PARLAMENTSWAHL IN NORWEGEN : Wie Norwegen zum Gradmesser der Digitalisierung wird
Norwegen hat gewählt und es hat sich wenig verändert - auf den ersten Blick. Das vorhergesagte Kopf-an-Kopf-Rennen hat die konservative „blau-blaue“ Koalition aus konservativer Rechte (Høyre) und rechtspopulistischer Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet) trotz leichter Verluste für sich entschieden. Die bisherige Regierungschefin Erna Solberg will die Minderheitsregierung aus ihrer konservativen Høyre und der rechtspopulistischen Fortschrittspartei weiterführen. Wie in den vergangenen vier Jahren setzt sie dabei auf die Zusammenarbeit und Duldung der Christdemokraten (KrF) und der Liberalen (Venstre). Ob dies allerdings eine Strategie ist, die stabile Verhältnisse garantiert, muss sich noch zeigen. Und beim Stichwort Digitalisierung und Industrie 4.0 ist Interessantes zu beobachten.
Was fiel auf?
Angesichts des Wahlausganges ist zu konstatieren, dass die Regierungsstrategie zur wirtschaftlichen Entwicklung mit Industrie 4.0 auch weiterhin gültig ist. Die Digitalisierung und Transformation sind weiterhin Ziele und gleichzeitig Herausforderungen der Politik. Im Vorfeld der Wahl hatten aber auch zwei Randnotizen aufhorchen lassen. Einerseits hatte die norwegische Nachrichtenagentur NTB angekündigt, erstmals Algorithmen bei der Erstellung von Wahlmeldungen zu nutzen. Der Chefredakteur von NTB, Mads Yngve Storvik, argumentierte, so mehr Kapazitäten für Qualitätsjournalismus zur Verfügung zu haben. Die Texte würden aber vor Erscheinen von erfahrenen Redaktionsmitgliedern geprüft. Die zweite Digitalmeldung betraf die Auszählung der Stimmen. Hier hatte sich die Regierung entschlossen eine Handauszählung der Stimmen anzuordnen, um mögliche Hackermanipulationen vermeiden zu können.
Was ist politisch geschehen?
Die noch zu Beginn des Jahres erwartete Sensation hat sich in Luft aufgelöst. Durch den Einbruch der Wirtschaft war die sozialdemokratische Arbeiterpartei im April noch bei fast 40 Prozent der Wählerstimmen gehandelt worden. Dieser Wert verschlechterte sich parallel zur sich erholenden Wirtschaftsleistung. Mit 27,4 Prozent in der Wahlnacht verlor die Arbeiterpartei nochmals deutlich gegenüber der Wahl im Jahr 2013. Das Krisenszenario, das der Vorsitzende Jonas Gahr Støre noch Anfang des Jahres gezeichnet hatte und das Basis der Forderungen nach Steuererhöhung war, fiel in sich zusammen. Und: Auch im persönlichen Vergleich kam der als steif beschriebene Herausforderer gegen die als volksnah empfundene Amtsinhaberin nicht an. Aber die Sozialdemokraten sind nicht alleine. Es ist bemerkenswert, dass auch alle Parteien, die an der konservativen Minderheitsregierung direkt oder über die Duldung beteiligt waren, verloren haben. Trotzdem hat diese Konstellation des konservativen Blocks 88 der 169 Mandate im Storting, dem norwegischen Parlament. Aber einfach wird es trotz dieser rechnerischen Mehrheit künftig nicht werden.
Phänomen und Problem Fortschrittspartei
Viele Beobachter hatten vorhergesagt, dass die Fortschrittspartei an einer Regierungsbeteiligung zerbrechen würde. Das ist nicht geschehen. Im Block der Regierungsparteien bzw. der beiden unterstützenden Parteien hat die Fortschrittspartei die geringsten Verluste zu verzeichnen. Die Parteichefin Siv Jensen hatte in der Wirtschaftskrise als Finanzministerin auch Kritiker überzeugen können. Aber zur Fortschrittspartei gehört eben auch die andere Seite der Medaille. Die harte Linie in der Ausländerpolitik hatte die Fortschrittspartei kurz vor der Wahl nochmals plakativ herausgestellt. So besuchte die norwegische Integrationsministerin Sylvi Listhaug kurz vor dem Wahltermin das Nachbarland Schweden. Und das war kein Freundschaftsbesuch. Nach eigenen Worten wollte Listhaug beim Besuch des Stockholmer Immigranten-Vororts Rinkeby eine No-go-Zone mit eigenen Augen sehen. Damit wolle sie Lehren ziehen, um solche Fehler bei der Immigrations- und Integrationspolitik in Norwegen zu vermeiden. Die Reaktion in Schweden fiel entsprechend kühl aus und dieser Besuch handelte auch Regierungschefin Erna Solberg den Ruf ein, die Fortschrittspartei nicht zügeln zu können. Das kann noch Folgen haben. Die Christdemokraten haben bereits verlauten lassen, dass sie eine Regierung mit Beteiligung der Fortschrittspartei nicht mehr unterstützen würden. Das schwächt die zu erwartende Minderheitsregierung, die sich jeweils neue parlamentarische Mehrheiten suchen muss.
Umweltschutz ist kein Alleinstellungsmerkmal der Grünen
Enttäuscht waren auch die Grünen: Was das Wahlergebnis für den Klimaschutz bedeutet wird zu beobachten sein. Einerseits gelten sie Beschlüsse zum Beispiel zur Förderung der Elektromobilität auch weiterhin. Aber eben die einzige Partei, die sich explizit gegen die weitere Erschließung von Öl- und Gasvorkommen ausgesprochen hat waren die Grünen. Doch die sind weit hinter den Prognosen von acht Prozent zurückgeblieben und landen deutlich unter der Vierprozenthürde. Die Erschließung neuer Ölfelder selbst in sensiblen Regionen bei den Lofoten oder in der Arktis wird demnach weitergehen, was Solberg mehrfach angekündigt hatte. Auf der anderen Seite diskutieren Experten in Norwegen das Phänomen, dass alle Parteien, die sich für die Ölförderung stark gemacht hatten, verloren haben. Der sich erholende Ölpreis und die bessere Wirtschaftslage verschaffen in der Transformation etwas Luft, aber sie bleibt vor allem wegen der bereits beschlossenen Klimaziele auf der Agenda. Ein Problem für die Grünen in Norwegen ist traditionell, dass die Bewahrung von Umwelt und Natur nicht ausschließlich von ihnen beansprucht werden kann. Dies haben andere kleine Parteien ebenso im Programm. Die Zentrumspartei (SP) ist in dieser Wahl die eigentliche Gewinnerin. Hauptauftrieb dürfte sie aber weniger durch Wirtschafts- und Umweltpolitik, sondern durch ein innenpolitisches Thema nämlich der Reform von Gebietskörperschaften bekommen haben.
Norwegen Irrtum bei Industrie 4.0
Auch wenn die Stimmen von Hand ausgezählt wurden, die Parlamentswahl verändert die neue Industrie 4.0-Strategie sicher nicht. Aber wie weit ist Norwegen mit der Digitalisierung und Industrie 4.0? Die Unternehmensberatung Roland Berger hatte Norwegen im Jahr 2015 mit Blick auf Industrie 4.0 als Potentialist eingestuft. Mit ausgeprägten Fähigkeiten Industrie 4.0-Technologien einsetzen zu können, aber mit einem noch geringen Anteil am BIP. Mit Blick auf die anderen skandinavischen Länder liegt Norwegen in dieser Aufstellung damit deutlich hinter Schweden und Finnland zurück, die bereits zur Gruppe der Vorreiter gezählt worden waren. Heute hat Norwegen dieselben Probleme, wie alle Industrie 4.0-Nationen: Der Fokus liegt auf Effizienzgewinnen und weniger darauf, neue Geschäftsmodelle zu finden und zu implementieren. Das ist belegt auch das Ergebnis einer Befragung von rund 600 Führungskräften, die das Unternehmen Questback im Auftrag von Siemens Norge im Sommer 2017 durchgeführt hatte. Darin geben drei Viertel der befragten Führungskräfte an, dass die Digitalisierung in den kommenden Jahren von wesentlicher Bedeutung für eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit der norwegischen Unternehmen sei. Und: Ebenso viele Unternehmen verbinden die Digitalisierung primär mit der Automatisierung. Ein Problem, das Norwegen mit anderen Industrieländern teilt, wie die Diskussion in Deutschland zeigt.
Dass Norwegen noch einige Aufgaben zu erledigen hat, stellte auch jüngst die OECD fest. Um die Wirtschaft unabhängiger von Öl und Gas und damit robuster und diversifizierter zu machen, erfordere ein gut aufgestelltes Innovationssystem. Hier habe Norwegen vor allem in der Hochschulforschung noch Nachholbedarf vor allem gegenüber den nordischen Nachbarn. Um hier voranzukommen, hatte man die ehemalige Chefin von Hewlett-Packard Norwegen, Anita Krohn Traaseth, geholt und sie mit der Leitung einer Innovationsagentur mit rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betraut. Aufgabe: Innovationen fördern unter einer Bedingung, ohne Öl. Die in anderen Industrienationen sich erst etablierende Cluster-Bildung und -Unterstützung hat allerdings in Norwegen bereits Tradition und kann so eine stabile Basis für die Innovationspolitik bilden.
Chancen für deutsche und österreichische Unternehmen
Für Österreich und Deutschland ist Norwegen ein wichtiger Handelspartner. Die Warenlieferungen von Österreich belaufen sich auf über 400 Millionen Euro. Hier sind Hersteller von Kesseln, mechanischen Maschinen und Apparaten, Kräne oder elektrische Geräte führend. Für Deutschland hat Norwegen vor allem als zweitgrößter Gaslieferant hinter Russland große Bedeutung. Aber auch erneuerbare Energien, emissionsfreie Kraftstoffe oder Digitalisierung in den verschiedensten Bereichen, zu Beispiel in Energiewirtschaft und Schiffbau, spielen eine wichtige Rolle in den Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder. Die deutschen Exporte bestanden 2016 nach norwegischer Zählung zu 27,2 Prozent aus Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen, zu 14,3 Prozent aus Maschinen und zu 12,5 Prozent aus chemischen Erzeugnissen. Leicht zulegen konnten im vergangenen Jahr Erzeugnisse der Elektrotechnik und der Datenverarbeitung. Norwegische Firmen investieren im Ausland in ähnlichem Umfang wie ausländische Investoren in Norwegen. Größter norwegischer Investor im Ausland ist der durch die Öleinnahmen gespeiste norwegische Pensionsfond, weltweit einer der größten Investoren. Deutschland gehört zu den wichtigsten Zielländern des Fonds. 2016 hielt der Fonds in Deutschland 197 Unternehmensbeteiligungen und das im Wert von 30,7 Milliarden US-Dollar (264,7 Mrd. NOK), 16 Immobilienprojekte im Wert von etwa 724,5 Millionen US-Dollar (6,2 Mrd. NOK) gehörten ebenfalls dazu und Wertpapiere im Umfang von 28,7 Mrd. US-Dollar (247,6 Mrd. NOK).
Siemens mit 60 Offshore-Windenergieanlagen am Start
Norwegen verfolgt das Ziel, im Jahr 2030 die erste CO2-freie Gesellschaft zu sein. Dementsprechend ist die konsequente Ausrichtung Norwegens auf die Schaffung einer emissionsfreien Gesellschaft die Basis für Geschäfte deutscher und österreichischer Unternehmen. E.ON wird einen weiteren Offshore-Windpark in deutschen Gewässern gemeinsam mit dem norwegischen Energiekonzern Statoil errichten, der 2019 vollständig in Betrieb sein soll. Das Investitionsvolumen beträgt mehr als 1,2 Milliarden Euro. Siemens wird hierfür 60 Offshore-Windenergieanlagen mit einer Leistung von je rund sechs Megawatt (MW) zuliefern und auch die Wartung übernehmen. . Mit einem 1400 Megawatt-Unterseekabel werden zum ersten Mal die Strommärkte von Norwegen und Deutschland vernetzt. Beide Länder wollen so die Versorgungssicherheit erhöhen und zur Stabilisierung der Strompreise beitragen und einen großen Schritt Richtung CO2-freie Energieversorgung machen. Der Probebetrieb soll im vierten Quartal 2019 starten.
Norwegen forciert weiter Elektromobilität
Vom konsequenten Ausbau der Elektromobilität profitieren die deutschen Automobilhersteller und -zulieferer. Die Zahl der zugelassenen reinen Elektroautos und plug-in-Fahrzeuge beläuft sich mittlerweile auf über 130.000. Siemens errichtet für den ersten Elektro-Überlandbus in Drammen eine Schnellladestation und hatte die Antriebstechnik für den ersten elektrisch betriebenen Fischkutter zugeliefert. Seit 2015 ist „Ampere“, die erste vollelektrische Fähre der Welt in Betrieb, zu der Siemens das Antriebssystem beisteuerte. Im Bereich Infrastruktur sind Hidden Champions sehr erfolgreich. Tunnelbohrmaschinen der Herrenknecht AG, Schwanau, sind beim Bau des Follo-Tunnels im Einsatz.
Nicht nur wegen des aktuellen Wahlausganges und der bestehenden Verbindungen von Österreich und Deutschland zu Norwegen lohnt der Blick in den Norden. Norwegen wird als Gradmesser für Digitalisierung und Innovation bedeutend sein. Und das auch deswegen, weil es eine junge und wachsende Gesellschaft ist. Im Jahr 2030 soll Norwegen nicht nur eine emissionsfreie Gesellschaft sein. Im Jahr 2030 wird erwartet, dass Norwegen 5,9 Millionen Einwohner hat. Das entspricht einem Zuwachs von fast 15 Prozent gegenüber 2015. Ursachen sind hier einerseits eine verstärkte Zuwanderung aber anderseits auch eine steigende Geburtenrate. Und unabhängig vom Anwachsen der älteren Kohorten wird Norwegen im Jahr 2030 zu den fünf jüngsten Gesellschaften in Westeuropa zählen. Spätestens dann wird sicherlich bei jeder Wahl elektronisch ausgezählt werden.