Coronavirus : Feuerprobe für die Lieferketten
Das Coronavirus hat Europa und die Welt fest im Griff: Zum einen sind Hunderttausende Menschen infiziert, Tausende Todesopfer sind bereits zu beklagen. Zum anderen lähmt es zunehmend die Wirtschaft - und zwar nicht nur durch die Stilllegung von Handels- und Tourismusbtrieben. Denn so manches produzierende Unternehmen hat abgesehen von der Sorge um die Sicherheit der Gesundheit der Mitarbeiter mit Lieferengpässen bei Komponenten, Ersatzteilen und Co. zu kämpfen. Bereits Ende Jänner hat beispielsweise der deutsche Autobauer Audi Nachschubprobleme, die die Fertigung des E-Tron beeinträchtigten, bestätigt. Ende Februar wurde diese dann eingestellt.
Auch so mancher Betrieb der Metalltechnischen Industrie Österreichs bekommt die Auswirkungen bereits zu spüren, sagt Christian Knill, Obmann des Fachverbandes der MTI und CEO der Knill Gruppe. Unternehmen, die Teile der Lieferketten vor allem aus China hätten, würden aufgrund von Produktionsstopps oder -einschränkungen mit verspäteten Lieferungen kämpfen. Allerdings: „Die Werke in China nehmen Großteils ihre Arbeit wieder auf, jetzt ist nur die Frage, ob die Lieferungen per Schiff oder Container nicht zu großen Engpässen werden“, sagt Knill.
Dazu kommt, dass nun auch weite Teile Europas quasi stillgelegt wurden. Auch der technische Händler Steyr-Werner, der nur eingeschränkt Produkte, die von Lieferanten aus den Krisengebieten China und Italien führt, bekommt in manchen Bereichen die Lieferschwierigkeiten zu spüren. Während die Lieferfähigkeit in den Kernbereichen Wälzlager, Antriebstechnik, Dichtungen, Hydraulik, Industrieschläuche und Armaturen, Werkzeug, Maschinen, Normteile, Chemisch-technische Produkte, technischer Gummi, sowie Arbeitsschutz des technischen Händlers unverändert hoch sei, komme es in den Produktbereichen Schutzmasken, Einwegoveralls, Einweghandschuhe und Desinfektionsmittel zu Engpässen.
Die heimischen Maschinen- und Anlagenbauer stehen damit nicht allein da: Bei einer Blitzumfrage des Verbands der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) Mitte März mit gut 1.000 Teilnehmern nannten knapp 60 Prozent aller Betriebe Beeinträchtigungen der Lieferketten. Noch wurden die Auswirkungen überwiegend als „gering bis mittel“ eingestuft. Die Störungen machten sich allerdings immer deutlicher bemerkbar, „wobei hier bisher die Lieferländer Italien und China die größten Sorgen bereiten“, so VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers. Sie könnten nur teilweise durch alternative Lieferanten ersetzt werden.
Das ist auch ein Teil der Krisenstrategie der Knill Gruppe. „Wir versuchen teilweise, Teile selbst zu produzieren oder andere Lieferanten zu finden“, sagt Knill, der sich für die Zeit nach der Krise bereits die Neuorganisation der Lieferketten vorgenommen hat. Die gesamte Wertschöpfungskette hat auch Wittmann Battenfeld-Geschäftsführer Rainer Weingraber im Rahmen des Risikomanagements im Auge – obwohl der Kunststoffverarbeiter bis dato von den Turbulenzen noch relativ unbehelligt ist. „Wir haben aktuell nur wenige Lieferanten in den stark betroffenen Gebieten. Diese sind zur Zeit stabil. Wir beobachten die Situation laufend, um rechtzeitig die entsprechenden Maßnahmen und Vorkehrungen einzuleiten“, sagt Weingraber. Eine strukturierte Vorgehensweise und eine klare Kommunikation seien dabei entscheidend, um solche herausfordernden Situationen wie die bestehende, zu bewältigen.
Michael F. Strohmer, Co-Lead der europäischen Operations-Practice von Kearney, beobachtet dies derzeit häufiger: „Wir bemerken, dass Unternehmen mit wesentlichen Lieferanten Task Forces aufbauen, um einen Produktionsausfall möglichst zu verhindern. Hier sind Firmen in der Elektronik– und Automobilindustrie besonders betroffen“. Nun komme es darauf an, direkte Kontakte zu den Lieferanten, etwa in China, zu knüpfen und laufende Transporte umzuleiten.
Um Lieferengpässe zu vermeiden, empfehlen die Kearney-Experten die Intensivierung des eigenen Krisenmanagements. Nur, wer über das beste und agilste Krisenmanagement verfüge und sich rasch die noch am Markt verfügbaren Kapazitäten sichere, habe einen Wettbewerbsvorteil. „Während der Überschwemmungen 2011 in Thailand hat ein deutscher Automobilbauer sofort alle global verfügbaren Bestände an Elektronikkomponenten aufgekauft und so die Produktion abgesichert“, erklärt Robert Kromoser, Managing Director von Kearney Österreich. Für ihn ist das Coronavirus eine Feuerprobe für das Risikomanagement: sich nie von einem einzigen Standort mit einer kritischen Komponente abhängig machen. „Bezieht man den CO2 Ausstoß durch lange Transportwege, vermehrte Wetterkapriolen, die die Logistik beeinträchtigen, neue Gesundheitsrisiken wie Corona und so weiter mit ein, dann müssen sich Firmen die Grundsatzfrage stellen, ob man bei globalen Lieferketten nicht stärker auf Lagersicherheitsbestände und einen zweiten Lieferanten setzen sollte.“ Dazu gilt es, auf professionelles Lieferantenrisikomanagement zu setzen, dafür kritische Materialien und Lieferanten zu identifizieren, Transparenz in der Lieferkette zu schaffen, Szenario-basierte Krisenstrategien erarbeiten und strategische Lieferantenpartnerschaften darauf basierend aufzubauen.
Diese Lieferanten könnten möglicherweise in Zukunft wieder mehr in Europa zu finden sein, so Dalia Marin, Expertin für Globalisierung, in einem Interview mit dem Trend. Die Globalisierungsexpertin rechnet nämlich mit einer Rückbewegung in die Industrieländer und einem Rückgang der globalen Wertschöpfungsketten. Bereits die Finanzkrise habe das Wachstum der internationalen Wertschöpfungsketten negativ beeinflusst. Seit 2011 sei zu diesen eine Gegenbewegung sichtbar, die sich durch das Coronavirus verstärken werde, so Marin. Vorreiter sei bereits jetzt die chemische Industrie. Wobei gerade in den letzten Tagen der Druck auf die pharmazeutische Industrie besonders groß geworden ist. So hat erst kürzlich das EU-Parlament die Unternehmen dazu aufgefordert, wieder vermehrt in Europa zu produzieren. Denn viele wichtige Wirkstoffe werden in China oder Indien hergestellt.
Die zumindest teilweise Verlagerung der Produktion von Komponenten und Teilen nach Europa könnte also für die Maschinen- und Anlagenbauer durchaus ebenfalls eine Option sein. Vor allem angesichts der wachsenden Automatisierung im Zuge der Industrie 4.0.