Im Gespräch: Friedrich Bleicher : Duale Transformation: Vorteil oder Hürde im globalen Wettbewerb?

TU Wien

Univ.-Prof. DI Dr. Friedrich Bleicher ist gelernter Maschinenbauer und Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik und Photonische Technologien an der TU Wien.

- © TU Wien/Matthias Heisler

Diese Ausgabe des WPK steht im Zeichen der sogenannten dualen Transformation, also Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Wieso dieses Thema?

Friedrich Bleicher
: Der Begriff Industrie 4.0 leidet ja mittlerweile etwas an seiner Strahlkraft. Dennoch ist das Thema Digitalisierung in der Fertigung ein zentrales Thema, das uns noch die weiteren Jahre begleiten wird, wenn man das überhaupt zeitlich eingrenzen kann. In diese Thematik, die uns in den letzten zehn Jahren beschäftigt hat, kommt nun mehr und mehr das Umweltbewusstsein. Spätestens wenn man sich die Nachrichten ansieht, welche Wetterkapriolen es auf dem ganzen Globus gibt, muss sich die Menschheit intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen. Der Nachhaltigkeitsaspekt, insbesondere im Bereich der Energieversorgungssysteme für die Produktion, ist eine noch größere Herausforderung, als es die Digitalisierung darstellt. Wenn wir von der CO2-Neutralisierung der Produktion sprechen, dann wird deutlich, dass wir in Österreich beispielsweise einen signifikanten Beitrag zum nationalen CO2-Ausstoß leisten. Im Industriesektor beträgt dieser Anteil etwa ein Drittel. Da müssen wir uns bemühen, und in vielen Bereichen fehlt uns noch das Konzept dafür, wie wir vorgehen sollen. Kleine Schritte in diese Richtung sind wichtig, um Digitalisierung und Nachhaltigkeit gemeinsam anzugehen.

Eine grüne und digitale Produktion soll in der Idealvorstellung in Zukunft einen Wettbewerbsvorteil darstellen. Diese Pläne werden in der Industrie jedoch skeptisch gesehen, was diverse Studien zur Attraktivität des Produktionsstandorts Österreich belegen. Wurde hier die Rechnung ohne die Industrie gemacht?

Bleicher
: Die Attraktivität des Industriestandorts Österreich ist ein heikles Thema. In den letzten zwei, drei Jahren haben wir uns mit unserer Politik nichts Gutes getan. Die hohen Inflationswerte und die damit verbundenen Steigerungen in den Kollektivvertragsabschlüssen haben den Wirtschaftsstandort sehr unattraktiv gemacht. Hinzu kommt der Bürokratismus, der immer wieder kritisiert wird und die Attraktivität des Standorts negativ beeinflusst. Natürlich kann man den Unternehmen durch schnellere Verfahren entgegenkommen, um Bewilligungen zu erhalten. Aber die Umwelt spielt hier eine wesentliche Rolle. Wenn wir davon sprechen, dass eine grüne und digitale Produktion ein Wettbewerbsvorteil sein kann, dann bedeutet das, dass energie- und ressourceneffizientes Arbeiten zu einer höheren Effizienz führt. Wenn eine Maschine produktiv arbeitet und dabei minimalen Energie- und Ressourceneinsatz benötigt, dann ist das ein klarer Vorteil. Unternehmen, die sich schon jetzt mit diesen Themen auseinandersetzen, werden besser aufgestellt sein und von den globalen Märkten profitieren. Es gibt sicher noch Herausforderungen, aber langfristig gesehen, wird sich diese Denkweise durchsetzen und zu einer besseren Wettbewerbsfähigkeit führen.

Große Unternehmen können es sich nicht leisten, Rohstoffe unter fragwürdigen Bedingungen zu beziehen.

Europäische Unternehmen müssen immer mehr Standards erfüllen, um an den Wertschöpfungsnetzwerken teilnehmen zu können. Könnte das für uns ein Nachteil im globalen Wettbewerb sein?

Bleicher
: Natürlich, wenn man weniger Auflagen hat, ist es einfacher, im Wettbewerb mitzuhalten. Es gibt globale Unterschiede in den Spielregeln, sei es in den USA, China oder Europa. Diese Unterschiede führen zu einer Verzerrung des Wettbewerbs. In China oder in Ländern mit niedrigen Löhnen werden Umweltstandards oft ignoriert, aber ich glaube, dass dieser Weg nicht mehr lange funktionieren wird. Der Konsument wird bewusster und fordert ordentliche Standards ein. Wenn der digitale Produktpass und die Lieferkettenverantwortung von OEMs mehr und mehr an Bedeutung gewinnen, dann werden Unternehmen, die Umweltstandards nicht einhalten, Schwierigkeiten haben. Langfristig gesehen, wird sich das weltweit durchsetzen. Wir haben momentan einen Wettbewerbsnachteil, weil wir in Europa Vorreiter sind, aber ich bin überzeugt, dass sich das global angleichen wird. Große Unternehmen können es sich nicht leisten, Rohstoffe unter fragwürdigen Bedingungen zu beziehen. Diese Entwicklungen werden zu mehr Transparenz führen, und Standards werden global akzeptiert werden. Das wird dazu beitragen, dass der Wettbewerbsnachteil neutralisiert wird.

Die EU hat die digitale Dekade ausgerufen, mit dem Ziel, dass bis 2030 zwei Drittel aller Unternehmen fortschrittliche Technologien nutzen sollen. Österreich ist im EU-Vergleich jedoch weit abgeschlagen. Länder wie Finnland oder Dänemark haben diese Ziele bereits erreicht. Wie erklären Sie sich das?


Bleicher: Man könnte erwarten, dass Österreich auf Augenhöhe mit Ländern wie Dänemark oder Finnland liegt, allein schon aufgrund der ähnlichen Bevölkerungsgröße. Es hängt sicherlich mit der Unternehmensinfrastruktur zusammen. Wenn es keine klaren Vorgaben oder Förderungen in diese Richtung gibt, dann bleibt es dem Markt überlassen, sich selbst auszubalancieren. Bei den Digitalisierungszielen geht es um den Glasfaserausbau, die Nutzung digitaler Systeme in der Wertschöpfung und die Digitalisierung von Amtswegen. Wenn es keinen Plan gibt, geschieht alles zufällig. Und wenn es zufällig geschieht, dauert es eben länger.

Es ist fast skurril, dass wir einerseits vom Chip-Mangel sprechen, während andererseits Personal abgebaut wird.

Die drei Tage des WPK sind vollgepackt mit interessanten Vorträgen und Networking-Events. Was sind aus Ihrer Sicht die Highlights, die man auf keinen Fall verpassen sollte?

Bleicher
: Ich denke, dass der erste Tag besonders spannend wird, da es uns gelungen ist, hochrangige Persönlichkeiten aus der Industrie für Vorträge zu gewinnen. Es ist ein Mix aus verschiedenen Branchen, und es sollte gelingen, einen umfassenden Überblick zu geben, wohin die Reise in der Technologie geht. Es ist fast skurril, dass wir einerseits vom Chip-Mangel sprechen, während andererseits Personal abgebaut wird. Solche Widersprüche sind spannend zu beleuchten. Am ersten Tag werden wir die gesamte Wertschöpfungskette betrachten, vom Urformen über das Umformen bis hin zur Qualitätssicherung. Am zweiten Tag gehen wir dann ins Detail, mit speziellen Technologiethemen, die insbesondere Digitalisierung und Nachhaltigkeit betreffen. Den Abschluss bilden das Konferenzdinner und der Besuch des TEC-Labs, wo die Teilnehmer die Möglichkeit haben, sich auszutauschen und in einem entspannten Rahmen zu diskutieren.

Twin Transition in Manufacturing

In diesem Jahr ist es wieder soweit; unter dem zentralen Thema „Twin Transition in Manufacturing“ findet am 9. und 10. Oktober 2024
der 6. Wiener Produktionstechnik Kongress (WPK2024) statt. Hochkarätige Referentinnen und Referenten aus Industrie und Forschung berichten während der zweitägigen Konferenz über aktuelle Herausforderungen und innovative Technologien, die den Weg zu einer hocheffizienten, resilienten und nachhaltigen Fertigung eröffnen. Best-Practice-Beispiele zeigen, wie intelligente und zirkuläre Fertigungsansätze die duale Transformation beschleunigen. Nutzen Sie die Gelegenheit, neue Technologien und Konzepte mit internationalen Expertinnen und Experten zu diskutieren.

Weitere Informationen und Anmeldung: https://wpk.conf.tuwien.ac.at/

6. Wiener Produktionstechnik Kongress