Smarte Sensorik : Was die Industrie von der Smartwatch lernen kann

Close up of hand touching smartwatch with health app on the screen, gadget for fitness active lifestyle.

Die Industrie kann sich von der in der Smartwach verbauten Sensorik noch einiges abschauen. Sensornahe KI ist das Zauberwort in der Branche.

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„Wir versuchen möglichst nahe am Sensor eine objektive Bewertung der Qualität und des Informationsgehalts der Daten zu machen und dieses Ergebnis umgehend zu verwerten“, erklärte Dr. Norman Uhlmann, damals noch stv. Bereichsleiter des Fraunhofer EZRT in einem Fachbeitrag für die Fraunhofer Gesellschaft. In seinem Interview nennt Uhlmann mehrere Beispiele: „Im medizinischen Bereich, wenn es beispielsweise um Patientenüberwachung geht. Natürlich auch in der Produktion mit zerstörungsfreien Monitoringsystemen, wie beispielsweise CT-Anlagen zur Überwachung der Produktqualität. Das vermutlich anschaulichste Beispiel ist aber eine moderne Smartwatch, die den Puls abgreift: Obwohl wir nicht penibel genau darauf achten, dass die Uhr so eng es eben geht, anliegt, geben moderne Wearables dennoch valide Daten aus. Warum ist das so? Naja, die Uhr merkt mit einer gewissen Intelligenz, dass sich die Umgebungsbedingungen verändert haben, zum Beispiel, dass sie eben ein Stück weiter vom Handgelenk entfernt ist, und stimmt den eingebauten Sensor darauf ab. Nach einer gewissen Zeit pendeln sich die Messergebnisse dann wieder ein. Als Nutzer merkt man den Einsatz also gar nicht unbedingt. Wir merken nur: Das Gerät tut, was es soll.“

Wie man Sensoren vor Staub, Hitze und Feuchtigkeit schützt

Vor einigen Jahren war das Edge-Device in der Industrie in aller Munde, jetzt setzt die Forschung auf die Sensoren. Bernhard Müller, Mitglied der Geschäftsleitung bei Sick erklärte in einem Interview schon 2019: „Ziel ist es, mit Hilfe von KI den Sensor zu befähigen, seine Aufgabe in der jeweiligen Applikation noch besser zu lösen. Standardsensoren erledigen ihren Job bereits gut, aber wenn eine neue Aufgabe hinzukommt, dann stoßen die Sensoren an ihre Grenzen. Mit KI dagegen kann ein Sensor aus Erfahrungen lernen und antizipieren: Was ist das, was ich da sehe? So entsteht ein besserer Sensor, der auch Dinge erkennen kann, die er noch nie gesehen hat.“

Mit KI entsteht ein besserer Sensor, der auch Dinge erkennen kann, die er noch nie gesehen hat.
Bernhard Müller, Sick.

Chancen für Hardware aus Europa

Spannend an der Diskussion in der Sensorwelt: KI wird im europäischen Raum nicht nur aus einer Softwarebrille betrachtet, sondern auch die Hardware spielt eine wichtige Rolle. Während die Vordenker der Monetarisierung von KI aus dem Silicon Valley sehr stark die Cloud promoten und darüberliegende Services vermarkten wollen, erleben wir bei KI in der Industrie andere Herausforderungen als im E-Commerce oder auf Internetplattformen. Daten müssen anders gewonnen werden, müssen anders transportiert, ausgewertet und genutzt werden. Deshalb ist KI in der Industrie nicht nur eine Chance für Softwareentwicklung made in Europe, sondern vor allem auch ein Thema für die Mikroelektronik.

Wenn Sensorsysteme selbst lernen

Sie, kombiniert mit Sensorik und eingebetteter Software, erfasst und verarbeitet Prozessdaten in Industrieanlagen. Dies ermöglicht die Digitalisierung von Produktionsprozessen und Betriebsabläufen in der Industrie 4.0. Heute verfügbare Elektroniksysteme zur Datenerfassung und Signalverarbeitung sind jedoch für diesen Anwendungsbereich nicht optimiert und folglich im Vergleich zu den zu überwachenden Komponenten teuer.

Insbesondere Signalprozessoren (DSP) oder programmierbare Logik (FPGA), die für den Einsatz von universellen KI-Algorithmen geeignet sind, übersteigen den Preis, aber auch den Platz- und Energiebedarf vieler heutiger in der Industrie 4.0 üblicher Sensoren, sodass ein Eins-zu-eins-Ersatz bestehender Sensorik zur Digitalisierung von Prozessen nicht funktioniert, erklären Expertinnen und Experten des Projekt KI-Predict.

Die Uhr merkt mit einer gewissen Intelligenz, dass sich die Umgebungsbedingungen verändert haben und stimmt den eingebauten Sensor darauf ab.
Norman Uhlmann, Bereichsleiter des Fraunhofer EZRT.

Das geförderte Forschungsprojekt KI-Predict adressiert genau dieses Problem in einem ganzheitlichen Ansatz, heißt es bei den Verantwortlichen. Die Kombination neuer KI-Methoden mit dazu optimierter, integrierter Hardware ermöglicht eine intelligente Prozessüberwachung mit direkter Signalverarbeitung und Feature-Extraktion am Ort des Geschehens. Diese neue Qualität der Datenverarbeitung direkt am Sensor ermöglicht eine sichere, dezentrale Analyse- und Prognosefähigkeit mit gleichzeitig definierter und geringer Latenz, versprechen die Initiatoren. Geld gibt es von der Deutschen Bundesregierung. Die Entwickler planen eine miteinander verzahnte Hard- und Softwarearchitektur, die zum einen den Fokus auf sensornahe Datenfusion, Datenreduktion und Datenauswertung legt und zum anderen fehlerhafte Sensoren durch das Interpretieren von Anomalien erkennt. So werden beispielsweise neben üblichen Funktionen, wie etwa der digitalen Erfassung von Strom, Position, Vibration, Akustik, Druck, Kraft und Temperatur, vor allem Funktionalitäten für maschinelles Lernen (ML) bereitgestellt, wodurch eine dezentrale Datenverarbeitung und -reduktion ermöglicht wird.

Das Interface ist insbesondere in der Lage, energieeffizient Merkmale auch in hochfrequenten Sensorsignalen zu erkennen und diese entweder auf Steuerungsebene als Basis für die Sensordatenfusion zur Verfügung zu stellen oder direkt für die Klassifikation, das Clustering oder die Anomaliedetektion zu nutzen.

Daten schneller verarbeiten

Dr. Matthias Völker von Fraunhofer IIS verdeutlicht in einem Interview noch einmal den Industriebezug: „In dem Projekt entwickeln wir eine integrierte Schaltung, bei der sowohl die analoge Schnittstelle, d.h. die Verbindung direkt zum Sensor, als auch eine digitale Auswertung mit KI-Funktionen integriert sind. Diese Auswertung ist dann auf die Anwendungen, die im Projekt betrachtet werden, angepasst. Durch diese anwendungsspezifische integrierte Schaltung können wir Daten schneller verarbeiten, als es mit einem Standard-Mikrokontroller möglich wäre. So können klassische Industriebusse, die den Sensor mit der Steuerung verbinden, zum Einsatz kommen. Diese Busse lassen nur relativ geringe Datenraten zu. Sie übertragen dann nicht nur die Messdaten, sondern auch die Zusatzinformationen, die man durch die KI gewinnt, wie beispielsweise Informationen über den Sensorzustand oder über den Zustand des Werkstücks. Damit werden die klassischen Industriebusse mit neuen Funktionen erweitert. Diese Erweiterung und Integration ist das Ziel des Projektes.“

Messeausblick SENSOR+TEST 2022