Neue Geschäftsfelder : Wie Phoenix Contact und Schneider Electric mit 3D-Druck Geld machen wollen
Wer glaubt es sei ruhiger geworden in der 3D-Druck-Branche, der irrt. Nur der mediale Hype sei etwas abgeflacht, bemerkt auch Peter Leibinger. Der Trumpf-Vizechef hält an seinem Umsatz-Ziel fest: In fünf bis sieben Jahren rechnet er mit 500 Millionen Euro. 3D Druck werde „sich durchsetzen, aber nicht so disruptiv, dass es keine andere Verfahren mehr geben wird“, erklärte er auf der Fachmesse Formnext in Frankfurt. „Es brummt“, berichtet auch Gerd Witt, Professor an der Universität Duisburg. Die Leistungsschau in Frankfurt bestätigte ihn nur noch. Die ambitionierten Ziele von Peter Leibinger treffen aber auch auf Herausforderungen. Das Problem vieler Anbieter am Markt: Die Technologien sind sehr streng mit Patenten geschützt, Lizenzen sind teuer. Dazu kommt: Vielen klassischen Werkzeugmaschinenbauer fehlte oder fehlt bis heute das Personal. Eben jene Experten für additives Fertigen, die dank fehlendem Bildungsangebot besonders rar sind. Für Professor Witt stehen die Zeichen deshalb ganz klar auf Akquisition von Seiten der klassischen Werkzeugmaschinenbauern. Zukäufe allein werden aber die neuen Herausforderungen nicht lösen. Am Shopfloor fehlt es nämlich auch am Wissen um Prozesse, Hardware, Software und vor allem Automatisierung. Nur sie könnte dafür sorgen, dass 3D Druck für die Serienproduktion Sinn macht. Interessant, dass ausgerechnet Siemens sich hier als Vordenker positioniert, sind sie doch recht aktiv in der Arbeitsgruppe „Additive Manufacturing“ des Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Die Münchner wollen mitverdienen in diesem Billionen-Dollar-Markt, den sie schon kennen, der sich verändern wird und den sie definitiv mitgestalten wollen – eben mit Software und Automatisierung. Und damit sind sie nicht allein.
Auf Standardsuche
Auch Toni Schneider von Schneider Electric sieht das große Potential der 3D-Technologie und des additiven Fertigen für seine Branche. Wachstum aller orten. Schneider Electric gehört zu den Gründungsmitgliedern des Arbeitskreises Additive Manufacturing im VDMA. „3D-Druck hat bewiesen, dass dieses Produktionsverfahren auch industrielle Qualität hervorbringen kann. Was fehlt um in die Serienfertigung zu gehen sind Standards zu den Themen Materialkreislauf, Eingangsdatenbeschreibung, Fertigungsvorbereitung und Qualitätssicherung. Im VDMA arbeiten alle bekannten Automatisierer zusammen an diesen Standards mit dem Ziel Anfang 2018 bereits ein Dokument zu dem Thema zu veröffentlichen“, berichtet der Experte, der im Arbeitskreis immer häufiger über Datenformate und Druckerautomatisierung diskutiert. Denn, auch wenn viele Unternehmen von den Möglichkeiten der 3D-Druck-Technologie begeistert sind, die Einbindung der neuen Maschine in die Standardproduktion fällt vielen noch schwer. „Das ist unsere Aufgabe als Systemlieferant“, erklärt Schneider. Automatisierer hätten die Kompetenz beispielsweise Roboter für die Zuführung zu steuern, Pulver mit Messtechnik zu analysieren oder Achsen anzusteuern. „Der durchgängige Datenfluss von der CAD bis zur Qualitätssicherung existiert heute bereits bei Werkzeugmaschinen“, so Schneider. Das sollte auch Vorbild für den industriellen 3D-Druck sein.
Die Werkzeugmaschine also als Automatisierungsvorbild
Die Kompetenz, den Laserstrahl über Spiegel zu führen oder die Tropfengröße zu formen, sieht er nach wie vor bei den großen Herstellern. Schneider will aber rund um den Drucker automatisieren, will Granulate transportieren, will die Plattformen mit seinen Antrieben und Motion-Controllern positionieren, eine durchgehende Kommunikation vom CAD-System bis zum Roboter schwebt ihm und seinen Kollegen vor - allein Datenstandards fehlen, auch wenn einige Druckerhersteller und Siemens bereits daran arbeiten. „Wir können in Zukunft in 3D fertigen und brauchen dafür aber nur eine 2D CNC-Steuerung“, prophezeit Schneider. Die Werkzeugmaschine also als Automatisierungsvorbild? „Die digitale Prozesskette, die wir im Werkzeugbau geschaffen haben, müssen wir jetzt übertragen. Der digitale Zwilling ist auch im 3D-Druck entscheidend“, bestätigt Ralf Gärtner von Protiq, der ebenso wie Toni Schneider den G-Code aus der CNC-Programmierung als wohl gesetzte Sprache sieht. Entscheidend sei das Datenformat aus dem CAD-Programm bis zum Drucker, sind sich beide Experten einig, denn an ihm hängt die Automatisierung. Der Roboter muss beispielsweise wissen, welches Pulver er wann, an welcher Stelle zur Verfügung stellen muss oder wie er ein Produkt nachbearbeiten soll. Gärtner leitet Protiq, die jüngste Ausgründung von Phoenix Contact, ein Urgestein in der Atomatisierung. Protiq ist Dienstleister und produziert im Kundenauftrag. Vom Kundeninterface im Netz bis zum Drucker ist alles automatisiert. Nur den Bauraum muss ein Mitarbeiter freigeben, das fertige Produkt herausnehmen, nachbearbeiten und in den Versand geben. Noch. Denn Gärtner spricht bereits mit Roboterherstellern. Die Blomberger wollen Schnittstellen schaffen. „Nur dann könne wirtschaftlich additiv gefertigt werden“, so Gärtner. In Ostwestfalen lerne man nun mal beim Geldverdienen.
Arburg geht mit OPC UA entscheidenden Schritt weiter
Einen Schritt weiter sind schon die Kunststoffexperten von Arburg. Die Schwarzwälder profitieren von ihrer Erfahrung mit der Automatisierung von Prozessen rund um die Kunststoffspritzgießmaschinen. Für die additive Fertigung mit ihrem Freeformer-System bedienen sich die Entwickler an vorhandenen Schnittstellen. So ist der Freeformer mit einer an Euromap 67 angelehnten Schnittstelle ausgestattet, über die er mit dem Robot-System kommunizieren kann. Über das industrielle Echtzeit-Ethernet Varan ist das Robot-System an den Freeformer angebunden. Das Öffnen und Schließen der Bauraumtür sowie das Temperatur-Management erfolgen automatisch, den Bauteilträger passten die Entwickler ebenfalls an. Ein Kuka Sieben-Achs-Roboter iiwa übernimmt das Be- und Entladen des Bauraums. Der Roboter entnimmt je eine gedruckte Schere samt Werkstückträger vom Förderband der Spritzgießzelle. Mit seinem Greifer legt er diese nach dem Abscannen des DM-Codes sanft auf den Bauteilträger des Freeformers, in dem additiv ein individueller 3D-Schriftzug aufgebracht wird. Nach einer Inline-Qualitätskontrolle übergibt der Kuka-Roboter das fertige Produkt. Neben dem automatischen Be- und Entladen des Bauraums mit Einlegeteilen sind laut Arburg prinzipiell auch eine automatische Bestückung mit Grundplatten oder Reinigungszyklen realisierbar. Voraussetzung: eine offene und standardisierte Kommunikationsplattform. Arburg braucht einen Datenaustausch zwischen Maschinen, Werkzeugen, Werkstücken und logistischer Peripherie. Die Loßburger vertrauen seit 2010 deshalb auf OPC UA für den Datenaustausch zwischen den klassischen Spritzgießmaschinen und dem eigenentwickelten Leitrechnersystem ALS.
Steuerung generiert selbstständig Verarbeitungsdateien
Für das Daten-Standardisierungsproblem hat Arburg auch eine Lösung. Der Bediener muss beim Freeformer nur die STL-Dateien (3D-Drucker-Vorlagen) einlesen und das Material definieren. Die 3D-CAD-Daten werden an einem PC offline aufbereitet und eine spezielle Software erzeugt dabei durch Slicing die erforderlichen Fertigungsdaten. Daraus generiert die Steuerung selbstständig die Verarbeitungsdaten. Wie diese Software arbeitet, verrät Arburg nicht, ist sie doch der Schlüssel zwischen Daten und dem fertigen Bauteil.
Toni Schneider kennt das Arburg-Projekt - gemeinsam sitzt man im Arbeitskreis und diskutiert die Entwicklungen. Ob der 3D-Druck den Billionenmarkt verändert? „Die Branche kalkuliert mit Milliarden“, lacht Schneider. Und Professor Witt mahnt zu mehr Bildung: „Gussgerecht-Konstruieren – das können viele. Aber Additiv-gerecht konstruieren – da hapert es.“
Fazit vom Autor Robert Weber
Ist also additiv fertigen das wahre Industrie 4.0? Ja. Warum? Additiv fertigen bedeutet, neue Produkte zu entwickeln, neue Geschäftsmodelle zu testen, neue Werkstoffe und ihre Eigenschaften kennenzulernen, neue Hardware zu bedienen, konstruieren neu zu lernen und die Prozesskette zu automatisieren, zum Kunden zu vernetzen und zu digitalisieren. Komplexer geht es kaum. Und dafür braucht es neben dem Kollegen Roboter vor allem auch den Menschen, denn nur durch ihn entsteht der digitale Zwilling aus der Konstruktion. Und Charles Hull hat deshalb recht, wenn er „Einfallsreichtum und Weitsicht, Leidenschaft und Ausdauer“ fordert, denn das wird anstrengend für den Menschen und den industriellen Prozess.