Interview: Bruce Lawler : MIT-Forscher über die Zukunft der Produktion

Wie hat Ihr Hintergrund in der Gründung und dem Aufbau mehrerer Technologieunternehmen Ihre heutige Herangehensweise an die Integration von KI in industrielle Prozesse beeinflusst, da Sie über umfangreiche Erfahrungen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Wissenschaft verfügen?

Bruce Lawler: Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es bei der erfolgreichen Integration von Technologie nicht nur um Technologie, sondern auch um Menschen geht. Für den effektiven Einsatz von KI ist es entscheidend, den Stakeholdern zunächst sorgfältig und respektvoll zuzuhören, um ihre spezifischen Probleme zu verstehen und ihre aktive Unterstützung zu gewinnen. Ebenso wichtig ist es, vor der Automatisierung den Schwerpunkt auf die Rationalisierung und Standardisierung von Arbeitsabläufen zu legen. Außerdem sollten Sie sich auf den Prozess und den Arbeitsablauf konzentrieren, nicht auf die Technologie. Der Arbeitsablauf sollte vereinfacht, unternehmensweit standardisiert und dann automatisiert werden. Dadurch wird sichergestellt, dass die Technologie so breit wie möglich anwendbar ist, um einen positiven Business Case zu gewährleisten, und dass Sie Zugang zu den Daten haben, die Sie benötigen, damit die KI-Lösung funktioniert.

Welche spezifischen Forschungsprojekte stehen derzeit am MIT MIMO im Mittelpunkt und welche Herausforderungen werden dabei angegangen?

Lawler: Wir haben wir uns in letzter Zeit auf die Erkennung von Anomalien/Defekten in Umgebungen konzentriert, die durch ein extremes Klassenungleichgewicht gekennzeichnet sind, in denen Defekte oder Ausfälle sehr selten, aber sehr kostspielig sind. In der Halbleiterfertigung beispielsweise sind Fehler selten, aber sehr teuer. Herkömmliche maschinelle Lernverfahren haben hier Schwierigkeiten, da sie in der Regel ausgewogene Beispiele von guten und defekten Teilen benötigen. Unsere Arbeit zielt darauf ab, spezielle Modelle zu entwickeln, die in der Lage sind, potenzielle Defekte auch dann zu erkennen, wenn nur wenige oder gar keine historischen Daten über solche Ereignisse vorliegen. Dieser Ansatz ist auch auf die Herstellung von Automobilmotoren anwendbar, wo es trotz strenger Kontrollen gelegentlich zu kostspieligen Ausfällen kommt. Unser Ziel ist es, umfassende Prozessdaten zu analysieren, um diese seltenen Ausfälle proaktiv vorherzusagen und zu minimieren.

MIT
Bruce Lawler, Geschäftsführer von MIT MIMO (Machine-Intelligence for Manufaturing and Operations), stellt praktische und erfolgreiche Anwendungen von Analytik und KI für die Fertigung in kleinen, mittleren und großen Unternehmen in den USA vor. - © MIT
Partnerschaften mit bestehenden Lösungsanbietern beschleunigen den Projekterfolg durch die Nutzung bewährter Lösungen.

Ihr Ansatz zur Einführung von KI in Produktionsprozesse basiert auf einem stufenweisen Implementierungsmodell. Was sind die Grundprinzipien dieses Modells und wie funktioniert es in der Praxis?

Lawler: Ein solches Modell legt den Schwerpunkt auf den organisatorischen Wandel und beginnt idealerweise mit Lösungen, die eine große Wirkung haben und Einnahmen generieren. Die frühzeitige Unterstützung durch das Management ist von entscheidender Bedeutung, da ein unklarer Return-on-Investment (ROI) einer der Hauptgründe für das Scheitern von KI-Projekten ist. Die Definition klarer Erfolgsindikatoren und die frühzeitige Abstimmung mit den finanziellen Stakeholdern sind von entscheidender Bedeutung. In der nächsten Phase werden die Wertströme detailliert abgebildet und in Abstimmung mit den Stakeholdern konkrete Anwendungsfälle definiert, gefolgt von einer rigorosen Entwicklung des Business Case - einschließlich der Bewältigung der Herausforderungen der Datenmessung und der Infrastrukturanforderungen. Die Sicherstellung der Zugänglichkeit und Integrität der Daten ist ein weiterer entscheidender Schritt, ebenso wie die sorgfältige Abwägung zwischen Eigenentwicklung und Kauf. Partnerschaften mit bestehenden Lösungsanbietern beschleunigen den Projekterfolg durch die Nutzung bewährter Lösungen und die monatliche Bezahlung der Technologie über ein SaaS-Modell, das den ROI erhöht. Zu einer strategischen Einführung gehören schließlich auch Schulungen, die Integration von Arbeitsabläufen, eine umfassende Dokumentation und die Sicherstellung der Akzeptanz bei Management und Mitarbeitern.

Wie stellen Sie sich die ideale Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine in der Produktion vor?

Lawler: Sie beinhaltet klar definierte Rollen, in denen die KI standardisierte Entscheidungsprozesse übernimmt und ihre Ergebnisse dem menschlichen Bediener zur Validierung vorlegt - ein Ansatz, der als „Human-in-the-Loop“ bekannt ist. Dieser Ansatz wird als „Human-in-the-Loop“ bezeichnet. Er gewährleistet Genauigkeit, Verantwortlichkeit und kontinuierliche Verbesserung, da der menschliche Input dem KI-Modell hilft, seine Entscheidungsfindung durch Verstärkungslernen mit menschlichem Feedback zu verfeinern. Dieser Prozess des menschlichen Feedbacks ähnelt der Art und Weise, wie fortgeschrittene Systeme wie ChatGPT trainiert werden.

Ein gewisses Maß an zentralisierter KI-Expertise ist besonders wertvoll, um kleine Unternehmen bei der Auswahl von Problemen, Datenerfassungsstrategien und Anbieterpartnerschaften zu unterstützen.

In Österreich liegt die Misserfolgsquote von KI-Projekten in der Produktion bei weit über 70 Prozent. Welche Strategien empfehlen Sie Unternehmen, um KI-Lösungen nicht nur zu pilotieren, sondern auch erfolgreich und nachhaltig zu skalieren?

Lawler: Unsere Forschung in Zusammenarbeit mit McKinsey hat eine Reihe von kritischen Praktiken identifiziert, die erfolgreiche KI-Anwender auszeichnen. Wie in unserem kürzlich in der Harvard Business Review erschienenen Artikel "What Companies Succeeding with AI Do Differently" dargelegt, sind vier Faktoren von zentraler Bedeutung: starke Unterstützung auf CEO-Ebene, rigorose Datenerhebungspraktiken, zentralisierte KI-Expertise und strategische Partnerschaften mit etablierten Anbietern. Ein gewisses Maß an zentralisierter KI-Expertise ist besonders wertvoll, um kleine Unternehmen bei der Auswahl von Problemen, Datenerfassungsstrategien und Anbieterpartnerschaften zu unterstützen. Allerdings ist es für kleine Unternehmen schwierig, KI-Experten zu gewinnen und zu halten. Größere Unternehmen profitieren darüber hinaus von zentralen Organisationen, die standardisierte Prozesse und maßgeschneiderte Lösungen entwickeln, die von spezialisierten zentralen KI-Teams erarbeitet werden.

Welche aktuellen Trends in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Industrie 4.0 sind für Sie wegweisend und wie werden sie in zukünftige Projekte einfließen?

Lawler: Die grundlegendste Veränderung in den letzten Jahren war das Aufkommen großer Sprachmodelle. Obwohl viele Verbraucher LLMs wie Chat GPT verwenden, haben nur sehr wenige Unternehmen diese Fähigkeit genutzt. In der Vergangenheit hat maschinelles Lernen nur aus Daten gelernt. Mit LLMs können wir sowohl auf Daten als auch auf Sprache lernen und Entscheidungen auf der Grundlage von beidem treffen. Ich habe nur sehr wenige Beispiele in der Praxis gesehen, aber es ist ein offensichtlicher nächster Schritt, und die Leute fragen danach. Ich habe mit Unternehmen über einen Wartungsassistenten gesprochen, der nicht nur alle Wartungshandbücher liest und alle Trouble Tickets aufnimmt, sondern auch Sensordaten in Echtzeit sehen kann. All das würde helfen zu erkennen, was schief gehen könnte oder bald schief gehen wird.

MIT Europe Conference

Wie in Zukunft produziert wird, ist eine Schlüsselfrage für das Industrieland Österreich. Antworten darauf geben Forscher vom renommierten Massachusetts Institute of Technology bei der MIT Europe Conference 2025 in Wien. Die zweitägige Konferenz findet am 26. und 27. März in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) statt.

Bei der MIT Europe Conference am 26. und 27. März 2025 in der WKÖ werden einige der weltbesten Köpfe des Massachusetts Institute of Technology (MIT) Einblicke in ihre Forschung teilen und den Teilnehmer:innen wertvolle Erkenntnisse und Denkanstöße für den Industrie-Turnaround geben.

Weitere Informationen und Anmeldung: MIT Europe Conference

Europa hat bei der Entwicklung und Anwendung von KI ethische Überlegungen und Verantwortung in den Vordergrund gestellt. Ist dies ein Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA oder China?

Lawler: Ethische und datenschutzrechtliche Erwägungen sind wesentliche Bestandteile der Implementierung von KI. In der Produktion und im Betrieb, wo die Daten in erster Linie von Maschinen und nicht von Menschen stammen, geht es bei ethischen Fragen oft darum, angesichts der zunehmenden Automatisierung einen fairen und respektvollen Umgang mit den Beschäftigten zu gewährleisten. Angesichts des akuten Arbeitskräftemangels in Europa wird die verantwortungsvolle Automatisierung von sich wiederholenden, langweiligen Tätigkeiten im Allgemeinen positiv gesehen, da dadurch Arbeitskräfte für qualifiziertere und engagiertere Aufgaben freigesetzt werden.

Auf der MIT Europe Conference werden Sie über die Nutzung von KI und Analytik für Wettbewerbsvorteile in der Fertigung sprechen. Was sind die wichtigsten Punkte, die Fertigungsunternehmen bei der Nutzung ihrer Daten beachten sollten?

Lawler: Fertigungsunternehmen sollten der zielgerichteten Datenerfassung Priorität einräumen und dabei auf Relevanz und Qualität achten, nicht nur auf das Volumen. Sammeln Sie keine Daten um der Daten willen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Daten, die nicht verwendet werden, oft in irgendeiner Weise beschädigt sind. Vielleicht sind die Zeitstempel falsch, ein Sensor ist nicht richtig kalibriert oder es gibt Lücken in den Daten. Sammeln Sie daher nur die Daten, die Sie auch verwenden wollen. Eine umfassende, durchgängige Datenerfassung über Arbeitsabläufe oder Montagelinien hinweg ermöglicht eine sinnvolle Automatisierung und kontinuierliche Verbesserung. Die Daten müssen über einheitliche Zeitstempel oder Seriennummern miteinander verknüpft werden, um die Prozessvariablen genau mit den Ergebnissen korrelieren zu können. Darüber hinaus ergeben sich Skaleneffekte: Eine breitere und konsistentere Datenerfassung über Prozesse hinweg verbessert die Analysemöglichkeiten erheblich, da ein Prozess mit einem anderen und mit den Ergebnissen in Beziehung gesetzt werden kann. Und schließlich ist die Cloud-basierte Datenspeicherung von entscheidender Bedeutung, da sie Flexibilität, erweiterte Analysefunktionen und eine einfachere Datenintegration bietet - ein zunehmend wichtiger Faktor für Wettbewerbsvorteile.