Antriebstechnik : Kleinmotoren im Exoskelett:
Wie ein Drehmomentsensor fließende Bewegungen ermöglicht

Autonomyo

Das Exoskelett „Autonomyo“ wird mit einem Korsett am Rumpf und mit Manschetten an den Beinen des Benutzers befestigt. Die Kleinmotoren mit integrierten Drehmomentsensoren kommen von der Firma Faulhaber.

- © REHA Assist

Ein Exoskelett, das zum Beispiel Querschnittsgelähmten ermöglichen ohne Krücken zu gehen, wiegt oft mehr als 40 kg. Eine Forschungsgruppe für Rehabilitation und Assistenzrobotik (REHA Assist) an der Technischen Hochschule Lausanne in der Schweiz (EPFL) entwickelte ein Gerät namens „Autonomyo", das mit lediglich 25 Kilogramm auskommt. Es wird mit einem Korsett am Rumpf und mit Manschetten an den Beinen des Benutzers befestigt. Auf jeder Seite liefern drei Motoren die Kraft, die den Muskeln für die Bewegung fehlt. Je ein Motor ist für Beugung und Streckung von Hüfte und Knie zuständig. Der dritte Motor unterstützt die Abduktion und Adduktion des Beins im Hüftgelenk, also die seitliche Bewegung von der Körper-Mittelachse weg. Dadurch helfen die Motoren dem Patienten das Gleichgewicht zu halten und aufrecht zu gehen.

„Der erste Auslöser für eine Positionsänderung - also zum Losgehen - drückt sich in einer kleinen Veränderung der Position der unteren Gliedmaßen aus“, erklärt Mohamed Bouri, der die Forschungsgruppe leitet. „Wir erkennen dies, indem wir die Informationen von einer Trägheitsmesseinheit, acht Lastsensoren an den Fußsohlen und den Encodern der Motoren, die als Gelenkpositionssensoren dienen, miteinander kombinieren. Alle diese Daten tragen auch zur Unterstützung des Gleichgewichts bei.„Beim Gehen ist die Interaktion zwischen dem Gerät und seinem Benutzer entscheidend", so Bouri weiter. Ein von FAULHABER entwickelter Drehmomentsensor erfasst diese für die Unterstützungsstrategie wichtige Wechselwirkung.

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Beim Gehen ist die Interaktion zwischen dem Gerät und seinem Benutzer entscheidend.
Mohamed Bouri

Magnetisches Messsystem statt Dehnungsmessstreifen

Zur Drehmoment-Erfassung werden oft Dehnungsmessstreifen eingesetzt, die von der einwirkenden Kraft verformt werden. Ihr konstruktiver Schwachpunkt ist die Klebeverbindung, mit der sie aufgebracht sind. Die Entwickler im Advanced Engineering bei FAULHABER haben sie deshalb durch ein hochauflösendes magnetisches Messsystem ersetzt. Damit lässt sich im Messbereich von +/- 30 Nm eine Abweichung von weniger als 1,5 % erreichen. Der Sensor liefert also einen hochpräzisen Wert des Reaktionsmoments in der Gehbewegung.

Dieser Wert hat eine zentrale Bedeutung für die Steuerung des Exoskeletts. „Die Anpassung des Geräts an den einzelnen Patienten erfordert eine sehr differenzierte Kalibrierung des Gesamtsystems“, erläutert Mohamed Bouri. „Anhand der verschiedenen Parameter und der Rückkopplung aus der Bewegung errechnet die Software die Steuersignale für die Antriebe. Art und Umfang der Unterstützung durch die Motoren werden dann auf Basis dieser Informationen bestimmt."

Kernstück der sechs Antriebseinheiten ist ein bürstenloser DC-Servomotor in 4-Pol-Technologie.

Antriebsleistung und Entwicklungspotenzial

Kernstück der sechs verbauten Antriebseinheiten ist der bürstenlose Motor 3274 BP4 mit 32 mm Durchmesser. Er liefert trotz der kompakten Abmessungen ein Nenndrehmoment von 158 mNm. Seine Kraft wird von einem Planetengetriebe 42 GPT mit einer speziell für diese Anwendung gefertigten Welle übertragen. Ein magnetischer Encoder IE3 liefert die Positionsdaten an die Steuerung. Der Drehmomentsensor ist in den Getrieben der vier Motoren für die Flexions- und Extensionsbewegungen von Knie und Hüfte integriert.

Die Anforderungen an die Antriebseinheiten sind: Große Leistung bei kleinstmöglichem Volumen und Gewicht, Präzision, Zuverlässigkeit und lange Lebensdauer. „Die Suche nach dem passenden Lieferanten war nicht besonders schwierig“, erinnert sich Mohamed Bouri. „Wir hatten die Spezifikationen definiert, und da war die Auswahl der in Frage kommenden Motoren schon sehr überschaubar. Hinzu kam, dass FAULHABER bereit und in der Lage war, den Drehmomentsensor in kürzester Zeit zu entwickeln. Das war sehr wichtig für unser Projekt.“

Der Drehmomentsensor gehört vorerst nicht zu den Serienprodukten und wurde bisher nur für die beschriebene Anwendung in kleiner Stückzahl gefertigt. Weitere Einsatzgebiete sind aber überall dort denkbar, wo sehr genaue Drehmomentwerte gemessen werden müssen, zum Beispiel in haptischen Anwendungen wie der Roboterassistenz im Operationssaal. Der Sensor kann aber auch eine Schutzfunktion übernehmen und zur Drehmomentbegrenzung verwendet werden. Außerdem soll er sich gut für die Dokumentation in der Qualitätssicherung eignen.

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