ExpertInnenbeitrag : Robotik: Wie sich Flexibilität und Autonomie mit Sicherheit vereinbaren lassen

Cobot Sicherheit

Hier werden Warn- und Gefahrenzonen während der Mensch-Roboter-Kollaboration visualisiert.

- © FH Technikum

Die Bedeutung autonomer Roboter für die Industrie nimmt enorm zu. In der mobilen Robotik etabliert sich die eigenständige Navigation von Transportrobotern z.B. durch eine Fabrik. In der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Robotermanipulatoren verbreitet sich die Übernahme kollaborativer Handlingaufgaben durch intelligente Systeme. Die Potentiale der Technologien sind immens – sowohl wirtschaftlich im Sinne der effizienten Automatisierung als auch ergonomisch mit dem Zweck, den Menschen bei monotonen oder körperlich belastenden Aufgaben zu entlasten.

Der Blick in die Praxis zeigt allerdings: In der Umsetzung ist noch vieles ungelöst. Das beginnt mit den Kosten für die Einrichtung und den Betrieb solcher Systeme und reicht über die Frage der Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben oder Anforderungen bis hin zu Sicherheitsthemen. Neben Technologiewissen benötigen EntscheiderInnen in den Unternehmen aussagekräftige Methoden zur vorausschauenden Beurteilung einer solchen Investition, klare Vorgehensweisen für die Einführung und Aufrechterhaltung des Betriebs und Investitionssicherheit. Das betrifft zunächst die notwendigen Zertifizierungen bis hin zur Betriebserlaubnis. Im laufenden Betrieb stehen dann Unfallprävention und IT-Sicherheit bzw. Fragen des Datenschutzes im Fokus.

Schon heute gibt es Anwendungsbeispiele für dynamische kollaborative Sicherheitskonzepte. Dem breiten industriellen Einsatz stehen aber noch technologiebedingte Schwierigkeiten entgegen.

ZEITLICHE STATT RÄUMLICHE TRENNUNG FÜR MEHR FLEXIBILITÄT

Weit verbreitet sind Sicherheitskonzepte, die Mensch und Maschine räumlich voneinander trennen. Das hat den Nachteil, dass die gewünschte Zusammenarbeit kaum stattfinden kann. Überall dort, wo die Anwendung es erforderlich macht, dass sich Mensch und Roboter im gleichen physischen Raum begegnen, benötigt die Industrie innovative und abgesicherte Konzepte. Zwei Erfolgsfaktoren für künftige Anwendungen sind die Kommunikation und die dynamische Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine im Unterschied z.B. zum starren Schutzzaun oder zur fest definierten Lichtschranke, deren Durchbrechung den Betrieb verlangsamt oder anhält.

Die dynamische Festlegung von Sicherheitszonen kann z.B. kameraunterstützt erfolgen: Greift der Roboter ein Teil aus einer Kiste, dann ist der umgebende Raum während der Ausführung eine sicherheitsrelevante Zone. Während der anschließenden Montage des Teils ist das nicht mehr der Fall. Würde in diesem Zeitraum eine Person in die Kiste greifen, müsste das System die automatisierte Montage nicht unterbrechen. Solange beide – sich ständig verändernden – Arbeitsbereiche verlässlich getrennt sind, bleibt das System im Produktivmodus.

Sobald der menschliche Arbeitsbereich mit der Sicherheitszone oder dem Arbeitsraum des Roboters überlappt, führt der Roboter eine Geschwindigkeitsreduktion oder einen Stopp aus. Dabei gilt es nicht nur Kollisionen zu vermeiden, sondern auch das Empfinden des Menschen zu berücksichtigen, für den z.B. das schnelle Annähern eines Roboterarms auch dann eine Stressreaktion bedeuten kann, wenn rational bewusst ist, dass der Arm rechtzeitig zum Halt kommen wird.

Schon heute gibt es Anwendungsbeispiele für dynamische kollaborative Sicherheitskonzepte. Dem breiten industriellen Einsatz stehen aber noch technologiebedingte Schwierigkeiten entgegen. Üblicherweise treten in komplexen Automationsumgebungen Latenzen auf, die oft summativ zu berücksichtigen sind. Weitere Schwierigkeiten können aus dem statistischen Charakter mancher Technologien resultieren: Wenn z.B. zur Identifikation von Objekten oder Personen neuronale Netzwerke zur Anwendung kommen, erkennen diese die Person und ihre Position nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Selbst, wenn diese hoch ist, stellt sich sofort die Frage der Risikotoleranzgrenze. Hinzu kommen weitere Fragen, z.B. die sinnvolle Definition der Systemgrenzen entsprechend ISO 12100.

Punktewolke
So sieht die Punktwolke aus einer Tiefenkamera aus. Sie ist Grundlage für die dynamische Berechnung des Sicherheitsabstandes zwischen Mensch und Roboter. - © FH Technikum
Je stärker ein Sicherheitskonzept auf nicht trennenden Schutzeinrichtungen beruht, desto komplexer kann sich das Erreichen von Norm- und Gesetzeskonformität gestalten.

MOBILE ROBOTIK ALS PARADEBEISPIEL FÜR DYNAMISCHE SICHERHEITSKONZEPTE

Was schon heute im industriellen Einsatz möglich ist, und welche Fragen noch offen sind, zeigt der autonome mobile Manipulator in der Digital Factory der FH Technikum Wien: Diese Kombination aus mobiler Transportplattform und Leichtbau-Roboterarm erlaubt es, unaufwändig auf veränderliche Anforderungen interner Transport- und Materialbearbeitungsprozesse zu reagieren. Entwickelt man ein solches System in Eigenregie oder verkettet einzelne Subsysteme, entstehen neue Abhängigkeiten und Pflichten. Insbesondere ist auch der Einfluss von IT-Security-Schwachstellen auf die physische Sicherheit zu berücksichtigen. Als Antwort auf derartige Fragen, die im Zuge des von der Stadt Wien geförderten Forschungsprojekts SIP 4.0 adressiert wurden, ist gemeinsam mit dem TÜV AUSTRIA ein White Paper entstanden, das Wege zeigt, diese Themen systematisch schon in frühe Phasen der Systementwicklung zu integrieren. Empfohlen ist die Verwendung übergreifender Vorgehensmodelle wie jenem der VDI 2182 und die Berücksichtigung einschlägiger technischer Regeln wie der ISO/TR 22100-4 (Leitlinien zur Berücksichtigung von IT-Security-Aspekten) und der IEC 62443er Reihe (z.B. Netzwerksegmentierung). Mit diesen und weiteren Verfahren lassen sich technologie- oder konstruktionsbedingte Sicherheitslücken durch geeignete Schutzmaßnahmen in der Betriebsumgebung ausgleichen, z.B. in Ergänzung zu optischer oder taktiler Sensorik, um den Mehrwert eines kollaborierenden Betriebs vollends auszuschöpfen.

Je stärker ein Sicherheitskonzept auf nicht trennenden Schutzeinrichtungen beruht, desto komplexer kann sich das Erreichen von Norm- und Gesetzeskonformität gestalten. Der Grund dafür ist, dass nicht nur die üblichen Fragen (z.B. Quetschungen durch Einklemmen zwischen Roboterachsen oder Greiferbacken), sondern auch die gegenseitige Beeinflussung laserbasierter Systeme, die redundante Ausführung von Sensorik, Latenzprobleme, Sensorversagen durch Umwelteinflüsse etc. der Absicherung bedürfen.Letztendlich kommt es – wie so oft – auf eine zutreffende Risikobeurteilung an. Um verzerrte Ergebnisse aus diesem von Natur aus subjektiv geprägten Prozess zu vermeiden, sollte man die Gruppe involvierter Personen (in sinnvoll arbeitsfähigem Maße) groß halten und Expertise aller relevanten Fachgebiete integrieren. So lässt sich ein belastbares Grundgerüst im Hinblick auf möglicherweise auftretende Haftungsfragen schaffen und einer sicherheitsgerechten In-House-Entwicklung steht nichts mehr im Weg.

AutorInnen: Clemens Ambros, Corinna Engelhardt-Nowitzki, Erich Markl und Mohamed Aburaia von der FH Technikum Wien.

Mobiler Cobot
Der autonome mobiler Manipulator der Technikum Digital Factory. - © FH Technikum