Meinung : Kollaborative Robotik - Raus aus dem Käfig

Es ist ein paar Jahre her, dass ich bei einer Management-Konferenz bei einem großen, ursprünglich deutschen Roboterhersteller anwesend war. Eine Riege hochbezahlter und eigentlich intelligenter Menschen sinnierte darüber, wie man Mitarbeitende am besten vollständig durch Robotik ersetzen könne. Schließlich wollen Maschinen keinen Urlaub, werden nicht krank und stellen keine vermeintlich dummen Fragen. Die „Dark Factory“ ist noch immer der große Traum vieler Manager:innen.

(Lesen Sie auch: Cobots: Gut vermarktet, schlecht verwendet?)

Dumme Fragen gibt es nicht

Die heutige Zeit ist von mehr Veränderungen geprägt als die 20 Jahre davor. Das bedeutet für Unternehmen, dass sie viel schneller und strukturierter veränderungsfähig sein müssen. Dazu braucht es den Mut, Fehler zu machen und jede Menge Kreativität. Diese ist nötig, um rasch neue Ideen zu entwickeln, sie auszuprobieren und gegebenenfalls schnell daraus zu lernen. Und genau bei diesen Eigenschaften scheitern alle Roboter.

Wenn Sie auf die KI hoffen, müssen Sie noch einige Zeit warten, denn aktuelle KI-Systeme sind nicht in der Lage, die kreative Leistung von Menschen zu bringen. Wer also daran arbeitet, Mitarbeitende möglichst vollständig in der Prozesslandschaft durch Robotik zu ersetzen, vernichtet die eigene Veränderungsfähigkeit und damit die eigene unternehmerische Existenz.

Der Ansatz, Menschen durch Maschinen ersetzen zu wollen, war nicht nur ethisch schon immer verwerflich, er hat auch technisch nie funktioniert.
Mario Buchinger

Stärken nutzen, Schwächen verstehen

Die Kunst besteht darin, Mensch und Maschine gemeinsam das Richtige tun zu lassen. Physisch gibt es schon heute kollaborativ arbeitende Robotersysteme, bei denen beide gemeinsam wertschöpfend aktiv sind. Gewisse Dinge kann ein Roboter schneller und besser als jeder Mensch. Auch bei Aufgaben, die für Menschen weder gesund noch angenehm zu machen sind, hat die Maschine große Vorzüge. Es gibt aber auch viele Tätigkeiten, die ein Mensch weit stabiler und verfügbarer ausführt. Wer schon mal eine OEE-Analyse durchgeführt hat, kennt den Unterschied zwischen manuellen Arbeitsplätzen und automatisierten Abläufen. Hier findet man im manuellen Bereich 20 bis 30% höhere OEE-Werte. Es liegt also nahe, die Stärken richtig zu kombinieren.

Richtiges Rollenverständnis von Mensch und Roboter

Das Verständnis der Stärken und Schwächen sowie die besondere Fähigkeit von Menschen, durch kreative Leistungen Veränderungsfähigkeit zu entwickeln und voran zu bringen, muss die Industrie zu einer Revision des bisher häufig irrtümlichen Gedankens führen. Der Ansatz, Menschen durch Maschinen ersetzen zu wollen, war nicht nur ethisch schon immer verwerflich, er hat auch technisch nie funktioniert. Aber gerade vor dem Hintergrund der Wandelbarkeit von Unternehmen, der Produkte sowie der Prozesslandschaft, ist der antiquierte Rationalisierungsansatz für Unternehmen sogar richtig gefährlich.

(Lesen Sie auch: "Die Arbeit wird uns durch <br>KI-Einsatz nicht ausgehen")