Interview : Ruskowski: Roboter sind nicht Industrie 4.0
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Factory: Herr Ruskowski, bei Ihnen in der Smart Factory Kaiserslautern gibt es nur einen kleinen Roboter. Wenn Industrieanwender Messen besuchen, werden sie von Roboteranwendungen erschlagen und der Begriff Industrie 4.0 wird oft mit Robotern illustriert – warum sind Sie als Vordenker so sparsam unterwegs?
Martin Ruskowski: Roboter sind nicht Industrie 4.0. Sie beruhen auf mechatronischen Systemen aus den 70er Jahren. Das ist für mich noch Industrie 3.0. Eine intelligente Fabrik setzt darüber hinaus auf cyberphysische Systeme, in denen die Werkstücke und die Maschinen miteinander sprechen sowie den Warenfluss steuern, kontinuierlich optimieren und eine flexible Montage unabhängig vom Menschen oder Roboter ermöglichen. Der Roboter ist in dieser vernetzten Welt ein wichtiges Werkzeug, aber auch nicht mehr. Darum steht bei uns nur ein Roboter (lacht).
Trotzdem gibt es einen Hype in der Robotik. Jetzt hat auch der Steuerungsanbieter und Safety-Spezialist Pilz angekündigt, in den Markt um kollaborative Helfer einzutreten – überrascht Sie das?
Ruskowski: Nein, ich bin nicht überrascht und Ja, es existiert ein Hype bei kollaborativen Robotern. Franka Emika, Voith, Universal Robots, Kuka, ABB, Igus und eben auch Pilz sehen anscheinend einen Markt für ihre Produkte in der Industrie. Dazu kommen viele mehr, die ich vergessen habe, aber manche sind vom Markt auch wieder verschwunden.
Die Hersteller locken mit günstigen Preisen.
Ruskowski: Ja und Nein. Wenn Sie Mechanik und Software addieren, kommen Sie schnell auch auf rund 30.000 Euro pro Einheit. Dazu kommen noch Greifer und Werkzeuge. Die kleinen Roboter werden sicher Fleißaufgaben übernehmen, als dritte Hand des Werkers. Es geht hierbei nicht so sehr um einen Kostenvorteil, sondern es steht eher das Thema Arbeitskräftemangel für viele Unternehmen im Mittelpunkt.
Sie sehen also kleine Roboter kritisch?
Ruskowski: Überhaupt nicht, da haben Sie mich missverstanden. Ich sehe einen Markt, frage mich aber, ob der so groß ist, wie von vielen erhofft. Fakt ist: Durch die neuen Roboter ziehen neue Bedienoberflächen und Programmierungen in die Industrierobotik ein. Das begrüße ich sehr, denn der Werker muss in Zukunft den Roboter als dritte Hand selber bedienen und anleiten können.
Manche Roboterhersteller sehen auch das Handwerk als Markt – in der Goldschmiede beispielsweise.
Ruskowski: Ja, wir sind häufig zu sehr auf die Industrie fixiert und ich begrüße dieses „Out-of-the-Box“-Denken sehr, das ermutigt auch Studenten, Robotikunternehmen zu gründen. Universal Robots hat da sicher Pionierarbeit geleistet – vor allem bei den Themen Sicherheit und Arbeiten ohne Schutzzaun. Die meisten Unfälle passieren heute wegen falscher Programmierung und die sind zum Glück überschaubar. Die Roboter kommen aus den Zellen raus, sind aber langsam.
Das passt nicht zur Industrielogik.
Ruskowski: Doch. In Japan sind die Industrietakte kontinuierlich und verschleißoptimiert ausgelegt. Davon können wir uns in Deutschland und Europa sicher etwas abschauen.
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Japan ist das Land der Roboter – auch in der Pflege oder als Freund und Helfer im Alltag. Vor fünf Jahren bekamen auch Industrieroboter auf den Industriemessen Augen, Nase und Mund – der Trend ist vorbei. Warum?
Ruskowski: Der Industrieroboter ist kein Individuum, er ist ein Helfer. Er bleibt eine Maschine, die dem Menschen in der Produktion hilft. Wer anderes behauptet, der irrt.
Das müssen Sie jetzt sagen – zwecks Akzeptanz von Robotik.
Ruskowski: Nein. Der Hype um Künstliche Intelligenz (KI) in der Robotik kühlt langsam ab und das ist gut. Wir vom DFKI und viele andere namhaften Kollegen haben immer vor falschen Erwartungen an die Robotik gewarnt. Was der Roboter im Bereich KI kann, ist mit einer Kamera auf dem Arm Gegenstände oder Bauteile zu erkennen, Greifflächen zu identifizieren und dann zu reagieren. Aber das ist Hardware, die im Vorfeld durch Programmierung beeinflusst wurde. Das hat noch wenig mit neuronalen Netzen zu tun. Der viel zitierte Griff in die Kiste ist immer noch sehr mühsam und wenig industrietauglich. Und seien wir mal ehrlich: Ein Industrieroboter im Automobilwerk braucht keine ausgeklügelte KI, denn er muss vergleichsweise leichte Aufgaben übernehmen: Windschutzscheibe nehmen, hochheben und in das Auto einsetzen und zurück.
Haben die Roboterhersteller in den letzten Jahren also Trends verschlafen?
Ruskowski: Das würde ich nicht sagen. Auch die großen Anbieter wie KUKA mit dem LBR iiwa und dem neuen LBR iisy oder ABB mit dem Yumi tummeln sich im Markt der kollaborativen Roboter. Daneben haben Fanuc, ABB, Kuka oder Yaskawa aber auch ihre klassischen Roboter in vielen Details verbessert, haben sich dabei aber auch alle aneinander angenähert. Wettbewerber nutzen mittlerweile oft die gleichen Getriebe und Motoren. Es haben sich nur unterschiedliche Klassen herauskristallisiert. Diese Entwicklungen dürfen auch niemanden verwundern, denn Industrierobotik-Zellen müssen laut vieler Kundenanforderungen mindestens 12 Jahre laufen und in einigen Bereichen werden sogar 20 Jahre erwartet. Wir haben es also mit eher langen Investitions- und Innovationszyklen zu tun, die bei den großen Herstellern im Mittelpunkt stehen.
Das ist eine Chance für die kleinen Unternehmen.
Ruskowski: Ja, viele Innovationen, die wir heute auch in der Industrierobotik übernehmen, stammen von kleineren Anbietern, Ausgründungen oder Startups, die sich eine Nische für ihre Anwendungen suchen. Die großen Anbieter agieren zunächst in klassischen Märkten, adaptieren die neuen Technologien wie moderne Bedienoberflächen und müssen darunter ihre Komplexität verdecken.
Wird die Bedienoberfläche zum Verkaufsargument?
Ruskowski: Auf jeden Fall, in manchen Bereichen ist sie das sogar schon. Wenn der Werker in Zukunft mit dem Roboter noch mehr zusammenarbeitet, dann hat derjenige Roboterbauer die besten Karten, der eine Bedienoberfläche präsentiert, in der sich jeder Werker – mit und ohne Ausbildung – schnell zurechtfindet. Usability und User Experience gewinnen noch mehr an Bedeutung. Es geht um Prozesssicherheit, Zeitersparnis und Geld.
In der SPS-Welt verabschieden sich manche Hersteller langsam aber stetig von der IEC 61131 – verändert sich damit auch die Robotikprogrammierung?
Ruskowski: Plug and Play muss vor allem bei den neuen kollaborativen Robotern funktionieren. Wir wissen alle, dass Roboter nicht optimal programmiert sind und manche Roboterhersteller arbeiten an C++ oder an Sprachen wie strukturiertem Text. Aus meiner Sicht hat die IEC61131 eine wichtige Berechtigung, aber ich denke, wir erleben in der Robotik eine ähnliche Entwicklung wie bei den Werkzeugmaschinen, wo sich SPS und CNC bereits angenähert haben.
Also G-Code für den Roboter?
Ruskowski: Warum nicht? Auch SPS und Robotik bewegen sich aufeinander zu. PLC open ist das Stichwort. In Zukunft ist die Ablaufsprache grafisch und die Bilderkennung läuft in Hochsprache unter C++. Wir müssen in Containern denken: Roboter, SPS, Werkzeugmaschine und eine Gatewayfunktion. Die heutigen Industrie-PCs bieten hierfür leistungsfähige Plattformen, auf denen sich die Idee des Edge Computing bereits heute umsetzen lässt. Und weil wir in Österreich sind, muss ich ein Lob für B&R und Keba aussprechen, die beim Zusammenspiel von Robotik und SPS heute schon sehr weit sind.
Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Robert Weber.
Wer ist Martin Ruskowski?
Zur Person: Prof. Dr.-Ing. Martin Ruskowski ist Inhaber des Lehrstuhls für Werkzeugmaschinen und Steuerungen an der TU Kaiserslautern und Forschungsbereichsleiter Innovative Fabriksysteme am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Seine Forschungsschwerpunkte sind Industrieroboter als Werkzeugmaschinen, Künstliche Intelligenz in der Automatisierungstechnik sowie neuartige Steuerungskonzepte für die Automatisierung. Zuvor hatte er mehrere Führungspositionen in der Industrie inne, zuletzt als Leiter „Research & Development“ bei in der KUKA Industries Group.