwierig ist, die Emissionen in nennenswertem Umfang zu senken, darunter der Fernverkehr, die chemische Industrie und die Eisen- und Stahlindustrie. Er kann auch dazu beitragen, die Luftqualität zu verbessern und die Energiesicherheit zu erhöhen.

Wasserstoff kann aus einer Vielzahl von Brennstoffen hergestellt werden, darunter erneuerbare Energien, Kernenergie, Erdgas, Kohle und Öl. Wasserstoff kann als Gas durch Pipelines oder in flüssiger Form, ähnlich wie Flüssigerdgas (LNG), durch Schiffe transportiert werden. Er kann auch in Strom und Methan umgewandelt werden, um Haushalte und Industrie zu versorgen, sowie in Treibstoff für Autos, Lastwagen, Schiffe und Flugzeuge.

"Wasserstoff erfährt heute eine beispiellose Dynamik, angetrieben von Regierungen, die Energie importieren und exportieren, der Industrie für erneuerbare Energien, Strom- und Gasversorgern, Automobilherstellern, Öl- und Gasunternehmen, großen Technologieunternehmen und Großstädten", sagt IEA-Experte Fatih Birol. "Die Welt sollte diese einmalige Chance, Wasserstoff zu einem wichtigen Bestandteil unserer sauberen und sicheren Energiezukunft zu machen, nicht verpassen".

Um auf dieser Dynamik aufzubauen, gibt die IEA die folgenden Schlüsselempfehlungen, die Regierungen, Unternehmen und anderen Akteuren helfen sollen, Wasserstoffprojekte weltweit voranzutreiben. Diese Empfehlungen umfassen vier Bereiche, in denen heutige Maßnahmen dazu beitragen können, die Grundlagen für das Wachstum einer globalen sauberen Wasserstoffindustrie in den kommenden Jahren zu schaffen:

  • Industriehäfen

    Industriehäfen sollen zu Drehscheiben für die verstärkte Nutzung von sauberem Wasserstoff werden.

  • Infrastruktur

    Nutzung bestehender Infrastrukturen, wie z. B. Erdgaspipelines.

  • Landverkehr

    Ausweitung des Einsatzes von Wasserstoff im Landverkehr, indem er zum Antrieb von Pkw, Lkw und Bussen auf wichtigen Strecken verwendet wird.

  • Schifffahrtsrouten

    Einrichtung der ersten internationalen Schifffahrtsrouten für den Wasserstoffhandel.

Use cases: So wird der Wasserstoff eingesetzt

Es gibt einige Sektoren, die Vorrang haben, insbesondere solche, in denen es keine praktikable alternative Technologie zur Beschleunigung der Dekarbonisierung gibt.

Die Prozessindustrie wird zunächst kohlenstoffarmen Wasserstoff als Ersatz für herkömmlichen Wasserstoff aus Kohle und Gas einsetzen. In einem nächsten Schritt plant die Industrie die Verwendung von CO2-armem Wasserstoff u. a. für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen in Verbindung. Diese Entwicklung wird durch die Einhaltung der bestehenden Vorschriften für erneuerbare Energien und durch wirtschaftliche Anreize beschleunigt.

In der Stahlproduktion ist die Verwendung von Wasserstoff zur Entfernung von Sauerstoff aus Eisenerz in festem Zustand nach Angaben der World Steel Association ein vielversprechender Weg zur Dekarbonisierung eines Sektors, der pro Tonne Stahl 1,85 Tonnen CO2 produziert. Die Technologie wird bereits von Stahlherstellern in Demonstrationsprojekten erprobt und soll bis Mitte der 2020er Jahre ausgereift sein, um dann in größerem Maßstab eingesetzt zu werden.

Die Hersteller von Gasturbinen und Gasmotoren arbeiten derzeit an den technischen Herausforderungen der Verbrennung von Wasserstoff, wie z. B. höhere Flammenausbreitungsgeschwindigkeiten und Stickstoffdioxidemissionen, um vollständig wasserstofftaugliche Turbinen und Motoren zu entwickeln. Dieser Schritt eröffnet neue Möglichkeiten für die Energieerzeugung und damit neue Wege für eine weitere Dekarbonisierung.

Ein weiterer interessanter Fall ist die Zementindustrie. Ein Drittel ihrer CO2-Emissionen ist auf den Brennstoff zurückzuführen, der zum Erhitzen des Prozesses und zum Auslösen der Kalzinierungsreaktion benötigt wird. In diesem Fall könnte die Verwendung von Wasserstoff als Primärenergieträger eine Alternative sein. Die restlichen zwei Drittel der CO2 -Emissionen stehen in direktem Zusammenhang mit dem Prozess der Kalzinierung an sich. Die Abscheidung von CO2-Emissionen zur langfristigen Lagerung oder Nutzung stellt ebenfalls eine große Chance für die Branche dar: Grüner Wasserstoff könnte mit dem von den Zementherstellern abgeschiedenen Kohlenstoff kombiniert werden, um chemische Verbindungen wie Ammoniak oder Methanol herzustellen. Das Potenzial für eine sektorübergreifende Zusammenarbeit auf dem Markt für grüünen Wasserstoff wird hier deutlich.

Prognosen: Enormer Wachstum in den kommenden Jahren

Den Prognosen der Internationalen Energieagentur zufolge wird erwartet, dass die weltweite Nachfrage nach Wasserstoff bis 2070 auf 520 MtH2 steigen wird. Unter der Annahme eines entsprechenden Rückgangs der fossilen Alternativen und einer kohlenstoffarmen Produktion von Wasserstoff würde dies dazu beitragen, die globalen CO2 Emissionen aus dem Energiesektor und industriellen Prozessen bis 2070 auf Null zu senken.

Übersicht: Welche Strategien die Weltwirtschaftsmächte verfolgen

Japan ist führend in der Entwicklung von Wasserstofftechnologien und hat sich zum Ziel gesetzt, dass Wasserstoff bis 2030 eine zentrale Rolle in seinem Energiemix spielen soll. Das Land verfügt über eine umfassende Wasserstoff-Energiestrategie, die die Entwicklung einer Wasserstoffversorgungskette, die Förderung von Brennstoffzellenfahrzeugen und den Bau von Wasserstofftankstellen umfasst.

Auch die USA verfolgen aktiv die Entwicklung von Wasserstofftechnologien und haben eine Reihe von Initiativen zur Förderung des Wachstums einer Wasserstoffwirtschaft gestartet. Dazu gehören Forschungs- und Entwicklungsprogramme, die Finanzierung von Demonstrationsprojekten und der Bau von Wasserstofftankstellen.

Das U.S. Department of Energy (DOE) hat eine Reihe von Programmen, die sich der Förderung von Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien widmen. Eines davon ist das Fuel Cell Technologies Office, das sich auf die Entwicklung und den Einsatz von Brennstoffzellentechnologien für Transport, stationäre Stromversorgung und tragbare Energieanwendungen konzentriert. Das DOE unterstützt auch die Forschung und Entwicklung von Wasserstoffproduktions-, -speicherungs- und -verteilungstechnologien durch sein Hydrogen and Fuel Cell Technologies Office.

Auch privatwirtschaftliche Unternehmen haben sich aktiv an der Entwicklung und Einführung von Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien beteiligt, unter anderem im Verkehrssektor, wo große Automobilhersteller Brennstoffzellenfahrzeuge auf den Markt gebracht haben und am Aufbau der erforderlichen Infrastruktur arbeiten.

Die chinesische Regierung verfolgt seit mehr als 20 Jahren einen strategischen Ausbau seiner Wasserstoffstrategie.

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China fördert seit einigen Jahren die Nutzung von Wasserstoff als saubere Energiequelle aktiv und hat eine umfassende Wasserstoffstrategie entwickelt, um die Umsetzung zu beschleunigen. Diese Strategie umfasst die folgenden Schlüsselelemente:

  • China konzentriert sich auf die Steigerung der heimischen Wasserstoffproduktion durch die Entwicklung fortschrittlicher Elektrolyse-Technologien und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie Solar- und Windenergie.
  • Förderung des Einsatzes von Wasserstoff im Verkehr: China arbeitet an der beschleunigten Einführung von Brennstoffzellenfahrzeugen, einschließlich Bussen, Lastwagen und Pkw, sowie an der Entwicklung einer Infrastruktur für Wasserstofftreibstoff.
  • China erforscht den Einsatz von Wasserstoff in der Stromerzeugung, um die Flexibilität und Zuverlässigkeit seines Stromsystems zu erhöhen.
  • China investiert in Forschung und Entwicklung, um die Technologie voranzutreiben und die Kosten für die Herstellung und Nutzung von Wasserstoff zu senken.
  • Internationale Zusammenarbeit: China bemüht sich auch um internationale Partnerschaften und Kooperationen, um den weltweiten Einsatz von Wasserstofftechnologien voranzutreiben.

Europa arbeitet am Ausbau der Infrastruktur

Die Wasserstoffstrategie der EU zielt darauf ab, die Entwicklung und Einführung von Wasserstofftechnologien und -infrastrukturen zu beschleunigen und das Wachstum einer wettbewerbsfähigen Wasserstoffindustrie in der Region zu unterstützen. Dazu gehören die Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, die Unterstützung des Baus von Wasserstoffproduktions- und -verteilungsanlagen und die Schaffung eines Rechtsrahmens zur Unterstützung der Einführung von Wasserstofftechnologien.

Die Übersichtskarte von ENTSOG enthält Wasserstoffinfrastrukturprojekte und zeigt die Entwicklung der Projekte in den Jahren 2030, 2040 und 2050.

- © ENTSOG

Die Strategie zielt auch darauf ab, die Verwendung von Wasserstoff in einer Reihe von Sektoren zu fördern, darunter Verkehr, Industrie und Stromerzeugung. Im Verkehrssektor unterstützt die EU die Entwicklung von Brennstoffzellenfahrzeugen und Wasserstofftankstellen mit dem Ziel, wasserstoffbetriebene Fahrzeuge zu einer praktikablen Alternative zu herkömmlichen Benzin- und Dieselfahrzeugen zu machen.

Im Industriesektor unterstützt die EU die Verwendung von Wasserstoff bei der Herstellung von Chemikalien und anderen Industrieprodukten sowie bei der Dekarbonisierung der Schwerindustrie. Im Energiesektor unterstützt die EU den Einsatz von Wasserstoff bei der Erzeugung von Strom und Wärme sowie bei der Speicherung überschüssiger erneuerbarer Energie.

Österreich will bis 2030 umfassenden Wasserstoffplan umsetzen

2019 hat die österreichische Regierung die Wasserstoffstrategie für Österreich veröffentlicht, in der die Strategie des Landes für die Entwicklung von Wasserstofftechnologien dargelegt wird. Der Plan umfasst eine Reihe von Zielen und Initiativen, darunter den Aufbau einer nationalen Wasserstoffinfrastruktur, die Förderung von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen und die Entwicklung von Wasserstoffproduktionstechnologien.

Politisch brisant: Die österreichische Regierung unterzeichnete im März 2022 eine Absichtserklärung mit dem Industrieminister der VAE, Sultan Bin Ahmad Sultan Al Jaber, unterzeichnet. Das Ziel: Import von grünem Wasserstoff.

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Die wichtigsten Ziele und Initiativen, die im Plan skizziert sind:

  • Entwicklung einer Wasserstoff-Infrastruktur: Der Plan fordert die Entwicklung einer nationalen Wasserstoffinfrastruktur, einschließlich des Baus von Wasserstofftankstellen, um den Einsatz von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen zu unterstützen. Der Plan fordert auch die Entwicklung einer nationalen Wasserstoffkarte, um die Standorte der bestehenden und geplanten Wasserstoffinfrastruktur im Land zu identifizieren.

  • Förderung von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen: Eine Reihe von Initiativen zur Förderung des Einsatzes von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen, darunter die Einrichtung einer nationalen Wasserstoffflotte, die Entwicklung von Anreizen für den Kauf von Brennstoffzellenfahrzeugen und die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs mit Wasserstoffantrieb.

  • Entwicklung von Technologien zur Wasserstofferzeugung: Initiativen zur Förderung der Entwicklung von Wasserstoffproduktionstechnologien, darunter die Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, die Einrichtung eines nationalen Wasserstoff-Innovationszentrums und die Schaffung einer nationalen Wasserstoffdatenbank zum Austausch von Informationen über Wasserstofftechnologien.

  • Forschung und Entwicklung: Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten vor, die sich auf Wasserstofftechnologien konzentrieren, einschließlich der Entwicklung neuer Technologien zur Wasserstofferzeugung und -speicherung, der Verbesserung bestehender Technologien und der Weiterentwicklung von Brennstoffzellentechnologien.

  • Wasserstoff-Rat: Einrichtung eines nationalen Wasserstoffrates, der die Umsetzung der Wasserstoffstrategie des Landes koordinieren und überwachen soll. Der Rat wird sich aus Vertretern der Regierung, der Industrie und der Wissenschaft zusammensetzen und für die Festlegung von Prioritäten, die Koordinierung von Forschungs- und Entwicklungsbemühungen und die Förderung der Einführung von Wasserstofftechnologien zuständig sein.

"Zur Herstellung von grünem Wasserstoff aus Ökostrom werden stromintensive Elektrolyseanlagen gebraucht. Das Ziel der Bundesregierung: Bis 2030 sollen Anlagen mit einer Leistung von einem Gigawatt entstehen und damit vier Terawattstunden Erdgas ersetzen. Damit einher gehe ein intensiver Ausbau des Ökostroms und dessen sparsame Nutzung. Wo es bessere Alternativen gibt, beispielsweise im Pkw-Bereich und bei Heizungen, solle er nicht eingesetzt werden", so die zuständige Ministerin Leonore Gewessler.

Lesen Sie auch unseren Kolumnenbeitrag: Grüne Entscheidungen für eine gewiss ungewisse Zukunft

Erste Richtlinien beschlossen

Im Februar 2023 ist in Österreich das technische Regelwerk als Grundstein für die Wasserstoff-Infrastruktur in Kraft getreten. Laut der Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach: "Ein Meilenstein für die Energiewende". Mit den Richtlinien sind nun die Voraussetzungen für die Genehmigung und Errichtung von Wasserstoff-Leitungen sowie -Anlagen geschaffen.

  • Richtlinie H B100 / Wasserstoff-Beschaffenheit

Diese ÖVGW-Richtlinie definiert die Anforderungen an die Beschaffenheit des gasförmigen Wasserstoffs (H2) für Einspeisung, Transport, Verteilung und Speicherung in eine Wasserstoffinfrastruktur oder Gasinfrastruktur. Abgeleitet aus internationalen Normen beschreibt diese Richtlinie die Wasserstoffbeschaffenheit, welche ausschlaggebenden Einfluss auf Anwendungen, Netze und die Produktion von Wasserstoff in Österreich haben wird.

  • Richtlinie H E310 / Wasserstoff-Einspeiseanlagen

Die Planung, Errichtung und Erstprüfung von Wasserstoff-Einspeiseanlagen ist in der ÖVGW-Richtlinie H E310 geregelt. Hierbei geht es sowohl um die Einspeisung in reine Wasserstoffnetze als auch in Gasnetze. Dies ermöglicht es, die klimaneutrale Wasserstoff-Produktion mit den Abnehmern im großen Stil zu verbinden.

Durch den Ausbau der Produktion und den Einsatz von klimaneutralem Wasserstoff sollen Industriebetriebe künftig nachhaltig und klimaneutral produzieren können und so den heimischen Wirtschaftsstandort sichern.