Industrieller 3D-Druck bei der Daimler Truck AG : Anderhofstadt: „Bald wird ein Viertel unserer Teile 3D-druckfähig sein“

Daimler Trucks & Buses beschäftigt sich schon seit längerem mit 3D-Druck. Wie kam es dazu, dass Sie damit auch in die Serienfertigung gingen?

Unsere After-Sales-Leitung hat 2015 den Auftrag gegeben, zu prüfen, wie sich das Ersatzteil-Business in den nächsten 10 Jahren verändern wird. Additive Manufacturing hat sich dabei als wichtige Säule herauskristallisiert. Wir waren schon davor im Prototyping-Design-Bereich tätig und wollten nun eruieren, wie weit die Technologie schon für die Serienfertigung gewappnet ist.

Serienfertigung heißt ja, man braucht eine gewisse Stückzahl. Eine hohe Stückzahl ist aber oft ein Argument gegen den 3D-Druck…


Da müssen wir die Serienfertigung von der Massenfertigung unterscheiden. Von Massenfertigung spreche ich, wenn ich von einem gleichen Teil mehrere hunderttausend Stück benötige. Hier werden wir mit 3D-Druck nie wirtschaftlich werden.

Ab wann ist der 3D-Druck in Serie rentabel?


Im Bus- und LKW-Bereich sprechen wir von Stückzahlen zwischen 10.000 bis 20.000 Teilen in der Serie. Über solche Zahlen schmunzeln unsere PKW-Kolleg:innen, bei denen der Ersatzteilbedarf bei, sagen wir, einer Million liegt. Es gibt aber sehr viele Branchen, die unserer ähnlich sind. Dazu zählt eigentlich jede Branche, wo eine gewisse Varianz mit drin ist.

Im Jahr 2022 hieß es bei Daimler Trucks & Buses, dass Sie schon 40.000 Omnibus-Ersatzteile drucken können. Wie viele sind es heute?


Wir können 600 unterschiedliche Teile drucken mit einer Stückzahl von bis zu 70.000. Heute haben wir Teile, die wir schon 7.000-mal drucken und sind damit wirtschaftlicher als herkömmliche Fertigungsverfahren – allein auf den Stückpreis und noch gar nicht auf die TCO bezogen.

Zur Person:

Ralf Anderhofstadt leitet das Kompetenzcenter, die Consulting-Einheit und ein crossfunktionales Projekt zum Thema additive Fertigung bei der Daimler Truck AG. Er gestaltet seit Jahren federführend die Einführung des industriellen 3D-Drucks in verschiedene Prozesse des Unternehmens. Dabei koordiniert er nationale und internationale Bereiche innerhalb des Konzerns, um ein digitales 3D-Druck-Geschäftsmodell aufzubauen. Zusätzlich engagiert er sich im VDI Fachgremium, hält Schulungen im Bereich Additive Fertigung und ist Beiratsmitglied des Verbands 3D-Druck e. V. und ist Autor des Buches "Disruptiver 3D-Druck", das die Potenziale der additiven Fertigung anhand von Praxisbeispielen beleuchtet.

Wenn ein Teil in der herkömmlichen Fertigung 30 Cent kostet, würden es viele niemals um 1,50 Euro 3D-drucken. Aber das ist der falsche Ansatz.

Wie schätzen Sie die Haltung von Unternehmen gegenüber dem 3D-Druck ein?

Zum Teil herrscht noch ein veraltetes Mindset vor. Wenn ein Teil in der herkömmlichen Fertigung 30 Cent kostet, würden es viele niemals um 1,50 Euro 3D-drucken. Aber das ist der falsche Ansatz. Das ist die Brille eines Einkäufers. Wenn ich von diesem Teil 30.000 als Mindestabnahmemenge habe, ich aber bloß 100 brauche, muss ich die restlichen Teile zwischenzeitlich lagern und wahrscheinlich verschrotte ich in sieben Jahren einen Großteil von ihnen. Das kostet alles Geld. Wenn man es aber ganzheitlich betrachtet, gibt es heute viele Fälle, die wirtschaftlich sind.

Bei welchem Teil hat es Sie besonders überrascht, dass es mit 3D-Druck wirtschaftlicher produziert werden kann?


Sehr eindrucksvoll finde ich unseren Instrumententräger, also das Cockpit eines Buses. Das ist ein Teil, das sehr stark beansprucht wird. Hätten wir uns vor drei Jahren unterhalten, hätte jeder gesagt, niemals im Leben werdet ihr ein Teil mit dieser Komplexität in dieser Größe 3D-drucken können. Während der Pandemie hatten hier aber große Lieferschwierigkeiten, weshalb wir unseren Doppelstopp-Bus nicht ausliefern konnten. Dann haben wir das Cockpit in vier Wochen als 3D-Druckteil umgesetzt.

Drucken Sie Ersatzteile eigentlich eins zu eins nach, oder optimieren Sie sie auch?


Ein Ersatzteil wurde als ursprüngliches Teil schon auf ein anderes Fertigungsverfahren hin konstruiert. Wir schauen zwar, inwieweit wir das umkonstruieren können, um die Mehrwerte des 3D-Drucks zu heben, aber ein Konstrukteur muss sehr viel beachten, um eine Freigabe im Qualitätsmanagement zu bekommen. Hinzu kommt: Viele Werkstoffe, die man zum Beispiel beim Spritzgießen oder Tiefziehen verwendet, können in der additiven Fertigung nicht verarbeitet werden. Aus diesem Grund muss das herkömmliche Material oft ersetzt werden. Dafür sind gewisse Normen festgelegt.

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Sie haben einmal gesagt, das Thema 3D-Druck ist zu 80% digitales Business. Können Sie das genauer erklären?

Für den 3D-Druck braucht man die 3D-Daten plus die Bauteilanleitung als „Kochrezept“. Nur damit kann man die Qualität und die Reproduzierbarkeit für das Serienteil gewährleisten. Und wenn dieser digitale Zwilling eines Teils in einem virtuellen Lager liegt, kann man ihn unendlich lange produzieren.

Wo werden die Teile dann gefertigt?


Einerseits arbeiten wir mit Dienstleistern zusammen, die zertifiziert sind, andererseits haben wir eigene Drucker bei uns und außerdem lassen wir auch am Point of Use produzieren. Ich streame die Datensätze oder die Lizenzen zum Drucken also dorthin, wo ein Teil ausgedruckt werden soll.

Welche Rolle spielt die Blockchain-Technologie für Ihr Geschäftsmodell?


Von den Daten erzeugen wir Drucklizenzen, was über eine Blockchain, sogenannte Smart Contracts, läuft. Wenn ein Kunde ein Teil zum Beispiel dreimal braucht, schicken wir ihm die Lizenz zum Drucken und er kann sie einlösen, in seinem Drucker platzieren und sein Teil genau dreimal produzieren. Das nennt sich Digital Rights Management.

Es gibt gewisse Hürden in den Köpfen. Wenn etwas aus dem Hauptwerk geliefert wird und es schön verpackt daherkommt, hat das eine andere Wirkung, als wenn ich 'nur' eine Lizenz beziehe.

Wo bewegt sich im Bereich additive Fertigung derzeit am meisten?

Bei uns im Center of Competence entwickeln wir Werkstoffe weiter, beispielsweise haben wir aktuell ein Metallpulver für den Automotive-Bereich entwickelt. Und mit neuen Materialien steigt auch die Menge an potenziellen 3D-Druckteilen. Heute sind 15 Prozent aller unserer Teile 3D-druckfähig. In drei Jahren werden es 25 Prozent sein. Wir treiben aber genauso das Thema Digitalisierung voran und auch Blockchain entwickelt sich weiter.

Bemerken Sie durch die Ausweitung des 3D-Drucks eine Veränderung, was die Kundenbindung betrifft?


Es gibt bis zum heutigen Tag gewisse Hürden in den Köpfen. Wenn etwas aus dem Hauptwerk geliefert wird und es schön verpackt daherkommt, hat das vielleicht eine andere Wirkung, als wenn ich „nur“ eine Lizenz beziehe. Ich sehe hier eine Parallele zur Musikindustrie. Früher hat man Schallplatten gekauft und heute wird alles gestreamt. Es gibt zwar noch immer Leute, physische Tonträger kaufen, aber die Masse sieht die Vorteile der neuen Technologie und geht mit der Veränderung mit. Im Grunde ist es dem Kunden egal, ob sein Ersatzteil 3D-gedruckt ist oder nicht, solange er schnellstmöglich sein bestelltes Teil auf dem Tisch liegen hat.

Ralf Anderhofstadt auf der Ersatzteiltagung 2024

Anderhofstadt ist Speaker auf der Ersatzteiltagung, die am 7. März 2024 bei CNH Industrial in St. Valentin stattfindet. Sein Vortrag trägt den Titel "Revolution im Rollen: Die Potentiale des 3D-Drucks im Nutzfahrzeugbereich".

Infos und Anmeldung unter https://ersatzteiltagung.at