Mensch-Maschinen-Interaktion : Michael Hofbaur: "Roboter werden überschätzt!"

Hofbaur
© Factory / Peter Just

Herr Hofbaur, kollaborative Roboter, also Roboter die Hand in Hand mit dem Menschen ohne Schutzzaun arbeiten sind eines DER Trendthemen der Industrie. Warum wollen Sie uns Cobots madig machen?

Michael Hofbaur: Von madig machen ist gar keine Rede. Im Gegenteil - bestimmte Anwendungen eignen sich hervorragend dafür. Aber unsere Produktionen - so wie wir sie heute vorfinden - sind schlichtweg noch nicht dazu ausgelegt um kollaborative Robotik im größeren Maße zu etablieren.

Und dennoch arbeiten Sie an zahlreichen Industrieprojekten, die eine Mensch-Maschinen-Kollaboration (MRK) ermöglichen sollen.

Hofbaur: Richtig. Allerdings sind das größtenteils Anwendungen, in denen Roboter und Mensch nebeneinander arbeiten, also genau genommen eine Mensch-Roboter-Koexistenz und keine Kollaboration.

…die also nicht interaktiv mit dem Menschen arbeiten?

Hofbaur: Eine Gegenfrage. Wie viele Arbeitsplätze in einer Produktion kennen Sie, wo Menschen direkt miteinander kollaborieren? Selbst in der Montage arbeitet jeder an einzelnen Teilaufgaben, koexistent nebeneinander. Also warum müssen Roboter dann kollaborativ sein? Es gibt nur ganz wenige Prozesse, wo ich diese viel gehypte „dritte Hand“ wirklich brauche.

Es gibt also demnach nicht genug Applikationen, die einen Cobot brauchen?

Hofbaur: Kollaboration ist kein Allheilmittel. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, es gibt jede Menge Szenarien, in denen kollaborative Roboter Sinn machen. Aber die in Produktion befindlichen Anwendungen mit einer echten physischen Interaktion zwischen Mensch und Maschine, wo also beide wirklich kollaborierend miteinander arbeiten, können Sie in Österreich im Moment (noch) an Ihren Händen abzählen. Der überwiegende Anteil der Anwendungen ist koexistent. Mensch und Maschinen arbeiten gemeinsam an einer Produktionsaufgabe, aber eben nebeneinander.

Sie sagen unsere Produktionen seien dafür noch nicht bereit.

Hofbaur: Solange Planungstools den Einsatz von Cobots in ihren Werkzeugen nicht stärker einbinden, werden Anlagen auch weiterhin klassisch gebaut werden. Wir haben das in Projekten selbst erlebt. Das sind Grenzen, die der Cobot-Hype nicht ausblenden kann. Dazu müssen wir aber das neue Werkzeug Cobot besser verstehen – hier herrscht also nach wie vor angewandter Forschungsbedarf.

Ist der Wind aus den kollaborativen Segeln also draußen?

Hofbaur: Teilweise Ja. Das ist aber nicht zwingend schlecht. Man betrachtet das Thema Kollaboration dadurch genauer, auch in Hinblick auf dessen Wirtschaftlichkeit. Ein Thema, wo ich sehr viel Potenzial sehe, ist die Nutzung der Sensibilität der Roboter.

Also Roboter, die fühlen können?

Hofbaur: Hier gibt es sehr breite Anwendungsmöglichkeiten. Das betrifft vor allem die Handhabung von stark variierenden und insbesondere auch flexiblen Werkstücken. Aufgaben, bei denen sich klassische Roboter schwertun.

Mit flexiblen Elementen meinen Sie einen Dichtring einlegen oder einen Schlauch anstecken?

Hofbaur: Genau. Oder in der Elektronikindustrie das automatisierte Einbauen von Bauteilen mit Durchkontaktierung. Bisher nur schwer möglich, aber mithilfe von fühlenden Robotern durchaus machbar. Aufgaben, die wir Menschen über unsere Haptik lösen, könnte also künftig auch ein Roboter tun.

Stichwort fühlender Roboter: Ist das eine Anspielung auf Airskin, die taktile Sensorhaut von Blue Danube Robotics?

Hofbaur: Fast. Die Technologie des Wiener Start-ups soll Roboter sicherer machen. Ich persönlich halte von einer Sensorhaut sehr viel. Auch wir Menschen lösen viele Aufgaben mithilfe unserer sensitiven Haut. Die Airskin dient dem Roboter dabei einerseits als Sensor mit dem eine ungewollte Kollision erkannt werden kann und andererseits als Polsterung. Diese aktive und passive Sicherheit macht die Sensorhaut so attraktiv.

Ein großes Cobot-Hemmnis ist, dass unsere maschinellen Kollegen bis heute keine vernünftige Taktzeit schaffen.

Hofbaur: Die Taktzeit ist eine große – vor allem sicherheitstechnische – Herausforderung. Für ein Nebeneinander von Mensch und Roboter muss dieser schnell stoppen oder ausweichen können. Die Sicherheitsnorm für Roboter definiert daher vier Formen der Kollaboration, von denen zwei besonders interessant sind. Erstens eine Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung. Das Problem dabei ist allerdings, dass die Normen sehr strikte Anforderungen an den Performance-Level der beteiligten Komponenten stellen. Sensorsysteme zur Abstandsüberwachung mittels Machine-Vision sind in ihrer Anwendbarkeit daher noch eingeschränkt, da aktuelle KI-Methoden Probleme mit dieser Sicherheitszertifizierung haben. Eine Krux, die es übrigens auch beim autonomen Fahren gibt.

Wenn die Geschwindigkeitsüberwachung noch nicht ganz ausgereift ist, was hilft dann?

Hofbaur: Eine zweite Methode der Kollaboration erlaubt, dass ein Roboter mit dem Menschen notfalls zusammenstößt.

Sie meine also, man lässt den Roboter mit dem Menschen kollidieren?

Hofbaur: Klingt vielleicht ungewöhnlich, ist aber aktuell die am weitesten verbreitete Betriebsform für die Mensch-Roboter Kollaboration. Der Ansatz nutzt eine Kraft- und Leistungsbegrenzung, das heißt man lässt eine harmlose Kollision zu. Dafür braucht es entsprechende Sensorik, sicherheitsbewertete Steuerungsfunktionalität und eventuell auch passive Sicherheit, wo wir wieder bei der Sensitivität der Roboter und unserem erfolgreichen Wiener Jungunternehmen Blue Danube Robotics wären.

Und wie soll das bei der Taktzeit helfen?

Hofbaur: Man muss potentielle Kollisionen ohnehin messtechnisch untersuchen. Quasi Crash-Tests mit den Robotern durchführen. Dies kann man auch zum Ausloten der zulässigen Robotergeschwindigkeit nutzen. An unserem Institut Robotics können wir daher beides, Taktzeiten optimieren und die Sicherheit validieren. Dafür gründen wir gerade ein eigenes Messlabor für Robotersicherheit.

Mit wie vielen Roboter arbeiten Sie derzeit?

Hofbaur: Wir arbeiten mit allen Roboterherstellern und haben am Institut daher eine breite Palette von System zur Verfügung. Etwas weniger Roboter als Mitarbeiter. Aktuell sind das in etwa 15 Stück. Wir beziehen aber in Kürze ein neues Gebäude mit genügend Platz für weitere Industrieroboter und ein größeres Forschungsteam.

Fanuc, Kuka, ABB, Yaskawa: Sie alle haben sich angenähert. Nutzen gleiche Getriebe und teils Motoren. Wo unterscheiden sie sich noch?

Hofbaur: Ganz klar durch ihre Steuerung. Hier gibt es durchaus unterschiedliche Funktionalitäten und Qualitäten der einzelnen Roboterhersteller. Besonders interessant sind die neuen Ansätze für eine Vereinfachung der Programmierung. Hier kommen nun neue Spieler aufs Feld.

Wie Universal Robots?

Hofbaur: Universal Robots mag kein Favorit bei hochpräzisen und performanten Anwendungen sein, aber es ist die einfache Programmierung, die die Dänen so erfolgreich macht. Die Entwicklung geht aber rasant weiter, wie zum Beispiel auch Franka Emika mit dem Roboter Panda zeigt. Schlussendlich soll die Programmierung so einfach wie die Bedienung eines Smartphones werden. Ein Anwender soll sich durch eine App-ähnliche Programmierung auf den zu automatisierenden Prozess konzentrieren können.

Ernsthafte Konkurrent für die alteingesessenen Hersteller?

Hofbaur: Durchaus, aber auch mit einem unterschiedlichem Zielmarkt. Für klassische Industrieroboter wird es auch in Zukunft einen hohen Bedarf geben. Bewährte Hersteller wie ABB, Kuka und Co. ermöglichen eine für die Industrie 4.0 wesentliche Gesamtsystemintegration.

Ab wann ist für Sie ein Roboterprogrammierung einfach?

Hofbaur: (lacht) Wenn mein zwölfjähriger Neffe ihn programmieren kann. Brauchten wir früher noch fast einen Tag für die Inbetriebnahme eines neuen Roboters, geht das heute unter einer Stunde. In den letzten Jahren hat sich also sehr viel getan.

Roboterkosten gehen ja bekanntlich runter…

Hofbaur: …dafür gehen aber die Engineeringkosten und -aufwand rauf. Schlussendlich automatisieren wir jetzt Anwendungen, die durch klassische Robotik nur schwer lösbar waren. Hersteller, die das erkennen und zu ihrem Vorteil nutzen, werden einen Vorsprung am Markt haben.

Ein nicht unumstrittenes Thema: Gefährden Roboter unsere Arbeitsplätze?

Hofbaur: Gleich vorweg, Roboter werden indem was sie können absolut überschätzt. Sie sind aber das Gesicht der Digitalisierung und deswegen sind wir beunruhigt. Dennoch passt das in den Medien gezeichnete Bild oft nicht zur Realität. Es stimmt schon, dass so mancher Arbeitsplatz verloren gehen wird. Eine verstärkte Automatisierung durch Roboter wird aber den Produktionsstandort Österreich absichern und ist daher schlussendlich ein Gewinn.

Inwiefern?

Hofbaur: Eine Produktion bleibt im Land oder kommt sogar wieder zurück. Der Kollege Roboter kostet ja weltweit in etwa gleich viel. Und vergessen Sie nicht, dass der Roboter in vielen Arbeitssituationen Erleichterung bringt.

Monotone Aufgaben, gefährliche Situationen…

Hofbaur: Genau. Dort können maschinelle Kollegen eine wertvolle Unterstützung sein. Dem Roboter wird leider viel Negatives zugeschrieben, dabei ist er nur ein Werkzeug. Der Anwender hat das Ziel etwas zu vereinfachen und zu automatisieren. Ich vergleiche den Roboter daher gerne mit einem Akku-Schrauber, auch dieser hat das klassische Werkzeug abgelöst und Erleichterung gebracht. Im Gegensatz dazu erlauben Roboter aber der digitalen Welt direkt in unsere Welt einzugreifen. Das macht uns jetzt noch Angst. In Zukunft werden wir aber die Vorteile sehr schätzen.

Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann.