Automated Engineering : Wie Normen die Automatisierung beschleunigen
Das kleine graue DIN-A5-Heft mit Eselsohren – noch vor fünfzig Jahren war es in vielen Unternehmen das Werkzeug zur Maschinendokumentation schlechthin. Meist war es auch untrennbar mit einem Techniker verbunden, der Dinge in das Heft kritzelte, die nur er verstand, mit deren Hilfe er die Maschine bei Problemen aber erstaunlich schnell wieder zum Laufen bringen konnte. Verließ der Mann das Unternehmen, etwa weil er in Pension ging, konnten seine Nachfolger mit den von ihm penibel notierten Zahlenreihen und Kürzeln oft nur sehr wenig anfangen – damals, als die Welt noch analog tickte.
In der digitalen Welt ist das kleine graue Heft zwar (fast) verschwunden, das Problem der fehlenden Datendurchlässigkeit hat sich vielfach aber bloß verschoben. Heute scheitert die Weitergabe von Daten nicht mehr daran, dass zwei Menschen ein und dasselbe Ereignis in höchst unterschiedlicher Weise notieren, sondern daran, dass digitale Systeme einander nicht verstehen und so ein direkter Datentransfer zum Beispiel von der Instandhaltung zum ERP-System erschwert wird. Auch die durchgehende Verfügbarkeit der Daten im Unternehmen ist nicht immer gegeben, was zumindest zum Teil daran liegt, dass nach wie vor nur 47 Prozent der österreichischen Unternehmen die Vorzüge von Cloud-Systemen nützen.
Datenkonsistenz durch Normung
Doch selbst dort, wo Unternehmen über eine ausreichend hohe Datenqualität und Datentiefe verfügen, um ambitionierte Automated Engineering Projekte zu betreiben, stößt die Datendurchlässigkeit oft an ihre Grenzen, wenn das eigene IT-Ökosystem verlassen werden muss, etwa bei Bestellungen oder der Weiterleitung von Plänen an Beteiligte außerhalb des Unternehmens. Diese babylonische Sprachverwirrung basiert oft auf fehlenden Normen oder deren Anwendung.
Auch das gab es schon in vordigitaler Zeit. Während des Ersten Weltkriegs litt zum Beispiel die Materialbeschaffung für kriegswichtige Produktion unter anderem daran, dass es für kaum etwas, das da bestellt werden musste, einheitliche Beschreibungen und Standards gab.
Um Abhilfe zu schaffen, wurde 1917 der sogenannte Normenausschuss für den Maschinenbau gegründet, dessen Festlegungen später zur Grundlage der DIN, der Deutschen Industrienorm, wurden. Die erste DIN-Norm erschien 1918 und betraf Kegelstifte. Heute hat so gut wie jede Branche unzählige Normen. Es gibt sie bei der Steuerungstechnik ebenso wie in der Automobilindustrie, im Anlagenbau ebenso wie in der Gebäudetechnik.
Für Anbieter von Automatisierungslösungen besteht eine der wichtigsten Aufgaben daher einerseits darin, zu gewährleisten, dass alle Daten, die in Planungstools, beim Redlining, in der Fertigungsdokumentation oder beim Predictive Maintenance verarbeitet werden, von Anfang an DIN-konform strukturiert werden. Andererseits gilt es aber auch durch entsprechendes Schnittstellendesign zu gewährleisten, dass diese Daten nicht nur innerhalb von firmeneigenen IT-Inseln funktionieren, sondern auch von anderen genutzt werden können, etwa beim Engineering mit externen Partnern.
Enormer Nutzen
Normenbasiert auch dort zu arbeiten, wo es keine gesetzliche Verpflichtung dazu gibt, bringt Unternehmen in der Regel viele Vorteile: Angefangen von besserem Marktzugang in Exportmärkten bis zu Kosteneinsparungen durch Verwendung von standardisierten Teilen. Egal ob in der Fertigung selbst oder in der Supply Chain dahinter, egal ob im Maschinen- und Anlagenbau, der Automobilindustrie oder bei Unternehmen der Prozessindustrie: Standardisierung ist einer der nachhaltigsten Wege, um Kosten zu senken – auch, weil sich standardisierte Prozesse viel besser automatisieren lassen.
Und auch gesamtwirtschaftlich macht Normierung Sinn. In entwickelten Industrieländern beträgt der durch Normierung erzielbare Mehrwert zwischen 0,7 und 8,0 Prozent des BIP. Auf Österreich umgerechnet sind das rund 3,1 Milliarden Euro, wenn man das BIP des Jahres 2019 als Ausgangsgröße nimmt.
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