Goldenes Jubiläum bei Rittal : Schellerer: „Wünschen uns mehr Kontinuität und Konsequenz“

Sie haben zwar nicht die gesamten 50 Jahre miterlebt, aber doch einen wesentlichen Teil davon. Was hat die Entwicklung von Rittal in Österreich rückblickend geprägt und herausgefordert?

Marcus Schellerer: Ich hatte das Privileg, fast 60 Prozent dieser Zeit bei Rittal tätig zu sein. 1996 bin ich als Vertriebsleiter eingestiegen und habe im April 2010 die Position des Geschäftsführers übernommen. Was Rittal so besonders macht und warum ich seit 28 Jahren dabei bin? Es ist die Vielseitigkeit des Unternehmens. Rittal ist immer Vorreiter, bringt Innovationen auf den Markt, bevor die Kunden den Bedarf erkennen. Ein prägnantes Beispiel sind unsere Serverschränke Ende der 90er Jahre. Wir haben 19-Zoll-Serverschränke auf den Markt gebracht, als der Markt noch nicht so weit war. Sie waren 600 Millimeter breit, zwei Meter hoch und 800 Millimeter tief. Anfangs hat sie niemand gekauft. Aber wir haben den Markt so gut informiert, dass die Serverhersteller schließlich von Desktop-Geräten auf 19-Zoll-Server umstiegen. Plötzlich war da ein riesiger Markt. Das Gleiche ist der Fall bei Themen wie Energieeffizienz bei Kühlgeräten und Nachhaltigkeit. Das ist nicht erst in den letzten fünf Jahren entstanden. Rittal hat frühzeitig in Forschung und Entwicklung investiert. So wurde beispielsweise die Kühlgeräteserie Blue e Plus auf den Markt gebracht. Ein weiterer Meilenstein war die Einführung unserer Maxi PLS Schiene, einer bahnbrechenden Innovation im Bereich der Energieversorgung. Anstelle der herkömmlichen Flachkupferschienen entwickelten wir profilierte Kupferschienen mit quadratischem Querschnitt und Ausfräsungen. Dies ermöglicht unseren Kunden eine erhebliche Platzersparnis im Anschlussbereich, insbesondere beim Anschluss von dicken Kupferkabeln. Und eine besondere Herausforderung war die Einführung der neuen Norm EN 61439 für den Bau von Niederspannungshauptverteilungen. Obwohl Rittal nicht primär Kupferexperte ist, wurden wir durch unsere umfangreichen Kundenseminare zu diesem Thema plötzlich als die Experten für die Norm wahrgenommen. Das erfüllte uns mit Stolz, brachte aber auch eine große Verantwortung mit sich.

Wie hat sich der Vertrieb im Laufe der Jahre entwickelt, insbesondere seit Ihrem Einstieg 1996 als Verkaufsleiter?

Schellerer: Was sich nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass Menschen von Menschen kaufen. Die Präsenz unserer Außendienstmitarbeiter beim Kunden ist nach wie vor entscheidend. Geändert haben sich die Gesprächsthemen. In den 90er und frühen 2000er Jahren standen die Produkteigenschaften im Vordergrund. Heute geht es vielmehr um Prozesse und darum, wie Rittal mit seinem gesamten Leistungsportfolio - Produkte, Beratung, Konfiguratoren, Lieferbereitschaft - den Kunden dabei unterstützen kann, sein Geschäft erfolgreich zu gestalten. Wir sind vom reinen Produktverkauf zum Lösungsvertrieb übergegangen. Früher haben wir mit gedruckten Katalogen und Prospekten gearbeitet, heute entwickeln unsere Vertriebsmitarbeiter gemeinsam mit den Kunden Projekte, zum Beispiel im Bereich Energiewende und Photovoltaik. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind als Experten gefragt, wenn es um die Auslegung von Schaltschränken für Photovoltaikanlagen geht. Auch die Dokumentation hat sich stark gewandelt. Früher wurde mit Transparentpapier und Tuschestift gearbeitet, heute ist alles digital. Rittal bietet hier mit der digitalen Schaltplantasche und QR-Codes auf den Komponenten moderne Lösungen. Diese Entwicklungen erfordern natürlich auch eine Veränderung in der Qualifikation unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sowohl im Innen- als auch im Außendienst.

Rittal
Marcus Schellerer ist seit 2010 Geschäftsführer von Rittal Österreich. - © Rittal
Das Thema KI betrifft unsere Kunden in Österreich noch nicht so stark, aber die großen Rechenzentrumsbetreiber massiv.

Es gab große technologische Entwicklungen und Trends, seit Sie 2010 die Geschäftsführung übernommen haben. Wie haben Sie diese Entwicklungen – vom Telekommunikationsboom über die Klimakrise bis hin zum aktuellen KI-Boom – erlebt?

Schellerer: Das Thema KI betrifft unsere Kunden in Österreich noch nicht so stark, aber die großen Rechenzentrumsbetreiber massiv. Auch hier war Rittal Vorreiter. Wir haben frühzeitig Lösungen für die Direct Liquid Cooling entwickelt. Bei Serverschränken mit 70 Kilowatt Leistung reicht die klassische Luftkühlung nicht mehr aus. Hier setzen wir auf die direkte Wasserkühlung der Prozessoren. Rittal entwickelt und forscht intensiv an solchen Systemen.

Rittal bekennt sich ausdrücklich dazu, Teil der Lösung der Klimakrise zu sein. Was können Sie zu dieser Lösung beitragen?

Schellerer: Bei der Energieeffizienz, insbesondere bei Kühlgeräten, sind wir führend. Auch für unseren eigenen Energiebedarf setzen wir auf Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen. Gemeinsam mit Kunden entwickeln wir Batteriespeichersysteme, die tagsüber erzeugten Solarstrom für die Nacht speichern. Wir arbeiten an intelligenten Lösungen für das Energiemanagement. Stellen Sie sich vor: Sie kommen abends nach Hause, kochen, duschen, schalten den Fernseher ein und laden gleichzeitig Ihr Elektroauto. Warum nicht das Auto um zwei Uhr nachts laden, wenn kaum Energie benötigt wird? Oder nachts den Warmwasserboiler aufheizen? Wir entwickeln Lösungen in diese Richtung. Auch im Bereich der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität sind wir aktiv, insbesondere bei der Energieverteilung im Backend-Bereich der Ladeparks.

V.l.n.r.: Marcus Schellerer, Mario De Marco und Moderator Alexander Goebel feiern den runden Geburtstag mit einer Rittal-Torte.
Mein Ziel ist es, dass wir bei Megatrends und neuen Technologien immer ganz vorne mit dabei sind.

Das eine ist der Beitrag, den die Industrie leistet, um Lösungen zu finden. Wie schätzen Sie den Beitrag der Politik in Österreich dazu ein?

Schellerer: Die Entwicklung auf politischer Seite muss als sehr besorgniserregend bezeichnet werden. Wir in der Industrie haben keinen klaren, langfristigen Plan vor uns. Die ständigen Richtungswechsel in Bereichen wie der Automobilindustrie verunsichern Verbraucher und Industrie gleichermaßen. Sollen wir auf Verbrennungsmotoren setzen? Auf Elektroautos? Diese Unklarheit erschwert die Festlegung von Forschungsschwerpunkten. Auch die Förderpolitik gehört auf den Prüfstand. Angesichts knapper Kassen müssen wir auch an künftige Generationen denken. Wir wünschen uns mehr Kontinuität und Konsequenz in den Entscheidungen, damit wir wissen, in welche Richtung wir uns entwickeln sollen.

Was sind Ihre Zukunftsvisionen für Rittal Österreich?

Schellerer: Mein Ziel ist es, dass wir bei Megatrends und neuen Technologien immer ganz vorne mit dabei sind. Als begeisterter Motorradfahrer sage ich oft: Der Fehler beginnt vor der Kurve. Das bedeutet, dass wir vorausschauend handeln müssen, bevor Herausforderungen entstehen. Mit meinem Team diskutieren wir ständig, was wir übermorgen tun müssen. Ich sehe die Zukunft der Industrie in Europa durchaus positiv, wenn die Weichen richtig gestellt werden. Das beginnt bei der Ausbildung, vor allem im MINT-Bereich, wo wir mehr Frauen für Technik begeistern müssen. Wir müssen auch die Spitzenkräfte in Österreich halten und dürfen sie nicht an Asien oder Amerika verlieren. Wir brauchen viele Menschen in Forschung und Entwicklung, um mit China mithalten zu können. Wichtig ist auch, dass wir global wirtschaftlich gleichgestellt sind. Unsere Anstrengungen im Umweltschutz und bei der Bewältigung der Klimakrise sind teuer und beeinflussen unsere Produktionskosten. Hier ist die europäische Politik gefordert, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.