"Bilateral Artificial Intelligence" : Linz startet Exzellenzcluster für die Entwicklung flexibler Künstlicher Intelligenz

KI-Experte Sepp Hochreiter leitet den Exzellenzcluster "Bilateral Artificial Intelligence".
- © JKUEine neuartige Form der Künstlichen Intelligenz wird entwickelt, die sich flexibel an unterschiedliche Situationen anpassen, logisch denken und über ein tieferes Weltverständnis verfügen soll als derzeitige Systeme wie ChatGPT. Dieser Durchbruch wird im Exzellenzcluster "Bilateral Artificial Intelligence" angestrebt, dessen Start heute Abend in Linz erfolgt, wie Projektleiter und KI-Experte Sepp Hochreiter von der Universität Linz (JKU) in einem Gespräch mit der APA erklärte.
Der Erfolg soll durch die Kombination zweier bedeutender Forschungsansätze im Bereich der KI erreicht werden. Die "sub-symbolische KI" fokussiert sich auf maschinelles Lernen, also das Lernen aus Daten, wie es beispielsweise bei neuronalen Netzen oder ChatGPT der Fall ist. Die "symbolische KI" hingegen befasst sich mit der Handhabung von Wissen und Schlussfolgerungen durch künstliche Systeme. Diese beiden Ansätze sollen kombiniert werden, um einerseits große Datenmengen zu verarbeiten und andererseits Lernmethoden zu nutzen, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind.
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Forschungsgruppen zusammenbringen
Das Ziel des Projekts ist es, die Grundlagen für eine sogenannte Broad AI zu entwickeln, die nicht nur über ausgeprägte Problemlösungsfähigkeiten verfügt, sondern auch in der Lage ist, mit Abstraktionen umzugehen. Durch die gebündelte heimische Expertise soll diese KI in der Lage sein, sich flexibel an verschiedene Herausforderungen und Umgebungen anzupassen. Sie könnte komplexe Aufgaben wie die Organisation einer Reise oder die Planung einer kostengünstigen und ökologischen Renovierung eines Hauses mit Berücksichtigung aller relevanten Zusammenhänge übernehmen.
Hochreiter erklärte, dass es absehbar sei, dass auch andere Länder und Akteure auf die Kombination von sub-symbolischer und symbolischer KI setzen. In Österreich gebe es jedoch bereits seit Jahren Vorarbeiten, um die verschiedenen Forschungsgruppen in diesem Bereich zu vereinen, was dem Land einen gewissen Vorsprung sichern sollte. So kooperieren Forscherinnen und Forscher der Technischen Universitäten (TU) Wien und Graz, des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ), der Universität Klagenfurt sowie der Wirtschaftsuniversität Wien.
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Aktuelle KI hat kein "Weltwissen"
Aktuelle KI-Modelle seien häufig auf spezifische Aufgaben wie Texterstellung, autonomes Fahren oder die Bilderverarbeitung in der medizinischen Diagnostik spezialisiert, erklärte der Leiter des Instituts für Machine Learning im Vorfeld der heutigen Auftaktveranstaltung an der Universität Linz. Für diese Aufgaben seien sie gut geeignet, jedoch in anderen Bereichen weitgehend nutzlos.
Laut Hochreiter können KI-gestützte Chatbots, die auf sogenannten Großen Sprachmodellen (Large Language Models, LLM) basieren, nicht logisch denken und verfügen nicht über ein echtes "Weltwissen": "Sie haben kein Gefühl, dass ein Baum auch in Wirklichkeit und nicht nur als Buchstabenfolge existiert."
Mensch weiterhin unübertroffen
Ein selbstfahrendes Auto etwa würde bei der Frage, ob es über ein vom Wind verwehtes Plastiksackerl fahren kann oder ob dies ein Hindernis darstellt, überfordert sein. "Dazu muss sie wissen, dass etwas nicht so massiv ist, wenn es vom Wind verweht werden kann. Dieses Weltverständnis fehlt noch", sagte Hochreiter. Eine "Broad AI" hingegen sollte in der Lage sein, auf neue Situationen mit entsprechendem Wissen zu reagieren. Allerdings könne sie noch nicht an die kognitiven Fähigkeiten des Menschen anknüpfen – hierfür wäre eine "Artificial General Intelligence" notwendig, von der man jedoch noch weit entfernt sei.
Industrialisierung der KI biete Europa neue Chancen
Kürzlich sorgte das chinesische Start-up DeepSeek für Aufsehen, als es ein leistungsfähiges KI-Modell präsentierte, das angeblich zu einem Bruchteil der Kosten der US-Konkurrenz entwickelt wurde. Laut dem Experten habe das Unternehmen jedoch vorab hohe Investitionen getätigt, um dieses kostengünstige Modell zu realisieren: "Wir hätten die Technologie, aber nie das Team oder die Rechenressourcen gehabt, um sich so ein Modell auszudenken und zu testen." Es werde demnächst einige Gruppen geben, wahrscheinlich auch in Europa, "die das nachmachen".
Nach der Phase der Hochskalierung, in der immer größere Modelle mit mehr Daten entwickelt wurden, sieht Hochreiter nun einen Übergang zur Industrialisierung der KI: "Jetzt können auch wieder kleinere Modelle punkten, die auf bestimmte Aufgabengebiete spezialisiert sind. Die müssen nicht alles von Goethe oder über die Renaissance wissen." Sobald KI in die Produktionsprozesse und Logistik der Firmen Einzug halte, werde es viele Möglichkeiten für die Europäer geben, hier mitzuspielen. "Wenn man kleine Modelle für die Industrie baut, sehe ich wieder Chancen. Und das wird kommen", ist Hochreiter überzeugt.
Im Rahmen der Initiative "excellent=austria" wurden bisher neun Exzellenzcluster vom Wissenschaftsfonds FWF und Bildungsministerium zu verschiedenen Forschungsthemen ins Leben gerufen. Das "Bilateral AI"-Projekt ist auf fünf Jahre angelegt und wird mit 33 Millionen Euro gefördert, wobei der FWF 60 Prozent der Mittel beisteuert und 40 Prozent von den beteiligten Institutionen getragen werden. Nach einer positiven Evaluierung könnte die Laufzeit auf zehn Jahre verlängert werden, mit insgesamt 70 Millionen Euro Förderung.