Interview
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Lenze-Geschäftsführer:
"Jeder sitzt im eigenen Käfig"
Österreich und die Automatisierung: Sind wir Vorreiter oder Nachzügler?
Es ist ein falscher Ansatz zu fragen, wer bei der Automatisierung Vorreiter ist, wer hinterherhinkt oder welche Branchen mehr und welche weniger automatisierungsaffin sind. Automatisierung ist kein Selbstzweck. Daher ist nicht zwingend das Land oder das Unternehmen mit dem höchsten Automatisierungsgrad das Beste, sondern dasjenige, das aus seiner Automatisierung - egal wie tief oder wenig tief sie gehen mag - den größten Nutzen ziehen kann. Sehr oft besteht dieser Nutzen zum Beispiel in einer Lohnkostensenkung und Qualitätssicherung.
Was davon treibt Unternehmen bei ihren Automatisierungsplänen stärker an?
Beide Faktoren sind wichtig. Ich denke, dass in Summe der Kostenfaktor die größere Bedeutung hat. Qualität ist in Österreich meist ohnehin vorhanden. Überall dort, wo die Kunden österreichischen Zulieferern aber Vorgaben zur Qualitätssicherung machen, ist auch das ein Punkt, der die Automatisierung antreibt.
Am Beginn der Automatisierungswelle gab es ja sogar die Hoffnung, man könnte auf diese Weise verlorene Produktion wieder nach Europa zurückholen. Was sagen Sie zu dieser Erwartung heute?
Schon als diese Hoffnung ausgesprochen wurde, war klar, dass sie sich bestenfalls in einigen Nischen erfüllen wird. Die Pandemie hat zwar die Grenzen der Globalisierung gezeigt und dazu geführt, dass man bei überlebenswichtigen Gütern wieder darüber nachdenkt, sie in Europa zu produzieren, bei Konsumgütern sehe ich diese Entwicklung jedoch nicht. Auch die Supply Chains sind ohne Zweifel unsicherer geworden. Die USA riefen lange laut „America first“. China ruft nicht so laut, handelt aber auch nach der Devise „China first.“ Als globaler Konzern merken wir das bei Lenze natürlich.
Welche Rolle spielt Lenze Österreich in diesem globalen Konzert, pardon: Konzern.
Konzert gefällt mir als Dirigent und Musiker sehr gut. Es ist tatsächlich ein globales Konzert, in dem wir als Lenze Österreich mitspielen und wir spielen oft genug die erste Geige oder haben zumindest zentrale Partien. Auf der Vertriebsseite sind wir nach Deutschland die zweitgrößte Einheit im Konzern. Wir betreuen von Österreich aus auch die Länder Mittelosteuropas. Österreich ist zwar für unseren Vertrieb nach wie vor der größte Markt, die Staaten Osteuropas holen auf. Schließlich ist nach der Öffnung Osteuropas viel Produktion dorthin abgewandert und auch die wird inzwischen immer stärker automatisiert. Auf der Produktions- und Entwicklungsseite ist der österreichische Standort Asten ein wichtiger konzernweiter Taktgeber in Sachen Digitaler Zwilling und virtuelle 3D-Modelle.
Stimmt mein Eindruck, dass es um Virtual Reality und ihre 3D-Modelle inzwischen etwas ruhiger geworden ist? Vor drei, vier Jahren war das ja ein regelrechter Hype.
Ja, der Eindruck stimmt. Das liegt daran, dass virtuelle 3D-Darstellungen inzwischen in der Realität angekommen sind. Anders als bei einer völlig fiktiven Virtual Reality, etwa Computerspielen, die man ohnehin von Grund auf neu bauen muss, macht es nicht immer und nicht überall Sinn virtuelle 3D-Modelle zu implementieren. Auch hier geht es nicht um einen Wettbewerb, wer die meisten oder besten Virtual-Reality-Anwendungen hat, sondern darum, wie lässt sich daraus der beste Nutzen ziehen.
Das heißt, oft genügt ein Digitaler Zwilling, er muss nicht auch noch dreidimensional sein?
Genau! Viele Funktionen eines digitalen Zwillings lassen sich am Bildschirm abbilden oder in dem ich mit einem Tablet durch die Maschine gehe. Es gibt natürlich auch viele Anwendungen, bei denen Virtual Reality extrem hilfreich sein kann. Das ist überall dort der Fall, wo es darum geht Platzverhältnisse auszuloten, zum Beispiel Abstände zwischen dem Bediener einer Maschine und den einzelnen Bedienelementen. Wenn man solche Elemente ergonomisch ideal platzieren will, ist das eine sehr große Hilfe. Aber natürlich sind Virtual-Reality-Anwendungen relativ aufwendig. Deshalb nutzt man sie sehr selektiv. Ich glaube, das wird auch eine Zeit lang so bleiben.
Was wird dann das nächste große Ding in der Automatisierungswelt sein?
Ich habe keine Glaskugel, vieles spricht jedoch dafür, dass die nächsten großen Umwälzungen weniger die Technik, sondern viel stärker die Geschäftsmodelle betreffen werden. Meiner Ansicht nach, wird es bei Automatisierungslösungen in Zukunft ähnlich sein wie schon jetzt bei Apps und Appstores. In Zukunft werden sich Konstrukteure Automatisierungslösungen für verschiedene Fragestellungen von einer Plattform holen können, im Open-Source-Format, so dass sie in jede beliebige Umgebung integrierbar sind. Und wie heute bei Apps, wird es für jede wichtigere Fragestellung Lösungen mehrerer Anbieter geben. Bemühungen, in der Automatisierung, Normen zu implementieren, die das Einbinden von Produkten unterschiedlicher Anbieter in ein Projekt erleichtern, gibt es ja schon seit einigen Jahren. Trotzdem sitzen alle nach wie vor in ihren eigenen Käfigen, jeder arbeitet in seinen eigenen Systemen. Auf Dauer ist das hinderlich, da es den Austausch und die Weiterentwicklung behindert.
Das große Problem mit Open-Source-Plattformen ist allerdings: Kein großer Anbieter will der erste sein, der seine Lösungen auf diese Weise anbietet.
Klar, das hat ja auch mit Marktdurchdringung zu tun. Wenn ich eine große Marktdurchdringung habe, ist eine Plattform wenig reizvoll. Habe ich eine geringe Durchdringung, ist sie hingegen eine Möglichkeit, an neue Kunden zu kommen. In dem Moment, und der Moment ist ja eigentlich schon da, wo sich das Geschäftsmodell vom reinen Produktverkauf hin zur Dienstleistung über den gesamten Produktzyklus wandelt, ändern sich die Prioritäten. Wenn mein Gewinn gar nicht mehr davon kommt, eine Maschine zu verkaufen, sondern sie beim Kunden zu betreiben, ist jede Maschine, jede Lösung mehr, die ich in den Markt bringe wichtig. Der Weg, auf dem das passiert, hingegen nicht mehr so sehr. Das wird der Plattform-Ökonomie den Weg ebnen.
Im Moment hat Lenze aber offenbar noch eine zu große Marktdurchdringung, um auf Open-Source und Plattform-Ökonomie zu setzen.
Dazu will ich jetzt gar nicht viel sagen, sonst könnte ich zu viel verraten. Aber beobachten Sie das Geschehen in den nächsten Monaten genau, dann werden Sie sehen, in welche Richtung wir gehen wollen.
Eine Jubiläumsfrage zum Schluss darf nicht fehlen: Lenze Österreich gibt es seit 50 Jahren. Was kommt in den nächsten 50 Jahren?
Viele Kunden, die uns noch aus der Zeit kennen - da Lenze vor allem als ein Spezialist für Antriebstechnik bekannt war - sind mit uns den Weg in die Automatisierungswelt gegangen. Manche von ihnen begleiten wir seit Jahrzehnten. Wie auch immer die Technik der Zukunft konkret aussehen wird: Lenze will weiterhin ein Partner für dauerhafte, zuverlässige Zusammenarbeit sein.