Case Study : Siemens in Erlangen: Wo 70 Cobots am Werk sind

Universal Robots x Siemens

Kein Schutzzaun und direkte Mensch-Roboter-Interaktion: das ist das Charakteristikum von Cobots.

- © Sebastian Lock

An der Automatisierung von Produktionsprozessen führt kein Weg vorbei, dachte man sich im Gerätewerk Erlangen von Siemens. Da das Unternehmen eine Vorreiterrolle bei Automatisierungsprodukten (Frequenzumrichter Sinamics S120, S210 und G120) und Automatisierungstechnik einnimmt, musste es die zukünftigen Prozesse selbst aufsetzen. "Als wir 2016 die ersten Überlegungen zur Automatisierung des Werks diskutierten, kannten wir nur die klassischen Industrieroboter. Und die sind für die Fertigung hier – im kleinen bis mittleren Stückzahlbereich – nicht wirtschaftlich zu betreiben“, erzählt Maximilian Metzner, Globaler Leiter Autonome Fertigung Elektronik bei Siemens, rückblickend. Eine Alternative musste also her.

Erster Cobot half beim Umschlichten

Das Siemens-Werk am Europakanal fand sie in den kollaborierenden Robotern (Cobots) von Universal Robots (UR). „Die Cobots von Universal Robots sind äußerst kompakt, vielseitig und vor allem einfach zu bedienen“, erzählt Herr Metzner. „Das größte Plus ist aber die Flexibilität, die wir dadurch gewinnen, dass die Technologie intuitiv zu programmieren und zu handhaben ist. Bei großen Anlagen muss eine Fremdfirma kommen und helfen. Bei Universal Robots lassen sich anfallende technische Finessen intern lösen und direkt in die Linie übertragen.“

2017 wurde der erste Cobot im Gerätewerk Erlangen in Betrieb genommen – ein UR10. Seine Aufgabe bestand darin, Kartonagen von einem Anlieferstapel auf eine Palette umzuschlichten. „Nach einer Schulungsmaßnahme haben wir direkt losgelegt“, erinnert sich Michael Brucksch, Leiter Abteilung Automatisierungstechnik bei Siemens. Daraufhin entschied sich das Werk für die Anschaffung weiterer UR-Roboter. „Das Spannendste war, dass wir mithilfe der Cobots die Verkettung zwischen unseren Anlagen automatisieren konnten“, berichtet Herr Brucksch.

Natürlich gab es anfangs Vorbehalte gegenüber dieser neuen und disruptiven Technologie – und vor allem die Angst, den eigenen Job zu verlieren.
Harald Ell, Fertigungsplaner Siemens

Angst vor Jobverlust

Begleitet wurde dieser Umbruch von einem umfassenden Change Management und einer Kommunikationsstrategie, um die Mitarbeiter:innen bestmöglich abzuholen und zu informieren. „Natürlich gab es anfangs Vorbehalte gegenüber dieser neuen und disruptiven Technologie – und vor allem die Angst, den eigenen Job zu verlieren“, erzählt Harald Ell, Fertigungsplaner bei Siemens. Deswegen initiierte das Gerätewerk Erlangen verschiedene Maßnahmen, um die Akzeptanz innerhalb der Belegschaft zu erhöhen. So durften sich die rund 1200 GWE-Beschäftigten an einem Informationstag an den kollaborierenden Robotern ausprobieren. Ziel war es nicht nur, Ängste und Vorbehalte abzubauen, sondern auch ein Verständnis für die einfache Bedienweise zu schaffen und die Chancen aufzuzeigen, die sich durch die Weiterbildung im Umgang mit Robotern ergeben. Und es wurden zunächst überaus belastende Tätigkeiten automatisiert, um den Mitarbeitenden vor Augen zu führen: die Cobots helfen uns wirklich.

Die Maßnahmen zeigten Wirkung: Die Mitarbeitenden sahen die Cobots zunehmend als Helfer. Wie erfolgreich sich die Akzeptanz innerhalb des Werks entwickelt hat, zeigt sich unter anderem auch daran, dass die einzelnen Fertigungsbereiche ihre Cobots mit fränkischen Namen taufen. So arbeitet beispielsweise „Schorsch“ mit Gehäusen, „Waltraud“ und „Mariechen“ verpacken Geräte.

Universal Robots x Siemens
Vorbehalte gegenüber der disruptiven Technologie wurden durch die Einbindung von Mitarbeiter:innen abgebaut. - © Sebastian Lock

Virtuelle Inbetriebnahme mit digitalem Zwilling

Die Integration der Cobots wurde durch ein besonderes GWE-Spezifikum beschleunigt: Durch digitale Zwillinge der Produkte kann jeder Schritt der Wertschöpfungskette virtuell geplant und im VR-Labor des Werks simuliert werden. Mithilfe der Plattform Process Simulate wird aus dem digitalen Zwilling schließlich das Roboterprogramm generiert. Das führt zu einer einfacheren Kommunikation, verhindert Planungsfehler und ermöglicht es dem Unternehmen, weiteres Automatisierungspotential zu nutzen.

Heute sind im Gerätewerk Erlangen rund 70 kollaborierende Roboter von UR im Einsatz und verrichten unterschiedlichste Aufgaben. Ein Beispiel ist die Montage von Bauteilen. Mehrere UR3 Cobots verschrauben Flachbaugruppen – eine Tätigkeit, die für menschliche Mitarbeiter:innen weder spannend noch einfach ist. Diese Anwendung ist inzwischen in acht GWE-Fertigungslinien im Einsatz. Sie steigert die Produktivität deutlich. Ein anderes Anwendungsbeispiel ist ein automatisierter Kleberauftrag beim Sinamics G120 Frequenzumrichter. Hier platziert ein UR5 – ausgestattet mit einem Dosiersystem – 60 Klebepunkte an 20 Kondensatoren auf einer Baugruppe. Im Vergleich zur manuellen Dosierung sorgt der Cobot mit seiner Wiederholgenauigkeit für ein gleichbleibend gutes Klebebild. Gleichzeitig sind die Produktionsmitarbeiter:innen nicht länger dem Kontakt zum giftigen Kleber ausgesetzt.

Der Schlüssel zum Erfolg war, dass wir die Planung und Umsetzung mit unseren eigenen Fachkräften aus Technologie, Produktion und Instandhaltung realisiert haben.
Michael Brucksch, Leiter Abteilung Automatisierungstechnik Siemens

Automatisierung an der Basis

Im Gerätewerk Erlangen beschreibt man die Automatisierung der Fertigungsprozesse als vollen Erfolg. Der Einsatz der Cobots erhöht nicht nur die Produktivität und verbessert die Kostenposition des Unternehmens, sondern steigert auch die Motivation der Belegschaft. „Durch die Cobots von Universal Robots haben wir es geschafft, dass die Automatisierung an der Basis, also bei allen Mitarbeiter:innen, angekommen ist“, resümiert Harald Ell.

Das fränkische Werk gilt heute als Aushängeschild der Siemens AG für eine erfolgreiche Digitalisierungs- und Automatisierungs-Transformation und dient so vielen Endkund:innen als Vorbild. „Der Schlüssel zum Erfolg war, dass wir die Planung und Umsetzung mit unseren eigenen Fachkräften aus Technologie, Produktion und Instandhaltung realisiert haben. Auch die ergänzende Hardware, zum Beispiel SPS-Steuerungen, und Software, wie das TIA-Portal (Totally Integrated Automation, Anm.d.Red.), kommt von Siemens. Dadurch halten wir alle Fäden bei uns“, so Michael Brucksch.

(Hier weiterlesen: Mit Cobots durch turbulente Zeiten)