Sicherheit : Wie schafft man Brandschutz in der Produktion?
Die Waldviertler Kleinstadt Gmünd bietet ein hübsches Schloss, mehrere Kirchen, ein Sole-Felsen-Bad – und neuerdings ein Glasfaser-Preform-Werk, in dem eines der reinsten Gläser der Welt erzeugt wird. Rund 50 Millionen Euro hat NBG Fiber hier investiert, erzeugt wird „Preform“, also Rohmasse für Glasfaser. Aus jedem der hier entstehenden 80-Kilogramm-Kolben können rund 2.500 Kilometer Glasfaser gezogen werden. Um den erforderlichen Reinheitsgrad für einen Glasfaser-Lichtwellenleiter zu erreichen, wird in einem nahezu partikelfreien Reinraum unter enormer Hitze und Verwendung unterschiedlicher Chemikalien und Gase gearbeitet.
Zum Werk von NBG Fiber gehören neben Büroräumlichkeiten zudem ein Gasflaschenlager, ein Chemikalienlager und ein Gaselager mit vier Tanks. Brennen sollte es hier also nicht unbedingt.
Das Herz industriellen Wirtschaftens
„Die Produktion ist in der Industrie der heikelste Bereich, den man schützen muss“, sagt Werner Hoyer-Weber, „sie ist das Herz des industriellen Wirtschaftens. Wenn die Produktion stillsteht, kann dies das Ende eines Unternehmens bedeuten.“ Der Brandschutzexperte ist Chef des Wiener Ingenieurbüros Hoyer Brandschutz, das die entsprechenden Einrichtungen im Werk von NBG Fiber geplant hat.
Zu Lieferverzögerungen und dem Verlust teurer Maschinen kommt bei hochspezialisierten Produktionen im Brandfall eine weitere Gefahr: Die Maschinen sind meist nicht sofort verfügbar, Bestellzeiten können in die Jahre gehen. Vor allem auch, wenn die Hersteller der Maschinen ein Alleinstellungsmerkmal haben. Den Brandschutz für solche Werke zu planen, verlangt daher nach intensiver Kooperation mit Behörden, Bauherren und Versicherern.
Voneinander lernen
Und diese Kooperation ist vielschichtig. Vor allem, da es Brandschutz bei einem Bauvorhaben wie diesem nicht von der Stange gibt. Die Bauordnung definiert gewisse Schutzziele für Menschen, benachbarte Gebäude und die Umwelt. Auch dafür, wie diese erreicht werden, gibt es Vorgaben – doch es obliegt der Argumentation der Planer, wie weit sie von den Vorgaben abweichen können, wenn sie mit anderen Maßnahmen die gleichen Ziele erreichen. Das Placet der Behörde ist also immer Folge einer Einzelfallbetrachtung. Im Falle des Werks von NBG Fiber, erzählt Werner Hoyer-Weber, mussten sein Team und auch die Behörde selbst hinzulernen, „hier wurden zum Teil Anforderungen gestellt, die wir selbst erst verstehen mussten“.
Ein Verständnis, das nur durch intensiven Austausch mit dem Bauherrn entsteht, der die Produktionsabläufe am besten kennt. Wobei der Bauherr dem Brandschutzplaner einen Teil der Arbeit abnimmt: Prozesse wie im Werk in Gmünd laufen bei bis zu 1.500 Grad Celsius ab, und diese Prozesse müssen per se sicher sein, also geprüft und zertifiziert.
Dritter Ansprechpartner des Brandschutzes ist die Versicherung, die vor allem bei Produktionsbetrieben sehr frühzeitig mit im Boot sitzt. Und die natürlich jeden Stein umdreht. „Unter gewissen Voraussetzungen verweigern Versicherer die Versicherbarkeit des Unternehmens tatsächlich“, sagt Hoyer-Weber. „Vor rund 15 Jahren hat das die Holzwirtschaft erlebt, und derzeit gibt es einige Fälle in der Abfallwirtschaft, da vor allem Lithium-Ionen-Batterien im Hausmüll Probleme bereiten.“
Die Argusaugen der Versicherer sind gleichzeitig ein Argument, das der Brandschutzexperte einsetzt, wenn es um den Kostenaspekt im Brandschutz geht. Zwar gibt es im Gegensatz zu Deutschland in Österreich keine definierten Rabattierungs-Stufen für Brandschutz-Versicherer – „doch selbstverständlich kann man mit den Versicherungen reden, wenn man hier ordentlich investiert. Womit sich besserer Brandschutz amortisieren kann.“
Viele parallele Maßnahmen
Eine zentrale Herausforderung stellte in Gmünd der rund 1.100 m2 große Reinraum dar. Angesichts des extrem heißen zähflüssigen Glases kommt Löschen mit Wasser hier nicht infrage, da die Folge explosionsartige Verdampfung wäre. Der ursprüngliche Ansatz die Produktion mit einer CO2-Gaslöschanlage auszustatten, wurde nach Abstimmung mit den Maschinenherstellern verworfen. Die bis zu 16 Meter hohen Maschinen im Reinraum sind mit einer Stickstoff-Inertisierung versehen. Sie stellen keine Brandlast dar und werden im Brandfall nach Auslösen der vollautomatischen Brandmeldeanlage über die Brandfallsteuerung gesichert abgeschaltet. Als brennbare Komponenten bleiben also nur die elektrischen Verkabelungen oder der Schaltschrank übrig. Statt der CO2-Gaslöschanlage wurden der Feuerwehr im Produktionsbereich fahrbare CO2-Feuerlöscher und ein fahrbarer Schaumlöscher zur Verfügung gestellt.
Von der Gebäudehülle ist der Reinraum durch einen Hohlraum getrennt, in dem brennbare Leitungen verlaufen – für Einsatzkräfte unzumutbar, in diesem Bereich mit 20 Metern Höhe einen Löscheinsatz durchzuführen. Hier wurde zur Unterstützung der Feuerwehr eine Feinsprühwasserlöschanlage installiert, die auch Areale erreicht, die in denen es zu Sprühbehinderungen kommen kann. Die winzigen Wassertropfen der Feinsprühanlage haben eine größere Oberfläche und können mehr Wärme binden als die wesentlich größeren Tropfen einer Sprinkleranlage.
Gasflaschen- und Chemikalienlager wurden als eigene Brandabschnitte definiert und baulich zu den anderen Gebäuden getrennt. Der Bereich wird von einer halbstationären Schaumlöschanlage geschützt. Die vier Tanks des Gaselagers wurden mit einer Berieselungsanlage ausgestattet, die über die Feinsprühwasserlöschanlage mitversorgt wird. Die Berieselungsanlage sorgt für eine ständige Kühlung des Tankmantels, was die Brandgefahr auf ein Minimum reduziert. Ausgelöst wird die Anlage durch Infrarot-Flammenmelder.
Wer ist wann an welchem Ort?
Ein Faktor in Produktionsbetrieben spielt den Planern in die Hände: Hier arbeiten Menschen, die ortskundig sind, die sich sehr schnell orientieren können. Ihnen kann also zugetraut werden, sich im Ernstfall rasch zu bewegen, wo Ortskundige überfordert wären. „Die Frage, welche Personengruppen sich zu welchem Zeitpunkt im Gebäude befinden, ist für uns essenziell“, sagt Hoyer-Weber, „wenn etwa in der Produktion Tage der Offenen Türe angeboten werden, kommen wir in den Bereich des organisatorischen Brandschutzes – Ortsfremde müssen dann also immer begleitet werden.“
Ein erschwerendes Spezifikum hingegen ist der Lärm. In Produktionsbetrieben wird auch mit Gehörschutz gearbeitet – eine Sirene kann also überhört werden, und man muss Alternativen wie optische Warnsignale implementieren.
Heikler Punkt Produktionsstopp
Eine besondere Herausforderung stellt die Brandfallsteuerung dar. Während etwa in Logistikhallen im Mittelpunkt steht, den Menschen möglichst schnelle Flucht zu ermöglichen, muss in Produktionsbetrieben bisweilen in den Produktionsprozess eingegriffen werden. Maschinen werden gestoppt, Fördereinrichtungen geschlossen. Dieser Punkt, erzählt Werner Hoyer-Weber, ist einer der in der Konzeptionierung am intensivsten diskutierten. Ein Produktionsstopp kann sehr schnell sehr teuer werden.
„Brandschutzplanung“, sagt Hoyer-Weber, „ist Handwerk plus Kreativarbeit. Ich habe gewissermaßen einen Bauchladen voller etablierter Maßnahmen und versuche in jedem einzelnen Fall von neuem, die Wirksamkeit der Maßnahmen und auch die Wirtschaftlichkeit zu planen.“ Beim Brandschutz zu sparen, könne sich jedenfalls als die am wenigsten wirtschaftliche Variante erweisen.