Weckruf des 3D-Drucks : 3D-Druck als Problemlöser für gestörte Lieferketten?
FACTORY: Wie würden Sie aktuell den Erfolg der 3D-Druck-Technologie beurteilen? Ist der Hype nun vorbei?
Johannes Lutz: Ich denke, der Hype ist mittlerweile vorbei, wenn es um das Thema Prototyping geht. Jedoch der eigentliche Hype im Hinblick auf Betriebsmittel, Vorrichtungen sowie auch Endanwendungen, egal für welche Branche, der fängt erst jetzt so richtig an. Ich stelle fest, die Unternehmen wachen allmählich auf und entdecken die vielen Vorzüge des 3D-Drucks, auch für Nischenanwendungen. Die Technologie wird auch in dieser Hinsicht sehr erfolgreich sein, da es sich nicht zuletzt um eine Technologie mit vielen unterschiedlichen Verfahren handelt. Solche Möglichkeiten gibt es in anderen Technologiebereichen nicht.
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Können Sie dazu Anwendungen nennen?
Lutz: Ja, gerne. Beispielsweise für Vorrichtungen oder Greifwerkzeuge an Roboteranlagen lassen sich herkömmlich hergestellte Aluminiumwerkzeuge durch leichte, 3D-gedruckte Kunststoffalternativen ersetzen. Diese können eine ähnliche mechanische Leistung bieten, jedoch zu einem Bruchteil der Kosten und der Produktionszeit. Zudem gibt es viele High-End-Anwendungen im Bereich der Luft- und Raumfahrt, Medizintechnik und der Formel 1, wo der 3D-Druck schon lange eingesetzt wird. Das wissen viele Maschinenbauer leider nicht.
Warum gelang bisher noch nicht der ganz große Durchbruch?
Lutz: Das liegt vor allem auch daran, dass viele Maschinenbauer und gerade der Mittelstand auf Online-Präsenzen oder Messen meist nur Bauteile mit besonders komplexen Geometrien erleben, welche die Überlegenheit der Technologie demonstrieren sollen. Hinzu kommt, dass häufig dabei der Weg von einem Problem zur Lösung nicht aufgezeigt wird. Gleichzeitig spricht die Branche sehr gerne von Raketenteilen oder sonstigen hochkomplexen Bauteilen. Für einfachere Formen, so glauben dann die Anwender, gibt es keine Einsatzfelder.
Die 3D-Druck-Branche spricht gerne von hochkomplexen Bauteilen. Dadurch glauben die Anwender, es gäbe keine Einsatzfelder.Johannes Lutz
Dann handelt es sich eher um ein Kommunikationsproblem?
Lutz: Richtig, wir haben ein großes Kommunikationsproblem! Natürlich sind die Experten rund um den 3D-Druck alle Profis auf ihrem Gebiet, aber die Technologie wird meist nicht so kommuniziert, dass sie entsprechend verstanden werden kann. Wohlgemerkt: Wir haben ein Vermarktungsproblem, kein Technikproblem! Der Maschinenbau braucht jedoch meist einfache und leichte Teile, die einen zusätzlichen Nutzen liefern und wodurch ein Problem elegant gelöst werden kann.
Gehen viele Anwender von völlig falschen Voraussetzungen aus?
Lutz: Absolut. Es grassiert auch die Vorstellung, dass jedes Teil auf Knopfdruck in wenigen Stunden und ohne weitere Qualitätskontrollen komplett einbaufertig aus dem Drucker herauskommt. Das heißt, man muss jetzt nur noch in einen 3D-Drucker investieren und dann sind gleich alle Probleme in der Fertigung gelöst. Es handelt sich ja um eine revolutionäre Technologie, mit der alles möglich zu sein scheint.
Wie sieht dagegen die Realität aus?
Lutz: Es fällt Maschinen- und Anlagenbauern oftmals schon schwer, sich von dem Gedanken zu lösen, dass keine Späne fallen und das Bauteil nicht umgespannt werden muss. Zudem braucht es eine gewisse Zeit, sich daran zu gewöhnen, diese Offenheit in der Konstruktion eines Bauteils zu verstehen, nur den Kundennutzen und die Lösung der Aufgabe zu fokussieren und nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, wie das Bauteil dann hergestellt werden muss.
Es bedarf also einer grundlegend anderen Herangehensweise?
Lutz: In der Tat, da insbesondere auch viel Erfahrung für das richtige Verfahren und Material erforderlich ist. Die Hersteller verwenden leider auch unterschiedliche Bezeichnungen für die einzelnen Verfahren. Das macht es für Marktneulinge nicht einfacher. Darum verwundert es kaum, dass Maschinen- und Anlagenbauer, die sich für den Einsatz von 3D-Druck entschieden haben, meist nicht wissen, wo und womit sie anfangen sollen. Mit dem Ergebnis, dass auf Grund der Vielfalt an Möglichkeiten letztlich überhaupt keine Entscheidung getroffen wird. In der Regel werden auch keine Beratungsleistungen in Anspruch genommen.
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Meilensteine des 3D-Drucks
Die werkzeuglose additive Fertigung beschleunigt und verändert radikal die Art und Weise der Produktentwicklung als auch den Prototypenbau. Verglichen mit herkömmlichen Verfahren bietet sie schier unbegrenzte Freiheitsgrade, weil die Konstruktion die Fertigung bestimmt und nicht umgekehrt.
- 1980er Jahre: Entdeckung der wichtigsten Drucktechniken Obwohl die Technologie bereits in den 1970er Jahren entwickelt wurde, datieren die ersten Versuche mit einem schichtweisen Ansatz auf den Anfang der 1980er Jahre.
- 1990er Jahre: Die ersten 3D-Drucker-Hersteller und CAD-ToolsDie Entwicklung der additiven Fertigung schreitet nun schnell voran. Die ersten Hersteller von 3D-Druckern treten auf und neue Technologien werden perfektioniert und 3D-Modellierungs-Tools entwickelt.
- 2000er Jahre: 3D-Druck erhält MedienpräsenzDie erste 3D-gedruckte Niere. Nach einem weiteren Jahrzehnt konnte sie tatsächlich einem Patienten erfolgreich transplantiert werden.
- Die 2010er Jahre: Technologie wird sichtbar und weiterentwickeltDer 3D-Druck wurde zu einer attraktiven Prototyping- und Produktionstechnik und eröffnet viele neue Möglichkeiten. Immer mehr Unternehmen nutzen die Vorteile des kostengünstigen Prototypings.
- 2020er Jahre: Neue additive FertigungsmaterialienWeiterentwickelte, widerstandfähigere und stabilere Materialien ermöglichen es, Bauteile für sehr anspruchsvolle Branchen und Anwendungen zu erstellen.